Ist Dresdens Luft wegen Corona sauberer?

Dresden. Viele werden sie in den vergangenen Tagen im Internet gesehen haben - Satellitenbilder, die beweisen sollen, dass die Luft über China, Italien und auch Deutschland sauberer geworden ist. Aber stimmt das? Haben sich Ausgangsbeschränkungen, Schulschließungen und Homeoffice tatsächlich bereits auf die Luftqualität ausgewirkt? Eine Analyse am Beispiel von Dresden.
Was heißt eigentlich saubere Luft?
Es gibt eine ganze Reihe von Schadstoffen, die sich schlecht auf die Luftqualität auswirken. Neben Feinstaub gehört das Gas Stickstoffdioxid dazu. Hauptquelle in Großstädten sind Verbrennungsmotoren. Wird das Gas eingeatmet, treten bei gesunden Menschen normalerweise keine Symptome auf, da es kaum mit der Schleimhaut der oberen Atemwege reagiert. Allerdings schädigt Stickstoffdioxid das Gewebe in den Bronchien und Lungenbläschen. Dies ist besonders bei schon geschädigten Atemwegen problematisch, da es zu verengten Bronchien oder Entzündungen kommen kann.
Fazit: Das Gas Stickstoffdioxid ist ein Schadstoff. Je mehr sich davon in der Luft befindet, desto unsauberer ist sie.
Gibt es jetzt weniger Stickstoffdioxid in der Luft?
Beispiel Dresden-Bergstraße: Schaut man sich die Tagesmittelwerte seit Beginn der Schulschließungen am 18. März an und vergleicht sie mit den Daten, die im vergangenen Jahr zur selben Zeit ermittelt wurden, so lautet das Ergebnis: Die Konzentration an Stickstoffdioxid in der Luft hat 2020 abgenommen.
An rund 25 Tagen fiel der Tagesmitteltwert niedriger aus, zum Teil sehr deutlich. Sind etwa am 29. März 2019 genau 54 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft ermittelt worden, waren es am 29. März 2020 nur neun Mikrogramm.
Dem gegenüber stehen rund zehn Tage, an denen die Tagesmittelwerte in der Corona-Krise höher lagen, jedoch weniger deutlich als andersherum.
Auffällig ist auch, dass im Frühjahr 2019 Stickstoffdioxid-Konzentrationen von durchschnittlich über 50 Mikrogramm am Tag ermittelt wurden. Solche hohen Werte gab es in den vergangenen Wochen überhaupt nicht. Dagegen sind im Frühjahr 2020 etwa fünfmal häufiger Tagesmittelwerte von weniger als 20 Mikrogramm ermittelt worden.
Fazit: Im Vergleich zum Februar, März und April 2019 befindet sich dieses Jahr tendenziell weniger Stickstoffdioxid in der Luft, nimmt man die Tagesmittelwerte der Messtation an der Bergstraße.
Was spricht für, was gegen die Corona-Theorie?
Schulschließungen, geschlossene Geschäfte, Homeoffice, ausgedünnte Bus-Fahrpläne: Mit Sicherheit haben die Corona-Maßnahmen zu weniger Verkehr auf Dresdens Straßen geführt. Das lässt sich auch jetzt noch, nach Eintritt der Lockerungen am Montag, messen. Einen Anhaltspunkt gibt etwa die Staumessung des Verkehrsdienstleisters Tomtom.
Weniger Straßenverkehr bedeutet auch, dass weniger Schadstoffe, insbesondere Stickstoffdioxid, in die Luft gelangen.
Welchen Anteil die Corona-Maßnahmen auf die tendenziell besseren Messwerte in diesem Frühjahr haben, ist allerdings unklar. Der Annahme, der Lockdown habe einen messbaren Erfolg gebracht, widerspricht zum Beispiel der Fakt, dass sich die Stickstoffdioxid-Konzentration an der Bergstraße schon weit vor den Schulschließungen auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau befand. Die Kurve von Mitte Februar bis Mitte März zeigt keine Schwankungen, die sich vom restlichen Verlauf unterscheiden.
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Für einen minimalen Effekt könnte aber sprechen, dass seit Ende März schon mehrfach niedrigere Konzentrationen von 10 Mikrogramm und weniger festgestellt wurden, was wiederum vor den Corona-Maßnahmen nicht der Fall war.
Fazit: Für die Corona-Theorie spricht, dass es ab der Schließung von Geschäften und Schulen mehr Tage mit deutlich niedrigeren Stickstoffdioxid-Konzentrationen gab. Dagegen spricht, dass die Tageswerte bereits im Februar - also vor den Corona-Maßnahmen - häufig niedriger waren als zur selben Zeit im vorigen Jahr.
Haben die Corona-Maßnahmen nun zu besserer Luft geführt?
Die Bewertung der Messkurven obliegt den Experten des sächsischen Landesumweltamtes. Und dieses zeigt sich noch äußerst zurückhaltend mit einer Einschätzung. "Es ist äußerst schwierig, bereits nach so kurzer Zeit eine Bewertung zur Luftqualität abgeben zu können", so Sprecherin Karin Bernhardt. So müsse mindestens das Ende der Corona-Krise in Sachsen und in den benachbarten Ländern, noch besser das darauf folgende Kalenderjahr abgewartet werden. Anschließend würde man den meteorologischen Einfluss aus den Daten „herausrechnen".
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Denn das Wetter könnte sowohl für die vergleichsweise hohen Werte im Frühjahr 2019 verantwortlich sein als auch für die niedrigen Werte in den vergangenen Wochen.
Kräftiger Wind hilft zum Beispiel, die Schadstoffe schnell zu verteilen und lässt die Konzentrationen sinken. Treten dagegen austauscharme Wetterlagen auf, reichern sich die Schadstoffe in der Luft an, erhöhte Konzentrationen sind die Folge. Diese Effekte führen zu kurzfristigen Schwankungen der Stickstoffdioxid-Konzentrationen.
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"Grundsätzlich liegt es natürlich auf der Hand, dass ein verringerter Ausstoß von Luftschadstoffen zu einer besseren Luftqualität führt", so Bernhardt. "Man kann es nur jetzt noch nicht in Zahlen fassen."
Um das Wetter herauszurechnen, gibt es ein wissenschaftliches Modell, das im Auftrag des Landesumweltamtes bereits im vergangenen Jahr erfolgreich angewendet wurde und auch nach der Corona-Krise verlässliche Ergebnisse liefern soll.
Fazit: Eine eindeutige Antwort ist aktuell nicht möglich. Das Wetter könnte sowohl die Werte in diesem Frühjahr als auch im vergangenen so beeinflusst haben, dass sich ein zusätzlicher Corona-Effekt zumindest jetzt schon schwer nachweisen lässt. Forscher wollen deshalb noch weitere Monate lang Messdaten auswerten, bevor sie eine eindeutige Antwort geben.
Könnte Dresdens Luftreinhalteplan gelockert werden?
In Dresden gilt derzeit kein Diesel-Fahrverbot in der Innenstadt. Dafür versucht die Stadt, mit einem Luftreinhalteplan, die Luftqualität zu verbessern. Dazu gehört etwa die Anhebung der Parkgebühren, um mehr Menschen zum Umstieg auf Bus und Bahn zu bewegen. Auch ein dauerhaftes Tempolimit von 100 km/h auf Dresdens Autobahnen ist ein erklärtes Ziel. Muss dieser Plan jetzt vielleicht gar nicht mehr so scharf umgesetzt werden?
Das Umweltbundesamt betont, selbst wenn die Corona-Maßnahmen einen messbaren Effekt auf die Luftqualität hätten, so werde dieser nur kurzfristig sein. Ausschlaggebend für Luftreinhaltepläne und angeordnete Maßnahmen seitens der Europäischen Union seien Grenzwerte. Und der Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft bezieht sich auf das gesamte Kalenderjahr und nicht auf einzelne Tage. "Es ist davon auszugehen, dass der Straßenverkehr in einigen Wochen wieder auf das übliche Maß oder sogar darüber ansteigt", sagt Ute Dauert vom Umweltbundesamt. Auf das ganze Jahr bezogen seien deshalb keine nennenswerten Verbesserungen zu erwarten. Daher bestehe auch kein Anlass, Fahrverbote aufzuheben.
Fazit: Aus zwei Gründen warnt das Umweltbundesamt davor, jetzt Luftreinhaltepläne zu lockern. Einerseits stehe eben noch gar nicht fest, welchen Einfluss die Corona-Maßnahmen überhaupt auf die Luftqualität haben. Andererseits wisse niemand, wann Deutschland in den Normalbetrieb zurückkehre und wieder genauso viele Autos und Lkw auf den Straßen sind wie vorher. Auf den Jahresdurchschnitt komme es an.
Und wie sieht es mit dem Lärm aus?
Dort ist der Corona-Effekt eindeutiger. Denn es sind nicht nur deutlich weniger Autos unterwegs. Stillstand herrscht auf dem Dresdner Flughafen. Anwohner bekommen die positiven Auswirkungen der Pandemie also gleich doppelt zu spüren.
Daten des Deutschen Fluglärmdienstes zeigen, dass der Gesamtlärm über den ganzen Tag in Rähnitz in den vergangenen Wochen sichtbar abgenommen hat. Noch deutlicher ist der Effekt, wenn man sich nur den Lärm zwischen 6 und 18 Uhr anschaut. Im April ist in diesem Zeitraum bisher ein durchschnittlicher Dauerschallpegel von rund 21 Dezibel festgestellt worden. Im April letzten Jahres waren es gerundet 55 Dezibel. Kein Wunder, starten und landen in Klotzsche seit Wochen keine Linienflugzeuge mehr. Trotz Lockerungen sind bis zum Montag auch keine Maschinen angekündigt worden.
Fazit: Kann ein Corona-Effekt auf die Luftverschmutzung bislang nur schwer nachgewiesen werden, ist das bei Lärm eindeutiger. Weniger Straßen- und Luftverkehr zeigen zum Beispiel im Flughafen-Umfeld, dass die Tage dort wesentlich ruhiger geworden sind, seitdem das Leben in der Corona-Krise heruntergefahren wurde.
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