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„Zwangsgebühren“ für „Heuchler und Spitzbuben“

Uwe Tellkamp wirbt für den römischen Dichter Horaz und kritisiert das öffentlich-rechtliche Fernsehen.

Von Karin Großmann
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Uwe Tellkamp
Uwe Tellkamp © dpa

Nach Horaz kräht kein Hahn. Das liegt auch an den Übersetzern. Oft wollen sie der Diktion des römischen Dichters und Philosophen so nah wie möglich kommen. Christoph Schmitz-Scholemann will das auch. Doch die Nähe zu heutigen Lesern interessiert ihn mehr. Deshalb macht er die mehr als 2.000 Jahre alten lateinischen Briefe des Quintus Horatius Flaccus mundgerecht. Das Ergebnis verblüfft. Die Texte schwingen und klingen in klassischer Harmonie und erzählen zugleich in moderner Sprache vom Treiben der Menschen.

Da gibt es Händler, die das Blaue vom Himmel lügen, um ihre Waren zu verkaufen. Soldaten sind zu jeder Mordtat bereit, wenn sie nur gut bezahlt wird. Das Publikum im Theater grölt nach Boxern und tanzenden Bären, und selbst gebildete Herren bevorzugen taube Genüsse. Die Schauspieler wechseln, das Stück aber ist im Grunde immer das gleiche, schreibt der Dresdner Autor Uwe Tellkamp im Vorwort der neuen Ausgabe. Solche prominente Verstärkung wünscht sich mancher Verleger. Tellkamp denkt sich Horaz ins Heute und kann dessen Rückzug auf ein italienisches Landgut verstehen: „Zwar ist das Fernsehen mies wie eh und je, doch wenn man die Kiste mit ihren Zwangsgebühren, die erst kürzlich wieder angehoben worden sind, auslässt, so gibt es auch keine Störung von der Welt draußen, keinen Grund, sich über die öffentlich bestallten Heuchler und Spitzbuben aufzuregen.“

„Ich denke auf eigene Rechnung“

Das Landgut samt Sklaven und Angestellten lässt sich Horaz von seinem Sponsor Maecenas bezahlen und versichert, er werde sich der Klugheit seines Förderers würdig erweisen. In einem anderen Brief huldigt er dem Kaiser Augustus: „Niemals lebte ein größerer Herrscher als Du, und es wird auch in Zukunft nie einen größeren geben.“

Zwischen der Gegenwart und der spätrömischen Gesellschaft gibt es Ähnlichkeiten. So erklärt es Tellkamp im Vorwort, und so erklärt es der Übersetzer im Nachwort. Mancher Leser wäre vielleicht selbst draufgekommen. Beide rühmen doch gerade das, was Horaz für sich behauptet: „Ich denke auf eigene Rechnung.“ Er schreibt seine 22 Briefe an reale Personen und zugleich als Kunstwerke in Versform. In der Ausgabe des Aufbau-Verlags, der in den Siebzigern eine Bibliothek der Antike herausbrachte, werden zeitbezogene Anspielungen und Begriffe erklärt. Der Übersetzer Schmitz-Scholemann umschifft solche Klippen und setzt den verständlichen Ausdruck gleich in den Text. Er spielt mit Redewendungen, die getrost alle aus dem Zitatenschatzkästlein von Horaz stammen könnten. Einer führt seine Schäfchen ins Trockene, ein anderer fällt mit der Tür ins Haus, und Worte können Wunder wirken.

Immer geht es dem Dichter um die Frage nach dem richtigen, dem guten, dem gelingenden Leben. Am Ende münden seine Überlegungen in dem Wort Tugend. Damit ist keine frömmlerische Bescheidenheit gemeint, sondern: „Die Mitte zwischen den Lastern halten.“ Selbstironisch plädiert Horaz für eine Balance zwischen den Dingen, die sich immer neu herstellen muss. „Wenn ich in Rom bin, will ich nach Tibur, in Tibur sehne ich mich nach Rom.“ Er wirbt für Vernunft, Freiheit und Illusionslosigkeit, für Genuss und ein Leben mit der Natur. Was ihm auf seinem Landgut am meisten fehlt, ist ein Freund: „Wenn du Lust hast zu lachen, komm zu Besuch.“

Der Übersetzer Christoph Schmitz-Scholemann, er war lange Jurist am Bundesarbeitsgericht, lobt die handfesten Ratschläge des Horaz als Gesprächsangebote, im Unterschied zu den Vorschriften, die heute seiner Meinung nach aus „politiknahen Denkfabriken“ kommen.

Dort werde nicht nur festgelegt, wie das richtige Leben der Menschen auszusehen habe. Dort werde das Leben und das Sprechen darüber so organisiert, „dass die Menschen das erstrebte Wohlbefinden auch zu fühlen glauben“. Doppelsinnig fügt der Übersetzer hinzu, es wäre sicher übertrieben, eine solche Strategie als Gehirnwäsche zu bezeichnen.

Gleiches gesellt sich zu Gleichem

Beide, Tellkamp wie Schmitz-Scholemann, nutzen Horaz für zeitkritische Handkantenschläge. Im September wollen sie das Buch auf Schloss Ettersburg vorstellen, für sie schon vertrautes Terrain. Der Übersetzer lebt in Weimar und leitet den Thüringer Literaturrat. Bei den Ettersburger Gesprächen standen unter anderem auch Monika Maron, Rüdiger Safranski, Hendryk M. Broder auf der Gästeliste. Gleiches gesellt sich gern zu Gleichem, heißt das bei Horaz.

  • Und zum Glück fehlt mir nichts – nur Du. Die Briefe des Horaz. Elsinor Verlag, 115 Seiten, 14 Euro