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Jeder Sonnenstrahl bedeutet Gefahr

Die Räckelwitzer Oberschule bereitet sich auf eine Schülerin mit der Mondschein-Krankheit vor. Das ist aufwendig, doch die Gemeinde hält zusammen.

Von Ina Förster
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So muss sich das Mädchen mit der Diagnose Xeroderma pigmentosum - zu Deutsch Mondscheinkrankheit - täglich vor UV-Strahlung schützen
So muss sich das Mädchen mit der Diagnose Xeroderma pigmentosum - zu Deutsch Mondscheinkrankheit - täglich vor UV-Strahlung schützen © privat

Räckelwitz.  Keine Sonne, keine UV-Strahlung! Das Mädchen muss aufpassen. Immer. Von morgens bis abends. 365 Tage im Jahr. Dass sie Türen hinter sich schließen muss, Fenster zubleiben, dass  sie nicht mit anderen ins Freibad kann - das alles weiß sie. Sie ist ein Mondscheinkind. 

Měrka Bulank aus dem sorbischen Dörflein Prautitz in der Gemeinde Crostwitz fehlt durch eine genetische Veränderung ein Enzym in den Hautzellen. Dieses Protein repariert bei gesunden Menschen Schäden in den Zellen, die das tägliche UV-Licht verursacht. Měrka Haut ist ungefähr 2.000-mal empfindlicher auf Licht als bei gesunden Menschen.  Deutschlandweit gibt es nur wenige Erkrankte. Vielleicht 80, andere Statistiken sprechen von 50. Xeroderma pigmentosum - zu Deutsch Mondscheinkrankheit - ist nicht heilbar. Sie tritt nur bei etwa  einem  von einer Million Menschen auf.

Im Kleinkindalter erste Veränderungen bemerkt

Zum Schutz trägt Měrka eine Kopfbedeckung mit Visier, Handschuhe, UV-undurchlässige Kleidung. Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50+ ist Pflicht. Kurze Röcke sind nicht drin. Ein normaler Tag am See auch nicht. Die Familie hat vieles ausprobiert - zum Beispiel einen Urlaub am Strand. "Da konnten wir vor 22 Uhr nicht ins Wasser", sagt Papa Tobias. Aber Měrka sah das Meer...

Wenn der Sommer heiß ist, ist die Belastung groß. Die Viertklässlerin hadert oft mit ihrer Kopfbedeckung. Schon deshalb liebt Měrka den Abend, denn dann darf  sie ohne die ungeliebte Schutzkleidung raus. Wenn die Sonne untergegangen ist, fühlt sie sich normal. Sie riecht den Duft der Bäume  vor dem Haus. Und sie kann in den Sternenhimmel schauen.

Doch Měrka ist zehn. Irgendwann muss sie ins Bett. Denn obwohl sie besonders ist - ihr Leben verläuft normal: Schule, Hobbys, Freunde warten da draußen auf sie. Das Mädchen reitet in der Reithalle in Jesau. Dort ist die UV-Strahlung gering. Oder badet gern in der Kamenzer Schwimmhalle - ganz hinten in der letzten Bahn, weit ab von den Fenstern. Die Eltern haben ständig ein Messgerät bei sich.

Měrkas Eltern Isabella und Tobias Bulank (r.) wünschen ihrer Tochter ein normales Leben. Dazu gehört der Besuch der Regelschule. In Räckelwitz treffen sie auf offene Ohren. Auch die Vorsitzende des Schulfördervereins, Antje Bobke (l.), engagiert sich mit
Měrkas Eltern Isabella und Tobias Bulank (r.) wünschen ihrer Tochter ein normales Leben. Dazu gehört der Besuch der Regelschule. In Räckelwitz treffen sie auf offene Ohren. Auch die Vorsitzende des Schulfördervereins, Antje Bobke (l.), engagiert sich mit © René Plaul

Als Isabella und Tobias Bulank vor acht Jahren die Diagnose Xeroderma pigmentosum bekamen, war das nur schwer zu begreifen.  Das Gen wird von beiden Elternteilen vererbt. Gefasst sprechen sie darüber, doch sie sind dünnhäutig. Verständlich.  "Wir stellten bei Měrka um den ersten Geburtstag fest, dass etwas nicht stimmte. Glücklicherweise hatten wir eine Kinderärztin, die uns gleich den Weg zur Humangenetik empfahl. So konnten wir frühzeitig unser Leben umstellen", sagt die Mama.

Dies ist auch der Grund, warum Měrka keine schweren Hautschäden hat. "Man sieht eine Pigmentveränderung, doch noch musste nicht operiert werden. Bei älteren Betroffenen ist das oft anders", sagt Isabella Bulank. Um ihrer Tochter Wucherungen, Tumore und im schlimmsten Fall Hautkrebs zu  ersparen, sind sie im Dauereinsatz. "Auf einem Treffen unserer Selbsthilfegruppe sah  sie erstmals Jugendliche mit der Krankheit. Da wurde ihr bewusst, dass XP nie weggeht. Und Spuren hinterlässt", sagt die Mama. 

Doch gerade dieses bislang nicht Sichtbare sorgt oft für Unverständnis. "Wenn unser Kind mit dem Kopfschutz Fremden begegnet, wird es komisch angesehen. Die Menschen fragen sich, was das für ein Aufzug sein soll",  so Isabella Bulank. Die Blicke, das Getuschel tun weh. Dazu kommt der stete Kampf mit Behörden und Krankenkassen, die  nur wenig Verständnis für die Lage der Familie aufbringen. "Wir müssen um alles kämpfen, und wenn es die teure Sonnencreme ist", sagt die Mama. Davon verbraucht man nicht wenig. Trotzdem ist es nicht selbstverständlich, diese bezahlt zu bekommen. 

Schule und Freunde bedeuten Normalität

Doch Měrka hat Freunde. Sie ging in einen Kindergarten, besucht die Grundschule in Crostwitz. Dort hat man ein Klassenzimmer UV-frei gestaltet. Das gelang mit aufklebbaren Spezial-Folien an den Fenstern. Mit Aufklärungsarbeit unter Eltern und Schülern. Und es gab finanzielle Förderung. Nun steht der Schulwechsel an. Měrka  kommt in die fünfte Klasse. Ihre Freunde lernen künftig an der Oberschule Räckelwitz. Beim Tag der offenen Tür entschied sich Měrka also für diese Einrichtung. Dass Papa Tobias Bulank hier als Lehrer arbeitet, ist zweitrangig. 

Seit der Schulanmeldung gibt es Überlegungen. Die Gemeinde als Schulträger müsste das Gebäude umbauen, um alle Zimmer UV-sicher zu gestalten. Allein die Fensterfolien kosten 28.000 Euro. Auch Raumlufttechnik soll eingebaut werden. "Das wäre der Akzeptanz förderlich. Denn verständlicherweise ist eine ausreichende Sauerstoffzufuhr in einem Klassenraum mit 20 Kindern wichtig für die Lernumgebung. Auch durch kleinste Spalten dringt UV-Licht",  so Tobias Bulank. Damit Měrka ohne Vollschutz lernen kann, müssten diese Vorkehrungen greifen - im kompletten Haus. Dazu käme neue Lichttechnik. 

"Der Umbau wird gefördert, dafür wird jedoch ein Eigenanteil des Schulträgers benötigt", sagt Antje Bobke. Die 42-jährige  Sechsfachmutter ist Vorsitzende des Schulfördervereines. Und steht fest an der Seite der Bulanks. "In unseren Breiten kennt man sich, man hält zusammen und tut  etwas füreinander", sagt sie. Dass sie für  Měrka kämpft, sei selbstverständlich.  Für viele. "Hier geht es um soziale Aspekte. Unsere Schüler sollen lernen, dass man nur miteinander etwas bewirken kann", sagt sie. Alle ziehen mit.

Mit Sport und Musik werden Spenden gesammelt

Der Antrag auf Förderung ist  beim Kultusministerium gestellt. Noch gibt es keine Antwort. Noch steht die Gemeinde mit dem Ministerium im Austausch. "Wir sind aber zuversichtlich, zumal wir mit dem Förderverein, dem Schulleiter, Lehrern, Schülern und Einwohnern umliegender Gemeinden seit Wochen Spenden sammeln", so Antje Bobke.

Eigentlich sollte im April  "Laufen mit Herz" stattfinden. Wegen Corona fiel das flach.  Doch der Sorbische Dachsportverband Serbski Sokoł  rief  kurzerhand mit dem Schulförderverein zum einmonatigen Sporteln daheim auf.  "Die Schüler sollten das tun, was Spaß macht: Laufen, Schritte zählen, Radfahren, mit dem Fußball jonglieren. Ein Sponsor aus dem privaten Umfeld gibt dafür Geld. Und das wird gespendet", so Antje Bobke. Schon einige Zahlungen sind eingegangen. Aber es könnten noch mehr sein. 

Die Bulanks berührt die Hilfe. "Wir sind froh, was man für unser Kind tun möchte, über die Bereitschaft aller Mitwirkenden.  Und wir sind überwältigt von den Ideen. Im Juni soll es sogar ein Benefiz-Open-Air geben. Zahlreiche sorbische Musikgruppen haben schon zugesagt", freuen sie sich.   Dass die Umgestaltung der Schule doppelt gut angelegt ist, weiß man schon heute. Měrkas Bruder Florian ist vier. Auch er hat das Gen geerbt.

Spendenkonto:
Schulförderverein Oberschule Räckelwitz
Kreditinstitut: DKB
Iban-Nummer: DE35 1203 0000 1067 5686 99
Verwendungszweck: Mondschein

www.xerodermapigmentosum.de

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