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Hoffnung gegen das Coronavirus

Sächsische Wissenschaftler haben eine neuartige Methode entwickelt, um sehr schnell bisher einzigartige Wirkstoffe zu gewinnen.

Von Stephan Schön
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Dieser Zapfenschwamm wächst in vielen Meeresregionen, im seichten warmen Wasser. Und er besitzt einzigartige Fähigkeiten. Er lässt weder Viren noch Bakterien an sich heran.
Dieser Zapfenschwamm wächst in vielen Meeresregionen, im seichten warmen Wasser. Und er besitzt einzigartige Fähigkeiten. Er lässt weder Viren noch Bakterien an sich heran. © imago

Die Entdeckung kommt vom Meeresboden. Sie könnte einen Grundstoff für Medikamente liefern, die Coronaviren vernichten. Wissenschaftler der Bergakademie Freiberg stellen erstmals einen Stoff zur Verfügung, mit dem die vorklinischen Tests sofort starten könnten. Das Wundermittel kommt von einem Schwamm.

Um 500 Millionen Jahre im flachen Wasser zu überleben, das setzt eine Menge Anpassung und noch mehr Verteidigung voraus. Dieser Meeresschwamm Aplysina aerophoba ist ein Stratege in Sachen Bioabwehr. Bizarr sieht er aus, aber nicht nur das. Seine eigenen Abwehrstoffe retten ihm das Leben. Immer dann, wenn dieser Schwamm verletzt wird, produziert er einen für Eindringlinge tödlichen Wirkstoff. Einen, der Viren, Bakterien, Pilze killt und selbst größere Parasiten vertreibt. Aplysina aerophoba ist wehrhaft gegen Feinde. Gegen alle und alles hat dieser Schwamm etwas. „Dieser Schwamm produziert große Mengen Bromtyrosine. Nicht nur eine chemische Verbindung, sondern 35 verschiedene“, sagt Hermann Ehrlich im Gespräch mit der SZ.

Nein, Hermann Ehrlich ist weder Mediziner noch Biologe. Er ist Ingenieur und Techniker. Er ist Professor in der experimentellen Physik der Bergakademie Freiberg. Biomineralogie nennt sich das, was er da macht. Extreme Biomimetik heißt sein Forschungsgebiet. Hermann Ehrlich geht es darum, Dinge und Phänomene aus der Natur zu kopieren, aus der extremen Natur für unser tägliches Leben und für neuartige technische Konstruktionen.

Eine halbe Milliarde Jahre Schutz

Wann immer das Gewebe des Schwamms angegriffen oder zerstört wird, lassen extrem schnelle chemische Reaktionen Bromtyrosin entstehen. Dieser Stoff verhindert dann das Eindringen der Viren in die Zellen, ja er vernichtet die Viren sogar. Sogenannte RNA-Viren zu denen auch Corona gehört, bekämpft diese Substanz besonders effektiv.

Grundlegend war das in der Wissenschaft schon bekannt. Nur, dieser Wunderstoff ließ sich nicht gewinnen. Nicht in den Mengen, damit Pharmafirmen und Institute damit forschen konnten. Das Freiberger Team hat rund 30 Gramm in Form von Kristallen gewonnen. Ab zehn Gramm könnten Pharmafirmen Forschung damit in vorklinischen Studien beginnen, sagt Ehrlich. „Vor uns hat es weltweit bisher niemand geschafft, diese Schwämme so zu produzieren, dass das ökologische Gleichgewicht erhalten bleibt.“ Die Forscher züchten ihren Schwamm in einer 100 Quadratmeter großen Unterwasserfarm in Montenegro. „Aber überall im flachen Meerwasser ist dieser Schwamm eigentlich vorhanden.“ Und nicht nur im Mittelmeer, auch in anderen warmen Küstenregionen. „Wie Gras auf der Wiese bei uns.“ Man müsste diesen Schwamm eben nur nachhaltig ernten. Schonend, denn dann wächst er auch wieder nach. Im Top-Wissenschaftsmagazin „Material Science and Engineering“ erscheint dazu in der Aprilausgabe die wissenschaftliche Veröffentlichung.

Bis zu 100 Prozent des wertvollen Bromtyrosine konnten die Forscher dank einer neuen Methode aus dem Schwamm gewinnen. „Wir nutzen dafür Mikrowellenstrahlung mit Hilfe derer die Bromtyrosine aus den Zellen und Skelettfasern der gezüchteten Schwämme isoliert und extrahiert werden können“, erklärt Ehrlich, der auch Leiter des Biomineralogie-Labors am Institut für Elektronik- und Sensormaterialien ist. Und vor allem war es weltweit niemandem bisher gelungen, in so kurzer Zeit so viel zu extrahieren. „Wir brauchen für zehn Gramm nur zwei Wochen. Der bisher limitierende Faktor war die geringe Menge.“ Chinesische Forscher hätten auch schon mal an die zehn Gramm gewonnen, aber das habe mehrere Jahre gedauert, sagt Ehrlich. Der Marktwert für ein Milligramm solcher Bromtyrosine liegt zwischen rund 100 und 800 Euro.

Tests gegen das Coronavirus

„Es ist uns gelungen, diese bioaktiven Substanzen in einer rein kristallinen Form, in solchen Mengen zu isolieren, dass diese für sofortige klinische Untersuchungen gegen den Covid-19-Erreger zur Verfügung stehen“, sagt Hermann Ehrlich. „Selbstverständlich sind wir in der aktuellen Situation offen für die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Behörden und Institutionen.“ Oder anders ausgedrückt: Wer jetzt zuerst kommt mit einem guten Konzept, der bekommt den Stoff für gemeinsame weitere Versuche.

Schon einmal hat das Ehrlich-Team mit seinem Schwamm-Extrakt erfolgreich mit Medizinern zusammengearbeitet. Da ging es um Krebszellen. Einen neuen Wirkmechanismus konnten die Freiberger Wissenschaftler am Beispiel von Tumorzellen gemeinsam mit dem Team von Stefan Bornstein aus der Medizinischen Fakultät der TU Dresden nachweisen. „Diese Bromtyrosine vernichten Krebszellen, aber normale Zellen überleben.“ Es wurden dabei keine zytotoxische Wirkung auf die Zellen festgestellt, eine wichtige Voraussetzung, für die Nutzung als mögliches Medikament. Allein dieser Fakt, dass keine zellzerstörenden Wirkungen festgestellt wurden, macht den Stoff aus dem Schwamm nun auch vielversprechend für die Suche nach einem Mittel gegen den neuen Virus Sars-CoV-2.