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Mit dem Wasserstoff-Shuttle in die Stadt

Noch ist das Zukunftsmusik. Doch in Görlitz soll das Wirklichkeit werden. Dafür entsteht bei Siemens etwas Einmaliges.

Von Sebastian Beutler
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Antonio Hurtado von der TU Dresden, der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu und der Görlitzer Siemens-Chef Ronald Schmidt wollen eng zusammenarbeiten, um neue Produkte, neue Firmen und neue Jobs in der Stadt und der Region zu entwickeln.
Antonio Hurtado von der TU Dresden, der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu und der Görlitzer Siemens-Chef Ronald Schmidt wollen eng zusammenarbeiten, um neue Produkte, neue Firmen und neue Jobs in der Stadt und der Region zu entwickeln. © Pawel Sosnowski

Antonio Hurtado schnüffelte sich erst einmal durch die Siemens-Werkhalle. Eigentlich war der Prorektor der Technischen Universität Dresden zusammen mit Ministerpräsident Michael Kretschmer am Montag nach Görlitz gekommen, um eine Zusammenarbeit auf dem neuen Wasserstoff-Campus bei Siemens zu unterzeichnen.

Doch der gebürtige Spanier, der seit 2007 Wasserstoff- und Kernenergietechnik in Dresden lehrt, seit zwei Jahren Prorektor für die Universitätsentwicklung ist und zwischenzeitlich als Aufsichtsratsvorsitzender auch den Fußballverein Union Berlin zurück zum Erfolg brachte, erinnerte der Geruch an seine ersten Berufsjahre. Schließlich sei er einmal Technischer Zeichner gewesen und Maschinenbauingenieur. Und da habe er den feinen Geruch von Maschinenöl lieben gelernt.

Neue Ideen, neue Firmen, neue Jobs

Mit Maschinenöl ist aber bei den Projekten kaum noch ein Staat zu machen, die die Technische Universität zusammen mit Fraunhofer-Instituten und Siemens auf dem Innovationscampus in Görlitz verwirklichen will. Beispielsweise könnte ein autonom fahrendes Shuttle mit Wasserstoffantrieb entstehen, also ein flexibel einsetzbares Fahrzeug, das beispielsweise als Ruftaxi problemlos aus kleineren Ortschaften Bürger zum nächstgelegenen Zentrum bringen kann.

Die Vorbereitungen für das Projekt sind bereits vorangeschritten. Die TU Dresden gründet daher einen Zweigcampus ihres Instituts für Automobiltechnik Dresden auf dem Siemens-Campus. Ziel ist es einen Prototyp zu entwickeln, der dann im öffentlichen Nahverkehr getestet und auch anschließend in die Produktion überführt werden kann. Deswegen haben nicht nur Hurtado für die TU Dresden und der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu sowie der Görlitzer Siemens-Chef Ronald Schmidt die Vereinbarung unterzeichnet, sondern auch die Görlitzer Verkehrsbetriebe und der regionale Verkehrsverbund Zvon sind mit im Boot.

Mit der Forschung sollen neue Wertschöpfungsketten in und für die Lausitz gebildet werden: von der Entwicklung von modernen Produkten, über deren Herstellung bis zum weltweiten Einsatz. Genutzt werden sollen dabei die vorhandenen Kenntnisse in der Region, also der Fahrzeugbau, die Energietechnik und der Kunststoffbau. So sollen neue Unternehmen und neue Jobs entstanden sein, ehe 2038 die Lausitz aus dem Kohleabbau aussteigt. 

Um Ingenieure bei der Firmengründung zu helfen, haben zugleich die Hochschule Zittau/Görlitz und die Handelshochschule Leipzig angekündigt, mit ihren Fachleuten diese Prozesse zu begleiten. Für die Handelshochschule Leipzig ist das, wie Rektor Stephan Stuber der SZ sagte, Neuland an einem solchen Standort wie dem Görlitzer Siemens-Werk.

Das Leichtbau-Fahrzeug ist nur eines von vier Vorhaben, die die TU Dresden für den Görlitzer Campus vorbereitet. Diese Projekte umfassen, wie Sprecher Konrad Kästner mitteilt, typischerweise zwei bis zehn Wissenschaftler zuzüglich technischem Personal in ähnlicher Höhe. „Ziel ist es, einen dauerhaften Forscherstamm aufzubauen, der um Forscher aus dem In- und Ausland ergänzt und erweitert wird.“ Fraunhofer hatte zusammen mit Siemens im Sommer erst angekündigt, rund 100 Stellen auf dem Innovationscampus zu schaffen. Wie Roland Schmidt, der zugleich Leiter des Siemens-Geschäfts Industriedampfturbinen ist, gegenüber der SZ erklärte, laufen die Vorbereitungen für den Campus. Er hoffe, dass spätestens 2022 dann auch mehr zu sehen sein wird.

Zukunftsmusik: So stellen sich Wissenschaftler ein Wasserstoff-Shuttle für den Nahverkehr im ländlichen Raum vor. 
Zukunftsmusik: So stellen sich Wissenschaftler ein Wasserstoff-Shuttle für den Nahverkehr im ländlichen Raum vor.  © Vorlage: Fraunhofer-Institut Zittau

Auch die TU Dresden drängt auf Tempo. Findet sie auf dem Görlitzer Zweigcampus doch Voraussetzungen vor, die sie sonst nirgends hat. Denn das Siemens-Gelände gilt als Industriegebiet, sodass hier die Wissenschaftler Fahrzeug- und Antriebsversuche in explosionsgeschützter Umgebung durchführen können. Solche Prüfanlagen sind deutschlandweit derzeit nicht vorhanden – aber sehr begehrt.

 Zum anderen will Görlitz moderne Technologien selber nutzen, um klimaneutrale Stadt der Zukunft zu werden. Die Stadt könnte dadurch zum Testgebiet für neue Produkte aus ihren eigenen Firmen und Forschungsinstituten werden. Und die Lausitz mit ihrer ländlichen Struktur ist für die TU Dresden eine ideale Ergänzung ihrer bislang auf Dresden und Leipzig konzentrierten Aktivitäten. „Am Innovationscampus Görlitz entsteht eine einmalige Forschungsinfrastruktur“, fasst TU-Sprecher Konrad Kästner zusammen.

Weniger Stellen bei Siemens weg

Dass sich die Partner in Görlitz auf Wasserstoff konzentrieren werden, war schon länger absehbar. Für Antonio Hurtado ist klar, dass für den öffentlichen Nahverkehr der Zukunft Wasserstoff nötig sein wird, neben rein batterieelektrischen Antrieben. Deswegen will die Bundesregierung noch vor Weihnachten ihre Wasserstoff-Strategie veröffentlichen, bilden sich derzeit bundesweit Zentren, um Wasserstoff zu erforschen und zu nutzen, auch die Lausitz arbeitet an einer solchen Strategie, Zentren haben sich rund um die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg und die Hochschule Zittau/Görlitz gebildet.

Die Küstenbundesländer wiederum wollen den Windstrom vom Meer in Form von Wasserstoff speichern und später wieder zur Verfügung stellen, wenn er gebraucht wird. Ronald Schmidt jedenfalls hofft auf weitere Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft für seinen Innovationscampus, Technologie- und Industrieunternehmen, Start-ups sowie Forschungsinstitute seien willkommen. Und hat auch von den Industriedampfturbinen gute Nachrichten: Trotz schwieriger Märkte sei das Görlitzer Turbinenwerk gut ausgelastet, müsse am Ende wahrscheinlich weniger als die 170 von rund 750 angekündigten Stellen streichen und suche gegenwärtig schon wieder – Ingenieure. 

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