Chefinnen-Wechsel im Obdachlosenheim

Riesa. Auf ihre Bewohner lässt Ute Grajek nichts kommen, das war schon immer so. Gerade erst hätten einige von ihnen aus eigenem Antrieb ein Zimmer renoviert, das wieder frei wurde. "Geplant hatten sie ein Wochenende dafür, von Freitag bis Sonntag", sagt die Leiterin des Riesaer Obdachlosenheims, "aber am Ende hatten sie es innerhalb eines einzigen Tages geschafft."
Geschichten wie diese erzählt Ute Grajek gern - und sie hat viele davon parat nach 20 Jahren in der DRK-Einrichtung an der Klötzerstraße in Riesa. Obdachlose haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Zu Unrecht, betont Grajek. Ja, es gehöre oft auch Eigenverschulden dazu; aber eben nicht allein. "Sie gehören zur Gesellschaft dazu", sagt Ute Grajek über die Bewohner. Hinter jedem steckt ein Menschenwesen, betont sie, jeder bringt schon seine Vita mit. "Wir wollen die Menschen hier nicht verwalten." Darauf habe sie in den 20 Jahren als Heim-Chefin immer geachtet. "Wir schubsen, aber die Ausführenden sind die Bewohner selbst." Das Riesaer Konzept, bei dem die Bewohner selbst in der Pflicht sind, würde in einer Großstadt wahrscheinlich nicht aufgehen, vermutet Ute Grajek.
Mehr als 100 Bewerbungen geschrieben
Die Corona-Pandemie hat an der Arbeit Obdachlosenheim wenig verändert. "Unsere Bewohner haben sich informiert oder eben nachgefragt und von selbst einen Mundschutz organisiert", erklärt die Leiterin. Ansonsten lief alles wie immer: Morgens zwischen 6 und 8 Uhr Frühstück, danach ging es an die Aufgaben, die schon am Vortag festgelegt wurden. Dazwischen ist sie viel im Haus unterwegs. "Man muss immer kontrollieren", sagt Ute Grajek. Wer das nicht macht, hat schon verloren. Vor allem geht es darum, die Bewohner wieder fit zu machen für das Leben in der eigenen Wohnung - aber nicht nur: Zuletzt hat Ute Grajek etwa viel mit den Ämtern telefoniert, weil einer Bewohnerin die Witwenrente nicht mehr ausgezahlt wurde.
Die Arbeit als Leiterin des Obdachlosenheims sei für sie ein Fünfer im Lotto gewesen, sagt sie. Dabei kam die 65-Jährige auf Umwegen zu diesem Traumberuf. Nach der Wende war für die ehemalige Staatsbürgerkunde- und Geschichtslehrerin im Schulsystem kein Platz mehr. Es folgte jahrelange Arbeitslosigkeit, flankiert von verschiedenen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Besonders befriedigend war das nicht, erzählt sie. "Ich habe über 100 Bewerbungen geschrieben in dieser Zeit, viele Maßnahmen waren nur befristet." Und es musste passen, sagt sie. Seine Arbeit müsse man schon mit einem gewissen Herzblut angehen können. "Ich hätte nie gedacht, dass das mal mein Traumjob wird", sagt Ute Grajek heute.
Nachfolgerin hatte sich auf andere Stelle beworben
Als sie ihre Stelle antrat, war das Heim gerade selbst im Umzug begriffen. Von der Elbe ging es an die Klötzerstraße. Der Standort ist heute in die Jahre gekommen, schon unter Oberbürgermeister Köhler wurde über eine Alternative diskutiert. Ein Ergebnis gibt es bis heute nicht, nachdem zuletzt das Riesaer Ölwerk gegen einen möglichen neuen Standort in seiner Nachbarschaft Einspruch eingelegt hat. Ute Grajek gibt sich keine Mühe, ihren Frust darüber zu verbergen. "Seit 2000 sind so viele Objekte im Gespräch gewesen, über Jahre hinweg ist richtig Geld geflossen." Auch seitens der Verantwortlichen beim DRK seien viele Stunden Arbeit für die Katz - schließlich wurden die Objekte auch alle besichtigt. "Die Bewohner sind auch stinkig", erklärt sie. Das Gebäude an der Klötzerstraße gilt schon lange als Zumutung. Bei ihrer offiziellen Verabschiedung am Mittwoch will sie das Thema auch noch einmal mit dem Oberbürgermeister besprechen, sagt sie.
Die Nachfolge ist dagegen schon geregelt. Dass das DRK Lisa Smyrek gefunden habe, sei ein Glücksfall, findet Grajek. Die junge Frau hatte sich nach ihrer Elternzeit eigentlich auf eine andere Stelle beworben. DRK-Geschäftsführer Falk Glombik fragte sie dann, ob sie sich auch die Arbeit im Obdachlosenheim vorstellen könne. "Ich hatte nach einer Besichtigung gleich ein gutes Gefühl", erzählt Lisa Smyrek, die zuvor als Jugendhelferin in Meißen gearbeitet hatte. "Die Problemlagen sind hier ähnlich wie dort." Sozialarbeiter sind derzeit rar gesät, erklärt Ute Grajek. Sie habe nicht damit gerechnet, dass der nahtlose Übergang klappt.
Der gute Umgangston wird fehlen
Die Rente will Ute Grajek nun unter anderem zum Reisen nutzen, sobald das wieder möglich ist. In der Welt war sie schon viel unterwegs, eigentlich sollte es demnächst ins Isergebirge gehen. "Ich bin kein Strandurlauber", erzählt sie. Es muss schon etwas aktiver sein. Vor allem das Zwischenmenschliche werde ihr fehlen, sagt die Heimleiterin, und für einen Moment muss sie die Tränen zurückhalten. "Der Umgangston hier ist gut, es grüßt jeder freundlich; so etwas kostet kein Geld, und das geht draußen etwas verloren."