SZ + Sport
Merken

Sachsens beste Fußballerin weiß, was die Frauen erwartet

Am Samstag spielen die deutschen Frauen bei der WM gegen Schweden. Anja Mittag hat jahrelang dort gespielt. Ihre Prognose.

Von Daniel Klein
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
© Josefine Loftenius/Bildbyran via ZUMA Press/dpa

Das Viertelfinale am Samstag wird sie nicht mehr live im Stadion sehen, am Dienstag war ihre Frankreich-Rundreise zu Ende. Dabei ist das Duell Deutschland gegen Schweden für Anja Mittag ein ganz spezielles. 158 Länderspiele hat die Chemnitzerin für die DFB-Elf bestritten, gut fünf Jahre war sie für schwedische Klubs im Einsatz, erst im Mai hatte sie ihren Dienst beim FC Rosengard quittiert. Das prägt. Beides. Schweden sei für sie eine zweite Heimat geworden, sagt die 34-Jährige im SZ-Gespräch. „Aber natürlich drücke ich trotzdem der deutschen Elf die Daumen.“

Wobei sie das wahrscheinlich gar nicht müsste. Mit einem WM-K.o. rechnet Mittag am Samstag jedenfalls nicht. „Schweden liegt uns“, findet sie. Außerdem sind da die bisherigen vier Spiele mit den vier Siegen und null Gegentoren bei diesem Turnier. Diese Bilanz könnte jedoch trügerisch sein. „Bisher war noch kein Gegner dabei, der die Mannschaft so richtig gefordert hat“, sagt sie. Das wird sich nun wohl ändern.

Die Stürmerin kann das gut beurteilen – nicht nur aufgrund ihrer Vita. Zwei Wochen war sie kreuz und quer durchs Gastgeberland gereist: Nizza, Le Havre, Montpellier, Paris – eine Urlaubsreise durch die schönsten Städte. Einerseits. Andererseits war sie in den Stadien unterwegs, etwa beim 4:0 der deutschen Elf gegen Südafrika. Ein Urlaub als Fortbildung quasi. Am 1. Juli tritt Mittag einen Multifunktionsjob bei RB Leipzig an. Dort wird sie weiterhin spielen, aber auch im Scouting arbeiten, bei der Analyse helfen und Individualtraining anbieten.

„Ich hatte keinen Auftrag von RB“

„Natürlich habe ich in Frankreich geschaut, wer perspektivisch interessant werden könnte“, erzählt sie. „Einen Auftrag von RB hatte ich jedoch nicht.“ Der Wechsel in die – rein aus Frauenperspektive – Fußballprovinz überraschte. Die Rasenballerinnen spielen lediglich in der Regionalliga, also der dritthöchsten Liga. Das ist nicht das Niveau der Olympiasiegerin, Weltmeisterin und dreimaligen Europameisterin. Am Ende der vergangenen Saison war sie in Schweden als beste Stürmerin ausgezeichnet worden, posierte mit dem Pokal neben Superstar Zlatan Ibrahimovic. Warum also dieser Abstieg?

„Ich fand, dass es mit 34 der richtige Zeitpunkt war, die Profikarriere zu beenden. Und gleichzeitig wollte ich einen ersten Schritt in die Berufswelt machen“, erklärt Mittag, die bereits den B-Trainerschein besitzt. „Dafür war das Angebot aus Leipzig perfekt.“ Kurzfristig möchte sie helfen, die Mannschaft in die 2. Bundesliga zu schießen, aber auch das soll nur eine Zwischenstation sein. Ganz so eilig wie bei den Männern hat man es bei RB mit den Frauen jedoch offenbar nicht. „Es entwickelt sich schrittweise und nicht auf Teufel komm raus“, erklärt Mittag.

Viola Odebrecht, die neue sportliche Leiterin bei RB, kennt sie aus gemeinsamen Zeiten bei Turbine Potsdam und der Nationalelf. 2002 war sie von Erzgebirge Aue nach Potsdam gewechselt, nach 17 Jahren kehrt sie nun zurück nach Sachsen. Auch das habe eine Rolle gespielt, sagt sie. Ihre Eltern wohnen noch immer in Chemnitz, die Wege sind nun deutlich kürzer.

Seit ihrem Rücktritt aus der Auswahl vor zwei Jahren verfolgt sie die Nationalmannschaft nur noch als Beobachterin, aber natürlich hat sie einen anderen Blick auf sie, kennt fast alle WM-Teilnehmerinnen. Womöglich fällt ihr Urteil auf die Entwicklung seit ihrem Abschied deshalb etwas zurückhaltend aus. Es sei ein bisschen drunter und drüber gegangen, findet sie und meint damit die für die Frauen-Auswahl ungewöhnlich häufigen Trainerwechsel: erst Steffi Jones, dann als Interimslösung Horst Hrubesch und nun Martina Voss-Tecklenburg.

In Leipzig wird Anja Mittag nicht nur spielen. 
In Leipzig wird Anja Mittag nicht nur spielen.  © RB Leipzig

„Aber nun wirkt es wieder gefestigter, es ist eine klare und sehr offensive Spielidee zu erkennen, bei der viel zwischen den Systemen rotiert wird“, erklärt Mittag. Mit Voss-Tecklenburg habe sie noch gemeinsam in der Nationalelf gespielt, ihre große Stärke sei die hohe soziale Intelligenz. „Sie hat ein Auge für die Menschen“, findet sie. Der große Favorit auf den Titel ist für Mittag dennoch nicht Deutschland, sondern Frankreich.

Und das liegt an einer Entwicklung, die ihr „ein bisschen Sorgen macht“. Die besten Spielerinnen zieht es immer öfter zu englischen und französischen Klubs. Im WM-Kader ist die Zahl der Legionäre mit Dzsenifer Marozsan und Carolin Simon (beide Olympique Lyon) jedoch noch übersichtlich. Doch die ausländischen Stars finden die Bundesliga offenbar nicht mehr so attraktiv wie früher. Darunter könnte die Qualität leiden.

„Ich glaube nicht, dass es – wie bei den Männern – so am Finanziellen hängt. Es wird dort einfach sehr professionell gearbeitet“, meint Mittag. „Und wenn man sich als Spielerin zwischen Turbine Potsdam und West Ham United entscheiden soll, dann hat Potsdam meist das Nachsehen.“ Deutschland als führende Nation im Frauen-Fußball – das könnte bald schon nicht mehr stimmen. „Vielleicht ist da auch der DFB gefordert, aber das ist von außen schwer zu beurteilen“, findet sie.

Für den Einzug ins Halbfinale wird es jedoch reichen, auch wenn in Schweden die Aufmerksamkeit für die Fußballerinnen deutlich größer ist als hierzulande. „Ihnen ist das trotzdem noch nicht genug“, sagt Mittag. Das gilt auch für die Erfolge der deutschen Elf bei dieser WM-Endrunde.

Die ARD überträgt das Viertelfinale gegen Schweden am Samstag ab 18.30 Uhr.