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Nun heul doch endlich!

Am Elbufer schlägt am Freitag die Stunde der Kurzfilme. Die machen neugierig aufs nachgeholte Dresdner Filmfest im September.

Von Oliver Reinhard
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Der findige Burak (Walid Al-Atiyat) steht vor einer schweren Aufgabe. Er will seinem frisch von der Freundin abservierten Kumpel Tolga das Weinen beibringen. Doch der ist überhaupt nicht traurig über die Trennung. Stimmt was nicht mit ihm?
Der findige Burak (Walid Al-Atiyat) steht vor einer schweren Aufgabe. Er will seinem frisch von der Freundin abservierten Kumpel Tolga das Weinen beibringen. Doch der ist überhaupt nicht traurig über die Trennung. Stimmt was nicht mit ihm? © Filmfest Dresden

Tolga plagt ein Problem. Seine Freundin hat sich von ihm getrennt, eigentlich eine traurige Sache, aber eben nur eigentlich. Und Tolga ist weder traurig, noch kann er über den Laufpass Tränen vergießen. Beides würde er aber gerne, weil: Das gehört sich doch so. Eigentlich. Also fragt er seinen Kumpel Burak. Tatsächlich hat der findige Dönerverkäufer gleich mehrere Tipps auf Lager: „Hör dir diesen Song an, Allta, ich schwör dir, du weinst garantiert.“ Aber Tolga muss nicht weinen. Auch nicht, als Burak ihm rät, er solle an den Tod seiner Oma denken. Ebenso wenig, als er Tolga eine riesige frisch geschnittene Zwiebel unter die Augen hält ... „Ich spür nichts, Allta.“

Muss man immer so reagieren, wie alle Welt es von einem erwartet? Um diese existenzielle Frage geht es in „Und weinen können“, einem Kurzfilm von Michael Nathansky. Der herrliche Zwölfminüter wird dabei sein, wenn am Freitag direkt an der Elbe die große Stunde der Kurzfilme schlägt. Seit Jahren ist dort die lange Nacht der Kleinen eine konsequent gepflegte Tradition, und oft genug landete sie unter den Lieblingsveranstaltungen bei den Filmnächten am Königsufer in der Publikumsgunst ganz weit vorne. Diese Ausgabe wird jedoch eine besondere sein. Ausrichter ist das Filmfest Dresden. Das findet jedes Jahr im April statt und zeigte im Sommer auf der Großleinwand bisher viele der Preisträger des nationalen und internationalen Wettbewerbs als eine Art Best-Of-Nachlese. Doch da das Filmfest 2020 in den September verschoben werden musste, wird der Kurzfilmrückblick nun zur Vorschau.

Mehr Leichtigkeit

Sylke Gottlebe sieht darin eine verständlicherweise sehr willkommene Abwechslung. „Für uns ist das eine große Chance, ein sehr zahlreiches Publikum neugierig zu machen auf das, was bei uns im September geschehen wird“, sagt die Leiterin des Internationalen Kurzfilmfestivals Dresden. „Außerdem können wir das Programm jetzt viel freier zusammenstellen. Schließlich haben wir ja noch keine Preisträger, deren Präsentation bei der Kurzfilmnacht am Elbufer eigentlich immer obligatorisch war.“

Was dazu führen wird, dass der Abend auch inhaltlich besonders daherkommt, nämlich heiter. Obwohl Sylke Gottlebe das Wort genauso wenig mag wie niedrigschwellig: „Denn das klingt so leichtgewichtig“. In herkömmlichen Jahrgängen dominiert im Kurzfilmprogramm das menschliche Drama, die Tragik, der schmerzhafte Seelenbruch. Junge Filmemacher und -innen sind großteils recht existenzialistisch drauf und packen sehr gerne die ganze globale Tragik in zwölfeinhalb möglichst betroffen machen sollende Minuten. Um nicht womöglich den Eindruck zu erwecken, sie seien gar gesellschaftunkritische Künstler und nur auf Problemablenkung aus.

Es gibt auch wieder Vorfilme

In diesem Jahr aber wurden bei der Auswahl „positive, humorvolle, optimistische und lebensbejahende Filme“ berücksichtigt, unter anderem aus Deutschland, Österreich, vom Balkan, aus der Schweiz. Nicht zuletzt, weil das wahre Leben seit März ohnehin überreich ist an sehr ernsthaften und oftmals eher unerfreulichen Seiten. „Auch wenn ,Appetithäppchen‘ noch so ein Wort ist, das ich eigentlich nicht besonders mag: Wir wollen, dass unser Programm dem Zuschauer auch schmeckt“, sagt Sylke Gottlebe. Und wer sich für Filme nur ein wenig intensiver interessiert, der weiß, dass auch darin der Humor oftmals viel anspruchsvoller ist und tiefer geht als ausschließlicher Bierernst.

Die etwas andere lange Kurzfilmnacht ist nicht das einzige Novum der Saison: Schon am 26. Juni ist am Elbufer die Aktion „Kurz vor Film“ gestartet. Seither laufen an vielen Abenden vor den Haupt- auch Kurzfilme, wie es jahrzehntelang im Kino üblich war. Für Sylke Gottlebe, die ein langes Vorleben als Gründerin und Leiterin der deutschen AG Kurzfilm hatte, ist das die zumindest temporäre Erfüllung eines Traums. „Wir arbeiten schon seit vielen Jahren daran, den Kurzfilm wie früher als Vorfilm in die Kinos zurückzubringen. Insofern ist das jetzt für uns und auch ganz persönlich für mich ein großes Geschenk.“

Seit Jahren Partner

Abgebrochen wurde die Tradition einst, weil die Werbung in den Kinos immer länger und für den Haushalt der Betreiber immer wichtiger wurde, sodass irgendwann kein Platz – und kein Geld – mehr für den Vorfilm da war; die Zuschauer wollen ja nicht ewig auf den „Star“ des Abends warten. „Das gilt natürlich am Elbufer ebenso“, weiß Sylke Gottlebe. „Auch dort läuft Werbung, hinzu kommen die Trailer der Partner und Förderer der Filmnächte. Da ist das zusätzliche Platzieren eines Kurzfilms nicht eben einfach.“ Dennoch haben die Filmnächte zusammen mit dem Festival, der Kurzfilmagentur Hamburg und der Filmförderungsanstalt FFA an dreißig Abenden für Dresden den „Vorfilm“ ermöglicht. Ein Beweis, dass man manchmal durchaus einfach nur wollen muss, am besten gemeinsam und das Gleiche.

Das ist bei den beiden Dresdner Institutionen gelegentlich der Fall: Sie sind schon seit Jahren Partner, außerdem war die Gründerriege des Filmfestes und der Filmnächte großteils identisch. Filmnacht-Geschäftsführer Matthias Pfitzner hob das Festival mit aus der Taufe, sein Partner Johannes Vittinghoff und er sitzen seit vielen Jahren in der Filminitiative Dresden, dem Trägerverein des Kurzfilmfestes.

Die Dresdner Kurzfilmnacht am Elbufer beginnt am 17. Juli, 21.30 Uhr. Einlass ab 20.30 Uhr. Tickets unter: filmfest-dresden.de