Prager Altstadt? Bloß raus!

An einem Sonnabendnachmittag bei schönstem Sonnenschein an einer Kreuzung kurz vor der Prager Karlsbrücke. Als die Ampel auf Grün schaltet, kommt uns eine Menschenmasse entgegen, als würde sich gerade das Dynamo-Stadion durch einen einzigen Ausgang leeren. Die Straße lässt sich erst überqueren, als die Ampel schon wieder Rot zeigt.
Nicht anders geht's auf dem Altstädter Ring zu. Schon immer wollten Hunderte Touristen vor der berühmten astronomischen Uhr den stündlichen Zug der zwölf Apostel miterleben. Aber jetzt sind es gefühlt Zehntausende. Sie alle strecken das Smartphone gen Rathausturm. Auf dem Markt nebenan geht es genauso eng zu, außerdem grölen hier besoffene, englische Hools und kicken leere Bierdosen zwischen die Passanten. Und niemals im Leben haben wir so viele Junggesellenabschiede auf einmal erlebt. Prag scheint die deutsche Hauptstadt dieser Bewegung geworden zu sein.
Jetzt ahnen wir, was die Touristiker mit „overtourism“ meinen. Dazu muss man nicht nach Rom oder Venedig fahren, Prag genügt. Nach einem mäßigen Essen zu überhöhten Preisen ist endgültig klar: Bloß weg hier! Das nächste Mal kommen wir an einem Montag im Winter wieder.
Für den Sonntag nehmen wir uns vor, die Außenbezirke zu erkunden. Wir wollen sehen, ob es sich lohnt, nach Prag zu fahren und ohne Innenstadt glücklich zu sein.
Das sind die Alternativen zu den Touristen-Hotspots
Es ist nicht zu fassen: Kaum ist die Wilsonova, die autobahnähnliche Trasse am Hauptbahnhof überquert, ist fast kein Tourist mehr zu sehen. Direkt dahinter liegt Vinohrady mit einem großen Park, der früher mal ein Weinberg war. Ein Stück weiter die Mánesova entlang: Jugendstil- und Historismus-Straßenzüge vom Feinsten.
Weiter südlich liegen ruhige Straßen, sie erinnern an die Dresdner Neustadt, nur viel grüner. Hier gibt es alternative Geschäfte und Lokale, es war das Lieblingsviertel der geschätzt 50.000 jungen US-Amerikaner, die in den 1990ern hier „Change“ miterleben wollten. Einige Gay Bars sind dort zu finden und im Bistro kann es passieren, dass die Wirtin mitteilt, dass es heute leider kein Omelett gibt, weil sie das nicht kann. Aber Suppe kann sie austeilen oder Salat schnipseln. Knödel sind hier unbekannt.
Ein Stück weiter östlich liegen die großen Friedhöfe, darunter ein orthodoxer und der Neue jüdische Friedhof. Im Gegensatz zum völlig überlaufen alten, über den die Besuchermassen inzwischen über Holzplanken zwangsgeführt werden, kann man hier nahezu allein schlendern, Prager Geschichte einatmen und in aller Ruhe nach dem Grab von Franz Kafka suchen.
Von dieser Ecke aus ist man rasch in Žiž-kov, dem Arbeitervorort, den immer mehr Kreative entdecken und umgestalten. Mit jeder Menge Bierkneipen, Fußballstadien, Kirchen und Theatern. Die Straßenzüge voller Leben erinnern an den Leipziger Osten.
Zum Schluss geht es hoch auf den Vitkov-Hügel, wo die Tschechen Hussitenführer Jan Zizka ein gigantisches Denkmal gesetzt haben. Hier finden wir die schönsten Ausblicke über die Altstadt, die Kleinseite und den Hradschin. Und selbst hierher verirren sich am Sonntag nur vereinzelt Touristen. Prager Familien sind beinahe unter sich. Also: Wer es noch nicht kennt, unbedingt herfahren und die Randbezirke entdecken!