SZ + Meißen
Merken

Wenn Menschen einfach weg sind

Die Polizei im Kreis nimmt jährlich Hunderte Vermisstenanzeigen entgegen. Tendenz steigend. Aber was passiert dann?

Von Kevin Schwarzbach & Jörg Stock
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Der Fall bei Bahra in der Sächsischen Schweiz war besonders tragisch: Ein 75-Jähriger verschwand mit seinem Elektrorollstuhl im Wald, er hatte wohl einen Unfall. Doch auch im Kreis Meißen gibt es jährlich Hunderte Vermisstenfälle.
Der Fall bei Bahra in der Sächsischen Schweiz war besonders tragisch: Ein 75-Jähriger verschwand mit seinem Elektrorollstuhl im Wald, er hatte wohl einen Unfall. Doch auch im Kreis Meißen gibt es jährlich Hunderte Vermisstenfälle. © Marko Förster (Archiv)

Landkreis Meißen. Wenn ein Mensch plötzlich weg ist, bricht für seine Angehörigen meist eine Welt zusammen. Wo ist er hin? Und warum ist er überhaupt verschwunden? Zwischen all die quälenden Fragen mischt sich die Angst, dass etwas Schreckliches passiert sein könnte.

Auch im Kreis Meißen werden jedes Jahr mehrere Hundert Menschen als vermisst gemeldet. Tendenz steigend. Waren es vor fünf Jahren noch rund 200 Vermisstenfälle, sind es mittlerweile an die 400. 

Zwar liegen die Zahlen für das vergangene Jahr noch nicht vor, die Statistik der Polizeidirektion Dresden zeigt aber eine Entwicklung auf deutlich über 300 Vermisstenfälle pro Jahr. All diese Menschen stehen mit persönlichen Daten, Personenbeschreibung, Bekleidung und oft auch mit Bild in den Fahndungssystemen der Polizei.

Ein Fall, der im vergangenen Jahr auch über den Landkreis Meißen hinaus für Aufsehen sorgte, war das Verschwinden einer 56-jährigen Coswigerin. Die Frau ließ Schlüssel, Ausweis und Portemonnaie in ihrer Wohnung zurück. Die Polizei startete eine Suchaktion, veröffentlichte das Bild der Frau. Doch die 56-Jährige blieb verschwunden. Knapp zwei Monate später fand der Fall dann ein trauriges Ende: Spaziergänger entdeckten die Frau tot in der Elbe bei Meißen.

Kein Patentrezept für die Suche

Ähnlich erschreckend war der Fund, den Pilzsucher an einem Oktobertag im Wald bei Bahra in der Sächsischen Schweiz machten. Statt auf Pilze stießen sie auf einen Elektrorollstuhl, direkt daneben lag ein toter Mann. Ersten Eindrücken nach hatte der 75-Jährige, der bereits als vermisst galt, wohl die Kontrolle über sein Gefährt verloren, kam von der Straße ab und stürzte im angrenzenden Wald.

Bei der Polizeidirektion Dresden befasst sich Kriminalhauptkommissar Torsten Beyer vom Kommissariat 11 – Leib und Leben – speziell mit Verschwundenen. Etwa 78 Prozent der Vermisstensachen im Landkreis klärten sich zuletzt binnen dreier Tage. 

Die schwierigeren Fälle werden von den Landrevieren und Kriminalaußenstellen häufig nach Dresden weitergegeben und landen in der Regel auf Beyers Tisch. Die Möglichkeiten zu ermitteln sind vielschichtig, reichen von Erkundigungen im Umfeld, über das Abprüfen möglicher Anlaufpunkte, Hunde- und Hubschraubereinsatz bis hin zur Öffentlichkeitsfahndung mit Foto in Zeitung und Internet. 

Über das Vorgehen entscheiden der konkrete Fall und dessen Vorgeschichte. Es gibt bei der Vermisstensuche kein Dogma, keine Patentrezepte, sagt Kommissar Torsten Beyer. „Wir haben auch nicht den Zauberstab in der Tasche.“

© SZ Grafik/ Gernot Grunwald

Doch ab wann kann man jemanden überhaupt als vermisst melden? Die Ermittler unterscheiden hier zwischen dem Alter der Vermissten. Bei Minderjährigen gilt: Sobald das Kind nicht zur gewohnten Zeit am gewohnten Ort ist und keiner eine Ahnung hat, wo es sein könnte, ist eine Vermisstenanzeige möglich. Sollte das Kind zwei Stunden später doch wieder auftauchen, werde keinem „der Kopf abgerissen“, so Beyer. 

Auch für die Kosten von Einsätzen müsse niemand aufkommen, sagt der Hauptkommissar. Allerdings seien hierbei auch die Umstände entscheidend. Viele Kinder und Jugendliche seien nicht zum ersten Mal weg. 

Abenteuerlust, die Versuchung, eigene Entscheidungen zu treffen, nicht zur vereinbarten Zeit zu Hause zu sein, weil der Rest der Clique länger draußen bleiben darf – all das können Gründe sein, wieso Jugendliche kurzzeitig immer mal verschwinden. Die Eltern würden vor Anzeigenaufnahme deshalb oft gefragt, ob die üblichen Orte und Adressen geprüft worden seien.

Doch nicht immer spielt das Umfeld mit. Es kommt vor, dass Kumpels die Ausgebüxten decken, ihnen bei sich Bett und Essen bieten und niemandem etwas davon sagen. „Das macht uns das Leben nicht gerade leichter“, sagt Hauptkommissar Beyer. 

Solches Verhalten sei auch innerhalb der Familie nicht auszuschließen. „Es kann durchaus sein, dass die Oma eine andere Auffassung von Erziehung hat als vielleicht die Tochter.“ Zwar machen Kinder und Jugendliche einen Großteil der Vermisstenfälle aus, dass ihnen tatsächlich etwas zustößt, ein Unfall, ein Verbrechen, oder dass sie verschwunden bleiben, kommt aber äußerst selten vor.

Oft sind es Erwachsene, die nie zurückkommen oder irgendwann tot aufgefunden werden. Manche von ihnen leiden an psychischen Problemen, andere kämpfen mit fortschreitender Demenz. Die Suche nach ihnen gestaltet sich häufig schwierig, da es kaum Anhaltspunkte gibt. Nicht selten greifen Angehörige deshalb auf Aufrufe in sozialen Netzwerken wie Facebook zurück. Die Vermisstenmeldungen verbreiten sich dort oft wie ein Lauffeuer.

Gefährliche Fahndungsaufrufe

Diese Art der Vermisstensuche ist aus Sicht der Polizei durchaus hilfreich, erklärt Polizeisprecher Marko Laske. „Denn jeder Hinweis kann wichtig sein, um einen Vermissten wieder aufzufinden.“ Doch Laske gibt auch zu bedenken: „Sicher sind derartige Aufrufe aber auch ein zweischneidiges Schwert.“ 

Denn jeder Vermisstenaufruf, den Menschen in sozialen Netzwerken sehen, könne zu einer gewissen Abstumpfung beitragen. Das kann dazu führen, dass manche Vermisstenaufrufe nicht mehr mit der nötigen Aufmerksamkeit wahrgenommen werden. „Wichtig scheint, dass jeder, der sich dieses Mittels bedient, sorgsam damit umgehen sollte“, sagt Laske.

Auch bei Erwachsenen müssen Vermisstenfälle nicht immer tragisch enden. Das zeigt der Fall eines älteren Mannes aus Riesa. Ende Oktober vergangenen Jahres meldeten ihn seine Angehörigen als vermisst, auch ein Aufruf bei Facebook wurde gestartet. Die Spur des dementen Mannes hatte sich am Riesapark verloren. Die Facebook-Meldung verbreitete sich rasant, die Polizei war mit einem Hubschrauber im Einsatz. Zwei Tage nach seinem Verschwinden wurde der Mann wiedergefunden.

Mehr lokale Nachrichten aus Meißen und Umgebung lesen Sie hier.

Mehr lokale Nachrichten aus Radebeul und Umgebung lesen Sie hier.

Mehr lokale Nachrichten aus Riesa und Umgebung lesen Sie hier.

Mehr lokale Nachrichten aus Großenhain und Umgebung lesen Sie hier.