Nein, es war nicht der Ballabend, wie wir ihn bisher kannten, auch wenn Tausende auch diesmal vor und in der Semperoper tanzten. Dieser Walzer-Freitag barg ein Störgefühl. Wer wollte, konnte das schon an den etwa 300 Protestierern auf dem Schlossplatz sehen – etwas, das es zum Ballabend noch nie gegeben hatte.
Begonnen hatte alles schon vor einigen Tagen: Es war am 26. Januar, als Ballchef Hans-Joachim Frey in Kairo dem ägyptischen Staatspräsidenten Abdel Fattah al-Sisi den St.-Georgs-Orden verlieh. Seitdem war nichts mehr, wie geplant. Es hagelte Absagen. „Märchenhaft rauschend – Dresden jubiliert“, so lautet das Motto des Balls. Zwischendurch musste man allerdings Sorge haben, das Märchen könnte ausfallen.
Dabei kann der Ball viel mehr als Skandal. In seiner 15-jährigen Geschichte ist er zum gesellschaftlichen Großereignis geworden, das in Deutschland seinesgleichen sucht. Er zieht Prominente aus Wirtschaft und Kultur nach Dresden, nicht ganz so Prominente wären gerne einmal dabei.
Der Ball ist Werbung für die Stadt und ihre Kultur, für die Region. Und er ist ein Wirtschaftsfaktor: 1,8 Millionen Euro spült er jährlich nach Dresden. Zudem schafft er es, Glamour und Stadtgesellschaft zusammenzubringen. Wer jemals dabei war, wenn gut gelaunte Menschen auf dem Theaterplatz tanzen, erkennt das einigende, friedliche Potenzial. All das sollte jenen klar sein, die jetzt nach dem Ende rufen oder spöttisch mit dem Finger Richtung Ball und dessen Macher zeigen. Man muss die Veranstaltung nicht mögen, aber man darf.
Doch es geht noch um mehr: Angesichts der Absagen von Mareile Höppner und Dietmar Hopp sollten wir uns fragen, ob in unserer Gesellschaft nicht längst etwas ins Rutschen gekommen ist. Beide gaben als Grund für ihren Rückzug Furcht an. Furcht davor, zur Zielscheibe für die zu werden, die Schwierigkeiten mit Haltungen, Meinungen und Interessen anderer haben.
Furcht auch vor denen, die reflexhaft dunkle Mächte am Wirken sehen. Wenn es stimmt, dass die Moderatorin, die für ihre Kollegin Judith Rakers einspringen sollte, angefeindet und bedroht wurde, wenn Hass selbst in Richtung ihrer Familie strahlte, sollten wir innehalten. Wollen wir so leben? In einer Gesellschaft ohne Grautöne zwischen Schwarz und Weiß? In einer Gesellschaft, in der die Selbstgewissen und Lauten auf allen Seiten den Ton angeben?
Positive Verrücktheit
Zur Wahrheit über den Ball zählt in diesem Jahr allerdings auch, dass seine Schattenseiten noch nie so deutlich zu erkennen waren: Da ist ein Impresario, von dem Menschen, die mit ihm zu tun haben sagen, er schwebe zwischen Genie und Wahnsinn, Unberechenbarkeit und Rücksichtslosigkeit seinen Partnern gegenüber. Und da ist ein Orden, dessen Verleihung regelmäßig Fragen aufkommen lässt.
Hans-Joachim Frey hat viele mit ihm in Schwierigkeiten gebracht. Etwa die Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers, die plötzlich mit der Preisverleihung an einen rücksichtslosen Potentaten in Verbindung gebracht zu werden drohte. Oder den Dresdner Oberbürgermeister als Repräsentanten einer Stadtgesellschaft, die sich müht, als weltoffen und tolerant anerkannt zu werden. Und nicht zuletzt die Medienpartner, deren Bemühen, gesellschaftliche Ereignisse in der Region zu fördern, plötzlich mit dem Verdacht kollidierten, Feinden der Meinungsfreiheit mauschlerisch den roten Teppich auszurollen.
Zu 15 erfolgreichen Balljahren gehört aber auch die Spur Genialität, die Hans-Joachim Frey in sich trägt. Ohne Leidenschaft und Freude am Risiko wäre der Semperopernball nie zu dem Ereignis geworden, das er lange war. Ohne eine Spur positiver Verrücktheit kein Erfolg in dieser Branche. Darüber redet kaum jemand.
Was aber heißt all das für die Zukunft? Die Veranstaltung wird sich neu orientieren müssen. Und vielleicht gehört dazu auch die Diskussion über die Personalie Frey. Es gibt in Deutschland auch andere Impresarios, denen man das Weiterführen einer – wenn auch derzeit zurecht angeschlagenen – Marke „Semperopernball“ zutrauen darf.
Ruf des St.-Georgs-Ordens ist ruiniert
Wie wäre es zudem mit einem entscheidungsfähigen, transparent agierenden und rechtlich sicheren Kontrollgremium, das dem Ballchef zur Seite gestellt wird, auch um dessen Unberechenbarkeit einzuhegen? Der derzeitige Ballverein konnte dieser Aufgabe in seiner bisherigen Struktur nicht gerecht werden.
Und wenn man dann einmal zusammensitzt, sollte man neu über mögliche Auszeichnungen nachdenken. Eine Veranstaltung in der Preisklasse des Semperopernballs dürfte kaum ohne sie auskommen. Sie sind die Währung, die Prominenz anlockt. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass der St.-Georgs-Orden dem noch gerecht wird. Sein Ruf ist ruiniert.
Aber vielleicht wäre etwa ein Gottfried-Semperpreis denkbar, der Verdienste um die Freiheit der Kultur und die Wahrung der Menschenrechte ehrt. Er würde einen Rahmen für die Auswahl seiner Träger setzen – und Dresden gut stehen.