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Im Bauch des Riesen

Mit der Frühjahrsbestellung beginnt die Saison bei der Porst-Landtechnik in Rauschwitz. Die Mitarbeiter kümmern sich um kleine Rasentraktoren genauso wie um gigantische Erntemaschinen.

Von Miriam Schönbach
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Im vergangenen Jahr löste ein heiß gelaufener Rüttler einen Kabelbrand beim Mähdrescher und damit einen Feldbrand aus. Nun ist der Gigant ein Fall für Martin Dartsch bei der Porst-Landtechnik in Rauschwitz. Mit chirurgischem Geschick wechselt der Land- un
Im vergangenen Jahr löste ein heiß gelaufener Rüttler einen Kabelbrand beim Mähdrescher und damit einen Feldbrand aus. Nun ist der Gigant ein Fall für Martin Dartsch bei der Porst-Landtechnik in Rauschwitz. Mit chirurgischem Geschick wechselt der Land- un © SZ/Uwe Soeder

Rauschwitz. Harte Bässe dröhnen aus dem Radio in der Porst-Landtechnik-Werkstatt in Rauschwitz. Doch Martin Dartsch ist ganz in seiner Mähdrescher-Welt. Der Land- und Baumaschinenmechaniker klappt die Seitenverkleidung des grünen Giganten nach oben. Es riecht verschmort. „Der Schüttler war beim Dreschen heiß gelaufen. Dadurch fing der Kabelbaum Feuer und löste einen größeren Feldbrand im vergangenen Sommer aus“, sagt der 26-Jährige. Jetzt muss das Fahrzeug für die Saison flottgemacht werden – und vor dem großen Werkstatt-Tor stehen bereits die nächsten Patienten.

Martin Dartsch rollt sich seinen Werkzeugwagen heran. In einer Transportkiste liegen alle Ring-, Maul- und Schraubenschlüssel in Größen bis XL griffbereit. Für seinen nächsten Eingriff beim Mähdrescher braucht er aber eher chirurgisches Fingerspitzengefühl. Der alte, teilweise verkohle, gut sechs Meter lange Kabelbaum muss raus. Bäuchlings legt er sich auf die gesicherte Streurutsche. Es ist stockfinster im Bauch des Mähdreschers. Der Mechaniker knipst eine Taschenlampe an und heftet ihren magnetischen Fuß an der Maschine fest. Es bringt ein bisschen Licht für den Arbeitsplatz.

Tastend legt Martin Dartsch Stück für Stück den Kabelbaum frei und löst ihn und jeden Stecker aus der Befestigung. „Bei diesen Maschinen ist inzwischen alles elektrisch verstellbar, damit der Landwirt seine Ernte zu Ende bringen konnte, haben wir im vergangenen Jahr den Mähdrescher auf dem Feld provisorisch instand gesetzt“, sagt der Landtechniker und holt ein weiteres Stück gebündelter Leitungen aus dem Dunkeln hervor. Durch das schnelle Reagieren des Fahrers konnte seinerzeit auf dem Feld bei Lieske eine noch größere Katastrophe verhindert werden.

Feinabstimmung mit Laser: Nach dem Wechsel der Vorderachse wird deren Spur genau eingestellt.
Feinabstimmung mit Laser: Nach dem Wechsel der Vorderachse wird deren Spur genau eingestellt. © SZ/Uwe Soeder

Die Feuerwehren wurden zu einem Großeinsatz alarmiert, Martin Dartsch fuhr ebenfalls als Ersthelfer aufs Feld. „Wir machen die Reparaturen, die möglich sind, direkt vor Ort. Schließlich dauert es, die Landmaschinen in die Werkstatt zu bringen – und die Landwirte brauchen ja ihre Fahrzeuge“, sagt Geschäftsführer Steffen Porst. Neben dem mobilen Service checken seine Mitarbeiter nach der Saison die Maschinen der Kunden.

Die Rauschwitzer Niederlassung der Porst-Landtechnik betreut zwischen 500 bis 800 Kunden – vom einzelnen Landwirt bis zur großen Agrargenossenschaft. Ihre Wurzeln hat die Porst-Landtechnik im mittelsächsischen Ostrau in der Lommatzscher Pflege. „Mein Vater Gottfried Porst leitete bis zu Wende eine Brigade im volkseigenen Gut. Er ist Agraringenieur und fand die Idee spannend, als 1990 der Landtechnikhersteller John Deere einen Vertriebspartner in der Region suchte“, sagt Steffen Porst. Mit vier Mann fängt die Erfolgsgeschichte 1992 im Gewerbegebiet in Ostrau an, schon fünf Jahre später wird die Rauschwitzer Niederlassung eröffnet. Inzwischen gibt es außerdem noch Filialen in Löbau und Großenhain. Die 23 Mitarbeiter in Rauschwitz betreuen landwirtschaftliche Unternehmen zwischen Bautzen, der Sächsischen Schweiz und Südbrandenburg. Denis Weitzmann ist an diesem Morgen einer der Außendienstler. Der Vorführerfahrer muss einen Intensivpatienten aus Stolpen abholen. „Bei einem Traktor ist der Schlauch der Hydraulikleitung geplatzt. Der Tieflader ist schon da“, sagt der 28-Jährige und geht zum rollenden Werkstattauto.

Auf der Spur nach einem Ölfleck: Sylvio Wendt überprüft  nun noch das Getriebe bei seinem vierrädrigen Patienten.
Auf der Spur nach einem Ölfleck: Sylvio Wendt überprüft  nun noch das Getriebe bei seinem vierrädrigen Patienten. © SZ/Uwe Soeder

Fünf Jahre arbeitete Denis Weitzmann nach der Ausbildung zum Landwirt im Agrarbetrieb in Kriepitz, bis er bei einem Termin bei der Porst-Landtechnik ein Stellenangebot las. Seitdem ist er für das Vorführen von Traktoren sowie Ernte- und Bodenbearbeitungsmaschinen zuständig – oder eben für das Überführen von reparaturbedürftigem Nachschub für seine Kollegen in der Werkstatt, so wie Sylvio Wendt.

Der Mann trägt Bart, Basecap, dünne Arbeitshandschuhe und möchte unbedingt mal zum Wacken-Open-Air-Heavy-Metal-Festival. Nachdem er die ausgeschlagenen Spurstangenköpfe ausgetauscht hat, muss er nun noch die Achsvermessung machen und damit die Spur neu einstellen. So wird sichergestellt, dass alle Räder optimal am Fahrzeug ausgerichtet sind.

Sein Patient mit einem riesigen Vorbau ist normalerweise auf den Hopfenfeldern in Kriepitz im Einsatz – und muss schnell zurück auf das Feld. Die Maschine wird benötigt, um den Hopfendraht zu befestigen. Vor dem Traktor liegt eine Leiste mit Messtafeln links und rechts. Sylvio Wendt nimmt mit dem Rollmaßband den Durchmesser der Felge vorn. „Um das Fünffache des Felgendurchmessers muss ich nun die Leiste verschieben und den Nullpunkt feststellen“, sagt er. Der Porst-Mitarbeiter markiert sich mit zwei Kreidestrichen den ausgerechneten Abstand auf dem Werkstattboden und verschiebt die Messlatte nach hinten. Auf der linken Messtafel erscheint er roter Punkt bei null.

Der dazugehörige Laser haftet mithilfe eines Magneten an den Traktorfelgen. „Mich hat schon immer große Technik interessiert, eigentlich seit ich laufen kann. Alles, was sich drehte und brummte, war meins“, sagt Sylvio Wendt, während die Punkrockband „Rogers“ aus dem Radio „Ab jetzt gönn ich mir den Spaß, grade heute kommt mir es so vor, als wär’ ich süchtig nach Problemen“ röhrt. Sein Onkel nimmt den Dreikäsehoch seinerzeit zu den ersten Touren auf Traktor und Lkw mit. Nach der Schule lernt er Kfz-Mechaniker bei Toyota. Doch die Fahrzeuge werden ihm bald zu klein, er wechselt zu den Baumaschinen- und Gleisbaumaschinen, bis er bei der Porst-Landtechnik landet.

Sylvio Wendt greift nach einem Ringmaulschlüssel. Er schraubt am Gewinde der Spurstange, um das Rad nach außen zu schieben. Dabei behält er immer den roten Laserpunkt rechts auf der Messlatte im Blick. Stück für Stück arbeitet er sich vor, justiert auch noch mal die linke Seite neu. „Jeder hat hier sein Spezialgebiet. Ich bin zum Beispiel für die Fahrzeuge rund um die Sä-Technik sowie die Gülle und Traktoren zuständig. Die Abwechslung macht unsere Arbeit hier so spannend“, sagt der Spezialist für Getriebe und Motoren. Er blickt nach hinten. Die roten Laserpunkte links und rechts stehen jeweils bei null. Mit Kraft zieht er die Kontermutter fest. Die Spur ist neu eingestellt.

Der Rasentraktor sagt keinen Ton mehr. Deshalb wechselt Patrick Schubert den Anlasser – und schon rollt die Maschine wieder.
Der Rasentraktor sagt keinen Ton mehr. Deshalb wechselt Patrick Schubert den Anlasser – und schon rollt die Maschine wieder. © SZ/Uwe Soeder

Doch entlassen wird der vierrädrige Patient noch nicht. Der Kfz-Mechaniker greift nach einem Rollbrett, um sich unter die Maschine zu schieben. „Ich habe einen Ölfleck gesehen. Ich muss mal schauen, wo er herkommt“, sagt er und leuchtet mit seiner Taschenlampe das Getriebe des Traktors ab. Mit Schwung rollt er wieder vor und greift nach einem Lappen. Er muss sich erst mal freien Blick verschaffen. Dreck krümelt herunter. Er schüttelt sich kurz. „Wir sind ja keine Puppenstubenelektriker“, sagt Sylvio Wendt lachend. Seine Inspektion ergibt keinerlei Makel. Eine Probefahrt soll zeigen, dass er mit seiner Einschätzung richtig liegt. Er startet den Motor. Wenige Sekunden später hört man die Maschine nur noch aus der Ferne.

Der Rasentraktor, den Patrick Schubert gerade in die Werkstatt bugsiert, gibt dagegen gar keinen Laut mehr von sich. „Der Anlasser ist kaputt“, sagt der Servicemitarbeiter für Erntemaschinen. Sein Patient gehört eher zur kleineren Kategorie in der Landtechnik-Werkstatt. Mit einer Viertelzollratsche lockert der 29-Jährige die Schrauben vom Starter. Seit zehn Jahren arbeitet der Pulsnitzer im Unternehmen. Niederlassungsleiter Torsten Müller kommt in die Halle. Wie auch die meisten seiner Kollegen ist er bereits in Kindertagen den Mähdrescherfahrern auf die Felder hinterhergeradelt. „Die Funktionsweise des Mähdreschers hat mich fasziniert. Er schneidet vorn etwas und hinten kommen Stroh, Spreu und Körner geteilt heraus“, sagt der Techniker. Mit dem Beginn der Frühjahrsbestellung beginnt auch bei den Landtechnikern der Hochbetrieb. Dafür wird jede Hand gebraucht. Pro Standort bildet das mittelständische Unternehmen mit inzwischen 75 Mitarbeitern mindestens einen Lehrling zum Land- und Baumaschinenmechaniker aus. „Zusätzlich suchen wir immer gute Leute für unsere Werkstatt, die eine abwechslungsreiche Arbeit interessiert“, sagt der 34-Jährige.

Gute Landtechniker müssten sich nicht nur mit Elektronik und Elektrik auskennen, sondern auch mit Hydraulik und Pneumatik. Zuweilen brauche es neben der Muskelkraft auch ein paar beruhigende Worte für den Landwirt und eben das Geschick eines Chirurgen, weiß Steffen Porst. Wie ein Operateur fühlt sich Martin Dartsch immer noch. Nach einer knappen Stunde hat er liegend im Mähdrescher den Kabelbaum von allen seinen Befestigungen befreit. Stück für Stück zieht er die sich windende Kabelschlange aus dem Bauch des schweigenden Giganten. Die kleine Taschenlampe macht nur sehr viel weniger Licht als das gleißende Licht im OP-Saal.

Martin Dartsch schwingt sich von seiner unbequemen Position wieder nach draußen auf den Werkstattboden. Knatternd zieht sein Kollege Patrick Schubert an ihm vorbei. Der neue Anlasser war mit ein paar Handgriffen schnell wieder eingebaut, nun muss sich die Batterie wieder aufladen. Auch Sylvio Wendt ist von seiner Proberunde mit dem Traktor zurück. Es leckt nichts mehr, auch gut lenken lässt sich das Gefährt wieder. Seine Arbeiten muss er nun noch im Computer dokumentieren. Martin Dartsch dagegen packt den neuen Kabelbaum aus einer Tüte aus.

Nach dem Ausbau kommt der Einbau. „Das ist wie ein großes Puzzle“, sagt der 26-jährige Land- und Baumaschinenmechaniker und verschwindet mit dem neuen Kabelbund bäuchlings in der Erntemaschine. Harte Bässe dröhnen dazu aus dem Radio in der Werkstatt. Systematisch und in aller Stille tastet sich Martin Dartsch wieder von Befestigung zu Befestigung vor. Er ist ganz in seiner Mähdrescher-Welt.