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Dresdner Forscher in der größten Eishöhle der Welt

Leckt der Klimawandel auch hier das Eis weg? SZ-Reporter Stephan Schön war exklusiv mit dabei. Eindrucksvolle Bilder und Videos aus dem Innern der Alpen.

Von Stephan Schön
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In Österreich gibt es die weltweit größte Eishöhle. Doch wie lange noch? TU-Wissenschaftler suchen Antworten.
In Österreich gibt es die weltweit größte Eishöhle. Doch wie lange noch? TU-Wissenschaftler suchen Antworten. © SZ/Stephan Schön

Drei Minuten sind es und 500 Meter mit der Seilbahn direkt an der Steilwand im österreichischen Tennengebirge empor. Jetzt wird’s skurril: Diese Leute packen verdammt komische Rucksäcke zusammen, voll mit Elektronik, Kabeln, Akkus. 

Und wie die erst angezogen sind! Daunenjacke statt T-Shirt. Handschuhe baumeln am Gürtel, und Manfred Buchroithner zieht sich die dicke rote Mütze so richtig über die Ohren. Es sind 28 Grad Plus und Sonne.

Buchroithner ist Kartografieprofessor und auch noch Bergführer-Ausbilder. Er sollte es eigentlich wissen. Gebirge sind sein Element. An der TU Dresden ist seine wissenschaftliche Heimat. 

Diesmal ist er weder dort, noch draußen am Berg. Er ist mittendrin. Die Wissenschaft fordert ihren Kältetribut. Es wird frostig. Bei minus einem Grad, kaum Bewegung und zehn Stunden lang. Hinter der schweren Holztür am Berg beginnt ein kaltes Geheimnis.

Millimetergenau messen die Wissenschaftler die gigantischen Eisfiguren in der Höhle. Werden sie diesen heißen Sommer überhaupt noch überstehen?
Millimetergenau messen die Wissenschaftler die gigantischen Eisfiguren in der Höhle. Werden sie diesen heißen Sommer überhaupt noch überstehen? © SZ/Stephan Schön

Zum vierten Mal schon schauen die Forscher dort in den Berg hinein und auf das Eis. Das Institut für Kartographie der TU Dresden beobachtet seit zehn Jahren mit wachsender Skepsis, was sich da drin im Berg tut. Immerhin, diese Höhle hat etwas zu bieten, und sie hat etwas zu verlieren. Es sind die einzigartigen Eisfiguren. Und es ist der Status: „Es ist die größte Eishöhle weltweit“, sagt Friedrich Oedl. 

Er ist der Betreiber der Seilbahn, der Manager des Tourismus hier, der in seinem städtischen Leben eigentlich Jurist in Salzburg ist. Oedls Großvater war es, der den Tourismus hierhergebracht hatte. Er baute die Forschung und den Besucherzugang damals auf. 

Jetzt ist sein Enkel dran. Mit Trekkinghose und Fleecejacke statt Anzug, so kommt er aus der Kanzlei mal schnell zur Höhle herüber. Denn Friedrich Oedl hat ein Problem. Was passiert mit dem Eis in Zeiten des Klimawandels? Warme Winter, heiße Sommer und Starkregen im Frühjahr?

Die Eisriesenwelt ist ziemlich speziell. Nicht nur, dass es die größte Eishöhle weltweit ist. Sie zählt auch zu den sogenannten dynamischen Eishöhlen, berichtet der TU-Forscher Buchroithner. „Je nach Jahreszeit gibt es einen anderen Luftzug durch die Höhle.“ Im Winter steigt in der Höhle warme Luft auf und strömt durch die Löcher im Karstgestein oben am Berg heraus. Eisige Luft indes, nicht selten minus 20 Grad kalt, strömt unten in die Höhle nach. Beginnt dann der Frühsommer und es taut oben am Berg, läuft Wasser in die Höhle – das Eis wächst, da es dort immer noch unter null Grad kalt bleibt. 

Im Sommer kehrt sich der Windzug um. Dann fließt die mit null Grad vergleichsweise kalte Höhlenluft unten aus dem Berg ab und warme Luft strömt von oben nach. Es taut. Eis gebe es das ganze Jahr in der Höhle, das Maximum werde aber etwa im April erreicht, sagt Buchroithner. 

Dabei verändern sich die Eisfiguren von Jahr zu Jahr. Dazu braucht man keine Wissenschaft, um das zu erkennen. Um etwas anderes zu verstehen indes schon: Nimmt das Eis nun insgesamt in der Höhle wirklich ab? Oder wächst es sogar?

Groß, unförmig und schwer ist der Rucksack, den Markus Handl, Mitarbeiter der Scanner-Firma Riegl, jetzt heranschleppt. Darin befindet sich ein Pkw der Oberklasse, zumindest was den Preis betrifft. Mehr als 60.000 Euro wert ist der Laserscanner. Die Grundversion. 

Der Dresdner Kartografieprofessor
Manfred Buchroithner ist wissenschaftlicher Leiter des Projekts Eishöhle im Tennengebirge bei Salzburg.
Der Dresdner Kartografieprofessor Manfred Buchroithner ist wissenschaftlicher Leiter des Projekts Eishöhle im Tennengebirge bei Salzburg. © SZ/Stephan Schön

Markus Handl setzt sich kurz entschlossen aufs Eis und schlittert auf dem Hintern zum nächsten Messpunkt, den großen Laserscanner dabei im Arm. Es ist hier die mit Abstand sicherste Art der Fortbewegung – und die mit der geringsten Fallhöhe. So lange zumindest, wie es nicht auf dem Eis bergab geht. Steigeisen an den Schuhen oder auch ein Sicherungsseil sind dann Pflicht.

Wenn nun mal Wasser die gestuften Kaskaden im eiskalten Höhlenschlauch hinabfließt und gefriert, dann wird es zum spektakulären Eisfall. Denn wer dort ohne Sicherung auch nur ein wenig ins Rutschen kommt, für den gibt es kein Halten mehr. Volle Konzentration auf die Füße also.

Da bleibt kein Blick mehr für die faszinierenden Stalaktiten aus Eis an der Decke. Eisorgel nennt sich das metergroße Gebilde, in dem eben mal drei Forscher mitsamt Scanner verschwinden. Und in dem Licht ihrer Stirnlampen sieht die Orgel nun eher aus wie ein riesiger Raubfisch mit einem gigantischen Maul voller glasklarer langer Zähne. Als hätte er die Forscher verschluckt.

Der Vergleich über mehrere Jahre beweist erstmals, wo das Eis schmilzt. Dort ist es rot, blau indes dort, wo Eis hinzukommt. 
Der Vergleich über mehrere Jahre beweist erstmals, wo das Eis schmilzt. Dort ist es rot, blau indes dort, wo Eis hinzukommt.  © Repro/Stephan Schön

An 350 Standorten in der Höhle macht das Team eine Messung. Laserstrahlen werden dazu in alle Richtungen gesandt. Allein aus der unterschiedlichen Zeit, die jeder Strahl braucht, um von der Wand reflektiert zurückzukommen, lässt sich ein 3-D-Modell millimetergenau bestimmen. Jedoch schießt der Laserstrahl nicht nur einmal aus dem Scanner pro Messung. Eine Messung dauert 30 Sekunden. In jeder Sekunde aber nimmt der Scanner 500.000 Messpunkte auf. 

So kommen schließlich für die gesamte Eishöhle mehr als fünf Milliarden Messdaten zusammen. Das wäre selbst für Supercomputer eine Herausforderung. Allein die neue Software macht es möglich, dass tags darauf ein Bild vorliegt. Es sind Punktwolken, zusammengesetzt aus den Milliarden Messpunkten. Rot, gelb blau schimmert es dort hindurch, wo blankes Eis zu finden wäre. 

Automatisch wird nun pixelgenau verglichen, was sich im Eis der letzten Jahre verändert hat. Die Farben machen den Unterschied, erklärt Riegls Scanner-Spezialist Thomas Gaisecker. Seit Jahren ist er bei den Dresdner Forschern mit im Team. Und für den Kartografen Manfred Buchroithner bietet sich nun endlich die Chance, die verborgenen Dinge im Eis zu interpretieren. Er hat in den vergangenen Wochen die Daten ausgewertet und kommt zum Schluss: „Die Eismassen an sich nehmen nicht ab. Sie verändern sich nur. Die Eisriesenwelt wird weiterhin die größte Eishöhle der Erde bleiben.“

Redakteur Stephan Schön (Mitte) war für die SZ exklusiv bei der Vermessung der Eishöhle dabei.
Redakteur Stephan Schön (Mitte) war für die SZ exklusiv bei der Vermessung der Eishöhle dabei. © privat