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Mit Wasserstoff die Oberlausitz retten

In Görlitz tüfteln Schüler an Miniautos mit Brennstoffzellen. Die Technologie könnte auch bei Angela Merkel und Joe Kaeser heute Thema sein.

Von Susanne Sodan
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Frank Dörfer mit dem Modellsatz für ein Wasserstoffmodellauto.
Frank Dörfer mit dem Modellsatz für ein Wasserstoffmodellauto. © Nikolai Schmidt

Da kommt die Leidenschaft für Naturwissenschaften durch bei Frank Dörfer. Er ist der Schulleiter der Scultetus-Oberschule. Und weiß, wie eine Brennstoffzelle funktioniert. „Sie kann beides“ erklärt er. „Sie kann destilliertes Wasser in seine Bestandteile zerlegen, also in Wasserstoff und Sauerstoff“, erklärt er, während er winzige Schläuche von kleinen Wasserbehältern zu der Brennstoffzelle führt, die als Elektrolyt dient. Und sie kann aus der Reaktion von dem so erzeugten Wasserstoff mit Sauerstoff wiederum elektrische Energie erzeugen. Genug, dass ein Auto damit fahren kann. Die kleinen Wasserbehälter, Schläuche, Drähte und die Brennstoffzelle: Dass es sich bei dem Aufbau auf Frank Dörfers Schreibtisch um ein kleines Auto handelt, ist vor allem an den vier Rädern unter dem Modell zu erkennen. Die Schüler werden ihr Wasserstoff-Miniauto noch individuell gestalten. Aber ums Design geht es eigentlich nicht.

Wie eine Brennstoffzelle funktioniert, weiß sicher auch Kanzlerin Angela Merkel als promovierte Physikerin. Möglicherweise ist die Technologie auch Thema, wenn sie und Siemens-Che Joe Kaeser am heutigen Montag zu Gast in Görlitz sind. Es soll ein Memorandum of Understanding, eine Absichtserklärung zwischen verschiedenen Partnern, unterzeichnet werden. Es geht dabei um die Frage, wie die Region sich weiterentwickeln soll, mit welchen Entwicklungen und Technologien. Beteiligt an dem auch als „Zukunftspakt Siemens Görlitz“ bezeichneten Papier sind der Freistaat, Siemens und die Fraunhofer-Gesellschaft. Siemens ist bestrebt, den Oberlausitzer Standort unabhängig von kohlenstoffhaltigen Energieträgern zu machen. Industriedampfturbinen sind dabei ein Punkt. Immer wieder wurden auch die Brennstoffzellen-Technologie und Wasserstoff genannt.

Die Wirkweise einer Brennstoffzelle ist schon sehr lange bekannt, sagt Frank Dörfer. Sogar schon seit 1838. „Mir erschließt sich nicht, warum diese Technologie nicht viel stärker im Einsatz ist. Wir wollen zeigen: Das funktioniert.“ Mit „wir“ sind alle Oberschulen und beide Gymnasien von Görlitz gemeint, außerdem machen die Oberschulen von Mücka und Rothenburg mit. Überall tüfteln die Schüler gerade an kleinen Wasserstoffautos. Das Grundmodell kann man kaufen, das versuchen die Schüler jetzt so aufzurüsten, dass ihr kleines Brennstoffzellenauto möglichst schnell unterwegs ist. Damit veranstalten die Schulen zum Altstadtfest einen Parcours.

In der Oberschule Innenstadt haben Schüler der achten und neunten Klasse an ihrem Auto getüftelt, „es sind sechs technikbegeisterte Schüler“, sagt Silvio Nerger. Als Physiklehrer begleiten er und ein Kollege an der Innenstadt-Oberschule das Projekt. Ihr Mobil ist auch schon fertig, „Ich habe es schon gesehen“, sagt die stellvertretende Schulleiterin Angelika Hahn, „sieht wirklich gut aus.“

Hinter der Aktion mit den Mini-Wasserstoffautos stehen die Schülerräte der Görlitzer und einiger anderer Schulen der Region, die sich zusammengetan haben, um ihre Ideen für die Zukunft der Oberlausitz einzubringen. Das Projekt zu Wasserstoff und Brennstoffzelle hatte mit einem Treffen angefangen, zu dem die Oberschule Innenstadt die Schülerräte, Schüler, Lehrer eingeladen hatte. Dahinter stehen auch die Debatten um die „Fridays for Future“-Demos, erzählt Thomas Warkus, Leiter der Oberschule Innenstadt. Auch in Görlitz waren Schüler für den Umweltschutz laut geworden, haben im März zu einer großen Freitags-Demo aufgerufen, waren im April Müll sammeln. Für die Schüler, nicht nur in Görlitz, stellt sich auch die Frage: Wie weiter? Anfang August wird es in Dortmund einen fünftägigen Sommerkongress in geben. In Görlitz fand eine Art Kongress bereits vor einigen Wochen mit dem Treffen in der Oberschule Innenstadt statt. „Von Berufsschulzentrum bis Oberschule waren alle dabei“, erzählt Thomas Warkus. „Wir wollten diskutieren, was können wir tun für die Zukunft der Region.“ Es wurde gestritten, erzählt Warkus, einig sei man sich aber bei der Frage gewesen, dass man konkret aktiv werden will. Mit dabei war ein Vertreter von Siemens, der die Zukunftspläne des Unternehmens vorstellte – und dabei auch Wasserstoff und Brennstoffzelle nannte.

„Wir wollen aus den Schulen heraus ein erstes Zeichen setzen“, sagt Thomas Warkus. Die Arbeit an den Mini-Wasserstoffautos und der Parcours zum Altstadtfest, sie sollen ein Startsignal sein. Zum Altstadtfest gibt es nicht nur den Parcours, sondern auch Infos zu Brennstoffzelle und Wasserstoff. Die Schüler der Innenstadt-Oberschule fragen zu Beispiel nach den Herausforderungen der Brennstoffzelle.

Bei der Scultetus-Oberschule geht es um die Historie. Heute kann Wasserstoff eine Alternative sein zu E-Mobilität, erklärt Schulleiter Frank Dörfer. „Wenn Sie heute ein E-Auto mit einem geringen Ladestrom aufladen, dauert das Stunden.“ Es gibt inzwischen Schnellladestationen mit 350 bis 450 Kilowatt, mit denen ein E-Auto in 15 bis 20 Minuten geladen ist. So eine wurde erst vorige Woche am Görlitzer Bahnhof eingeweiht. In der Masse aber wären solche Schnellladestationen mit dem jetzigen Ausbau des Stromnetzes schwerlich bereitzustellen, sagt Frank Dörfer: Würden irgendwann tatsächlich E-Ladesäulen in gleichem Maße genutzt wie Benzin- und Dieseltankstellen, würde das Stromnetz in seiner jetzigen Form das nicht mitmachen, erklärt er.

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