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Die Wende als Glücksfall

Seit 1989 behandelt Frank Jäckel in Döbeln Tiere. Dabei wollte er eigentlich zurück nach Thüringen.

Von Maria Fricke
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Für den Döbelner Tierarzt Frank Jäckel kam der Mauerfall genau zur richtigen Zeit. Er schaffte optimale Voraussetzungen für den Sprung in die Selbstständigkeit.
Für den Döbelner Tierarzt Frank Jäckel kam der Mauerfall genau zur richtigen Zeit. Er schaffte optimale Voraussetzungen für den Sprung in die Selbstständigkeit. © Bildstelle

Ein Streifen Landschaft ohne Vegetation, Türme, die wie Fremdkörper in der Landschaft stehen. Unüberwindbar. Der Grenzstreifen der DDR. Dieses Bild hat Frank Jäckel noch immer im Kopf. Der Döbelner Tierarzt hat die Grenze als Schüler hautnah erlebt. „Ich habe während der Schulzeit aktiv im Verein Fußball gespielt. Da sind wir bis in die fünf Kilometer breite Sperrzone gekommen. Dort kam man sonst nicht hin“, erzählt der 57-Jährige. 

Auch einer seiner Schulfreunde habe in dieser Zone gelebt. „Ihn durften wir nicht besuchen“, berichtet Jäckel, der in Bad Liebenstein im heutigen Wartburgkreis in Thüringen geboren wurde. Knapp 30 Kilometer von Hessen entfernt, verbrachte Jäckel seine Kindheit und Jugend.

In seine Heimat wollte der Tierarzt eigentlich auch wieder zurück. Doch nach seinem Studium in Leipzig habe er keine Stelle mehr im Bezirk Suhl bekommen. Also blieb er in Sachsen. Und landete in Döbeln. Zwei Monate vor dem Mauerfall begann er als Tierarzt in der Staatlichen Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis, kurz STGP, zu arbeiten. „Wir waren damals mit mir sechs Tierärzte, drei Veterinäringenieure sowie zwei Bürokräfte“, erzählt der 57-Jährige. 

Private Praxen gab es zu jener Zeit noch nicht. Die Vielzahl an Tierärzten war notwendig. Denn die Tierbestände sahen noch ganz anders aus als jetzt. „Wir hatten einen viel höheren Nutztierbestand. Es gab viel mehr Ställe mit Rindern, Schafen, Schweinen. In jedem Dorf gab es zudem auch mehr private Haltung. Das ist nach der Wende extrem zurückgegangen. Die Entwicklung hat sich bis heute gehalten“, so die Erfahrungen des Tierarztes.

Für den Beruf entschieden hat sich Jäckel, weil er als Kind und Jugendlicher gern bei seinen Großeltern auf dem Dorf gewesen sei. Dort habe es stets viele Landwirte mit zahlreichen Tieren gegeben. „Aber Landwirt wollte ich nicht werden. Ich hatte mehr Interesse an den Tieren“, so Jäckel. Neben der ehemaligen Karl-Marx-Universität Leipzig hätte Jäckel auch in Berlin Veterinärmedizin studieren können. Doch er wollte nach Leipzig. Den Platz dort zu bekommen, sei keineswegs leicht gewesen. „Man brauchte, wie auch heute, ein sehr gutes Abi.“ 

Doch Jäckel musste noch mehr leisten. Er sollte sich verpflichten, für drei Jahre zur Armee zu gehen. „Das wollte ich eigentlich nicht. Die Mindestdauer waren 18 Monate. Aber da gab es riesige Probleme. Meine Eltern mussten zum Direktor.“ Um den begehrten Studienplatz zu bekommen, nahm Jäckel dann doch drei Jahre Armee in Kauf. 

1988 schloss er sein Studium ab, absolvierte noch ein Jahr Pflichtassistenz, bevor er seine Approbation erhielt und richtig in dem Beruf arbeiten durfte. „Das Assistenz-Jahr war eine gute Sache. Denn der praktische Teil hat im Studium weitestgehend gefehlt“, schildert Jäckel.

Ende der 1980er Jahre änderte sich einiges im Leben von Jäckel. 1988 wurde er das erste Mal Vater, die kleine Familie bekam dadurch eine neue Wohnung. Im Herbst 1989 kam zu der neuen Anstellung als Tierarzt der politische Umbruch dazu. Es habe sich bereits abgezeichnet, dass das System nicht mehr auf Dauer haltbar sei. „Wir hatten damals schon Westfernsehen und haben alles im Fernsehen verfolgt“, schildert der Tierarzt. 

Total überrascht, erstaunt, ungläubig – so habe er sich gefühlt, als die Mauer geöffnet wurde. „Ich habe ja selbst gesehen, wie unüberwindbar sie war“, begründet Jäckel seine Reaktion. Doch sich mit der einjährigen Tochter auf den Weg in den Westen zu machen, kam für die Familie nicht infrage. Gegen 1989 nahm Jäckel an einer Demonstration vor dem Döbelner Rathaus teil.

Im Sommer 1990 zeichnete sich ab, dass es auch im tierärztlichen Bereich nicht so weitergehen werde, wie bisher. Jäckel ergriff selbst Initiative und nutzte seinen Urlaub, um sich auf die Selbstständigkeit vorzubereiten. Er ging nach Göttingen, hospitierte dort bei dem Tierarzt, der sich um den Hund seiner Verwandtschaft kümmerte. 

„Alles, was die Tiere und Krankheiten anging, war ja dasselbe wie hier. Aber ich wollte wissen, wie eine private Praxis funktioniert“, so der zweifache Vater. Er informierte sich über notwendige Versicherungen, Einnahme-Überschuss-Rechnungen, Medizinbestellungen. Und ihm fiel auf, dass es in den Tierhaltungen in den alten Bundesländern mitunter schlechter aussah als in seiner Heimat. Nach Göttingen folgten noch weitere Einblicke in private Praxen.

Jäckel besuchte Seminare, die sich mit dem Thema befassten. Ende 1990 sollte die STGP aufgelöst werden. „Einige ältere Kollegen sind staatlich angestellt geblieben und in den Veterinärämtern untergekommen.“ Von den jüngeren seien einige in die Pharmaindustrie gegangen. Jäckel übernahm mit einer Kollegin die Räume der STGP.

An der Oststraße in Döbeln hat Frank Jäckel 1989 als Tierarzt angefangen, damals noch in der Staatlichen Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis, kurz STGP. Untergebracht war die Praxis mit sechs Tierärzten auf dem Gelände der ehemaligen Molkerei.
An der Oststraße in Döbeln hat Frank Jäckel 1989 als Tierarzt angefangen, damals noch in der Staatlichen Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis, kurz STGP. Untergebracht war die Praxis mit sechs Tierärzten auf dem Gelände der ehemaligen Molkerei. © Dietmar Thomas

Zum 1. Dezember 1990 eröffnete die Gemeinschaftspraxis. „Wir hatten Glück und haben alles zu einem fairen Preis erhalten“, berichtet Jäckel. Auch die Kunden sind den Tierärzten treu geblieben. Zunächst sind die Veterinärmediziner noch oft in Ställen unterwegs und kümmern sich um das Wohlergehen von Nutztieren. Eine Kleintierpraxis habe es schon gegeben, doch diese haben nur eine kleine Rolle gespielt. 

Schon 1991 zeichnete sich ab, dass es einen Wandel in der Branche geben wird. Die ersten Betriebe schlossen, die Nutztierbestände gingen zurück. „Da haben wir uns schon Sorgen gemacht, wie es weitergehen soll“, gibt Jäckel zu. Jedoch sei in derselben Zeit auch der Bestand an Kleintieren gewachsen. „Anfangs hatten wir die Kleintierpraxis nur dreimal in der Woche für eine Stunde geöffnet“, sagt Jäckel. Doch je mehr Tiere es gab, umso mehr Raum nahm die Praxis ein.

Inzwischen hat sich das Verhältnis umgekehrt. Die Kleintierpraxis ist der Hauptarbeitsbereich von Jäckel und seiner Kollegin Sabine Franz. Mit ihr bezog er im Januar 1995 Praxisräume an der Unnaer Straße 1B in Döbeln. Die tierärztliche Gemeinschaftspraxis besteht auch heute noch. Allerdings in einem anderen Haus. 14 Jahre nach der Eröffnung waren die alten Räume zu klein geworden. 

Die Tierärzte suchten nach einem neuen Quartier und wurden in der Nachbarschaft fündig. Dort stand ein DDR-Eigenheim leer. „Im Frühjahr 2009 haben wir das Haus gekauft und komplett umgebaut“, erzählt Jäckel. Im Sommer 2009 wurde die jetzige Praxis eröffnet. Zurzeit haben die Mediziner dort Unterstützung von zwei tiermedizinischen Fachangestellten und zwei Auszubildenden.

Im Lauf der Jahre sei der Kleintierbestand vielfältiger geworden, sagt Frank Jäckel. „Es gibt viel mehr Haustiere. Auch ist unsere Arbeit intensiver geworden. Es gibt heute viel mehr diagnostische Möglichkeiten. Auch die Behandlungsmöglichkeiten haben sich enorm erweitert. Das ist mit dem Stand von der Uni überhaupt nicht mehr vergleichbar“, schildert Jäckel. Am häufigsten kommen Tierfreunde mit Hunden und Katzen zu ihm und seiner Kollegin. Hinzukommen Kaninchen sowie Kleintiere wie Meerschweine und Hamster.

Ab und an wird Jäckel auch zu ungewöhnlichen Einsätzen gerufen, wie der Behandlung eines Krokodils. Das Tier lebte beim Roßweiner Verein Aquarien- und Terrarienverein „Osiris“. Es hatte schon mehrere Tage nichts gefressen. Als Jäckel es untersuchen wollte, habe das zuvor geschwächte Tier nach ihm geschnappt. Zum Glück ohne Erfolg. Weit weniger gefährlich verlief die Behandlung einer Elefantenkuh, die mit einem Zirkus in den Döbelner Klostergärten gastierte. Sie hatte eine Nagelbettentzündung. „Ich habe mich dann mit dem Zootierarzt aus Erfurt abgestimmt, der sie sonst behandelt“, berichtet Frank Jäckel.

Für ihn sei die Wende zur richtigen Zeit gekommen. „Ich hatte meine Pflichtassistenz beendet und ein Jahr Erfahrung in der staatlichen Praxis gesammelt“, so der 57-Jährige. „Das ermöglichte mir einen guten Sprung in die private Niederlassung. Die Voraussetzungen waren günstig.“