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Gut integriert und trotzdem keine Chance?

Ein junger Afghane hat die Schule besucht, Deutsch gelernt, eine Ausbildung begonnen. Trotzdem muss er um seine Zukunft in Neukirch bangen.

Von Franziska Springer
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Im Garten von Familie Mühlisch aus Neukirch hat Shapoor Ahmadzai einen Platz zum Entspannen gefunden. In Familiendackel Kessy einen treuen Freund. Sorgen macht ihm die Frage, wie lange er dieses Idyll noch genießen kann.
Im Garten von Familie Mühlisch aus Neukirch hat Shapoor Ahmadzai einen Platz zum Entspannen gefunden. In Familiendackel Kessy einen treuen Freund. Sorgen macht ihm die Frage, wie lange er dieses Idyll noch genießen kann. © Foto: Steffen Unger

Neukirch. Die Stimme von Shapoor Ahmadzai schwankt irgendwo zwischen Resignation und Wut, wenn er über seine derzeitige Bleibeperspektive in Deutschland spricht: „Ich bin nach Deutschland gekommen, um hierzubleiben. Ich habe vier Jahre lang gekämpft, keine Zeit verschwendet. Habe alles getan, was die Ausländerbehörde von mir verlangt. Aber von diesem Amt höre ich immer nur ein Nein.“

Eine Menge ist passiert, seit der 20-Jährige vor vier Jahren als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling aus seiner afghanischen Heimat floh – und in Neukirch landete. „Ich habe die Schule besucht, Deutsch gelernt, eine Ausbildung begonnen und jetzt auch noch mit der Fahrschule angefangen“, fasst er seine bisherigen Bemühungen um Integration in überraschend gutem Deutsch zusammen. Ständiger Begleiter in all den turbulenten Monaten: die Ungewissheit. 

Selten konnte sich Shapoor Ahmadzai seiner Sache sicher sein. Die Genehmigung zur dezentralen Unterbringung bei Bernhard Mühlisch und dessen Familie in Neukirch war ein ebensolcher Kampf wie der um Bewilligung seines Asylantrags. Letzteren verlor er Anfang diesen Jahres. Da flatterte ihm der Bescheid über den negativen Ausgang seines Asylverfahrens auf den Tisch. Seither besitzt er den Status eines Geduldeten.

Bürokratisches Tauziehen

Shapoor Ahmadzai beantragte Ausbildungsduldung beim Ausländeramt des Landkreises. Das ist unabhängig von Alter und Herkunftsland des Antragstellenden dann möglich, wenn eine qualifizierte Berufsausbildung absolviert wird oder in Aussicht steht und der Auszubildende seine Identität nachweisen kann. Die Regelung soll mehr Rechtssicherheit für Auszubildende und Betriebe schaffen. Ahmadzai, der nach den Sommerferien sein drittes Ausbildungsjahr zum Restaurantfachmann im Erbgericht in Tautewalde beginnt, ergriff seine Chance. Von seinem in Afghanistan lebenden Onkel ließ er sich eine neue Tazkira – einen afghanischen Ausweis – besorgen. 

Das Original des einseitigen, handschriftlich ausgefüllten A4-Dokumentes war bei der Flucht beschädigt worden. Für die beglaubigte Übersetzung der Tazkira zahlte er 55 Euro, weitere 30 verlangte das Ausländeramt als Bearbeitungsgebühr. Ahmadzai wähnte sich am Ziel, doch die Ausländerbehörde forderte von ihm den Nachweis über die Beantragung eines Reisepasses. Den bekommen afghanische Flüchtlinge nur auf dem Konsulat. Dort müssen sie persönlich vorsprechen. Auf einen Termin warten sie lange. Shapoor Ahmadzai kann sich erst am 14. April nächsten Jahres auf den Weg nach Berlin machen. Der junge Afghane tut sich schwer damit , all den Aufwand nachzuvollziehen.

Er deutet auf seine Tazkira, die neben persönlichen Angaben auch eine Registrierungsnummer enthält, mit der seine Identität im afghanischen Zentralregister abgeglichen werden könnte und sagt: „Das ist doch kein Spaß, sondern mein Ausweis!“ Die Ausländerbehörde des Landkreises entgegnet entschieden: „Zum Identitätsnachweis reicht die Tazkira nicht. Dazu ist ein Passdokument, Passersatzdokument, Personalausweis oder Ähnliches notwendig“ Zum konkreten Fall will sich die Behörde nicht äußern. So bleibt offen, welche Konsequenzen Shapoor Ahmadzai drohen, sollte er die gesetzte Nachweisfrist über die Bemühungen um einen Reisepass am 20. August verstreichen lassen müssen.

Die Geschichte von Shapoor Ahmadzai ist kein Einzelfall. Wie das Landratsamt Bautzen bestätigt, befinden sich derzeit mehrere Anträge auf Ausbildungsduldung in Prüfung. Erst ein Auszubildender im Landkreis – ein Vietnamese, der im Kamenzer Hotelgewerbe lernt– erhielt seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes im August 2016 auf seinen Antrag auf Ausbildungsduldung hin einen positiven Bescheid. Auch im Landkreis Görlitz gibt es erst einen solchen Fall. Anders sieht das in Dresden und Leipzig aus.

114 positive Bescheide im Freistaat

Zwischen 2016 und September 2018 wurden in der Landeshauptstadt 42 ausländischen Auszubildenden die Duldung für die Dauer der Lehre ausgesprochen, in Leipzig 24. Auch im Landkreis Nordsachsen ist die Zahl mit 21 positiven Bescheiden hoch. Insgesamt 114 Ausbildungsduldungen wurden im Freistaat bislang erteilt. 54 Ersuche wurden abgelehnt. Der häufigste Grund: Mangelhafte Voraussetzungen und gültige Beschäftigungsverbote. Auch vorbestrafte Antragsteller erhielten negative Bescheide. Immerhin: Erst ein Mal ist es vorgekommen, dass ein Antragsteller, ein 25-jähriger Inder, der eine Ausbildung im Bereich der Kfz-Mechatronik bereits aufgenommen hatte, abgeschoben wurde.

Diese Zahl schürt Hoffnung bei Shapoor Ahmadzai, der inzwischen viele Freundschaften geknüpft und den Wunsch hat, dauerhaft in Neukirch zu bleiben: „Wenn ich jetzt nach Afghanistan zurückgehe, sitze ich auf der Straße. Was ich in Deutschland gelernt habe, nützt mir dort überhaupt nichts“, sagt er. Eine dauerhafte Perspektive sieht er für sich nur in Deutschland und auch Enrico Schulz, der Inhaber des Tautewalder Erbgerichts möchte auf seinen willensstarken Auszubildenden nur ungern verzichten: „Wir sind sehr zufrieden mit Shapoors Arbeit. Wie jeder andere Auszubildende auch hat er die Möglichkeit, von uns übernommen zu werden, wenn er seine Lehre gut besteht“, versichert er.

Sollte Shapoor Ahmadzai die Ausbildungsduldung vom Landkreis erhalten, hat er gute Chancen auf einen regulären Aufenthaltsstatus. Nach erfolgreichem Abschluss dürfte er weitere zwei Jahre in Deutschland bleiben, arbeiten und Fuß fassen.