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Wie viel Luxus steckt im Landratsamt?

Die 52,7 Millionen Euro für die moderne Verwaltung des Landkreises Görlitz sind erklärungsbedürftig. Die SZ gibt Antworten.

Von Sebastian Beutler
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So könnte es im Verbindungsbau zwischen den Gründerzeithäusern in Görlitz aussehen, die für das große Landratsamt saniert werden.
So könnte es im Verbindungsbau zwischen den Gründerzeithäusern in Görlitz aussehen, die für das große Landratsamt saniert werden. © Landkreis Görlitz

Die Wogen schlagen hoch in der Debatte um die Entscheidung des Kreistages, knapp 53 Millionen Euro in eine moderne Verwaltung zu stecken. Gibt es nichts Wichtigeres im Kreis? Könnte man das Geld nicht für Dringenderes verwenden? Und überhaupt: Warum muss die Verwaltung jetzt auch noch die Kohle-Strukturgelder für sich verwenden, sollen die nicht den Kumpeln zugutekommen, die ihre Arbeit mit dem Kohleausstieg verlieren werden? Doch in der Aufregung geht auch verloren, worum es wirklich geht. Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen:

Fließen die 52,7 Millionen Euro nur in das neue Landratsamt in Görlitz?

Nein. Aber immerhin 40 Millionen Euro. Dafür werden neun Gründerzeithäuser auf der Berliner und Salomonstraße in Görlitz saniert. Zudem errichtet der Kreis zwei neue Verwaltungsgebäude als Verbindungsbauten zwischen den Gründerzeithäusern. Das ist viel mehr, als die Kreisverwaltung bislang erklärt hatte. Noch am 1. April schwiegen sich Landrat Bernd Lange und sein Finanzbeigeordneter bei einer der seltenen Pressegespräche der Kreisspitze über die Gesamtkosten aus. 

Die Schätzung der SZ, dass Sanierung und Neubau auf 27 Millionen Euro hinauslaufen, ließen sie unkommentiert. Deswegen ist jetzt auch das Erstaunen so hoch. Finanzbeigeordneter Thomas Gampe erklärte vor dem Kreistag lediglich, bislang waren es nur Schätzzahlen, jetzt seien es Kostenberechnungen auf Grundlage der Entwurfsplanung. Die lag aber auch bereits am 1. April vor. Denn ausführlich erläuterte die Kreisspitze, wie schlecht es um die Gründerzeithäuser bestellt ist, dass die Schwammbeseitigung die Kosten hochtreibe. Zu diesem Argument kam ein zweites: die allgemeine Preissteigerung am Bau.

Wofür sind die zusätzlichen Gebäude in Görlitz nötig?

In den Gebäuden entstehen neue Arbeitsplätze für 350 Mitarbeiter. Etwa 170 Mitarbeiter kommen von Außenstellen in Görlitz wie auf der Otto-Müller-Straße, wo das Ordnungsamt bislang arbeitet, oder von der Reichertstraße, wo das Brand- und Rettungswesen teilweise untergebracht war. Auch die frühere Textilfabrik an der Lunitz, wo bislang noch das Jobcenter und Teile des Sozialamtes arbeiten, wird leergezogen. Zudem ziehen das Vermessungsamt und das Umweltamt von Löbau nach Görlitz. Vor einigen Jahren waren sie von der Neißestadt nach Löbau umgezogen, weil der Kreis in Görlitz nicht genügend Räume hatte. Das betrifft etwa nochmals 170 Mitarbeiter. 

Zugleich sehen die Pläne einen Veranstaltungssaal mit rund 199 Plätzen vor, auch für den Kreistag, aber nicht nur dafür. Eine Kantine für 750 Mitarbeiter ist vorgesehen. Und schließlich ein zentrales Rechenzentrum. Denn die Konzentration der Verwaltung in Görlitz, wo nach Fertigstellung der Bauarbeiten 2023 rund 722 Mitarbeiter der Kreisverwaltung arbeiten werden, ist die eine Seite der Medaille für die Erweiterung des Görlitzer Standortes. Die zweite, genauso wichtige: Der Landkreis baut seine Verwaltung um. Künftig steht die digitale Akte und das digitale Arbeiten im Vordergrund. Dafür aber wird in Görlitz auch ein zentrales Rechenzentrum errichtet.

Hat der Bürger künftig längere Wege zu den Ämtern?

Nicht unbedingt. Der Kreis richtet mit Bürgerbüros in Löbau, Zittau, Weißwasser, Niesky und Görlitz zentrale Anlaufstellen ein. Dafür sind auch 5 Millionen Euro vorgesehen. Hier sollen die Bürger nicht nur ihre Anliegen geklärt bekommen, sondern künftig auch wieder flächendeckend Autos an- oder ummelden können oder Fahrerlaubnisse beantragen. Diesen Service gab es beispielsweise in Löbau und Weißwasser zuletzt nicht mehr. In beiden Städten sollen die Büros bereits 2020 an den Start gehen, lange bevor das neue Landratsamt in Görlitz fertiggestellt ist. 

Deswegen betonen Landrat Bernd Lange und Thomas Gampe auch immer, dass die Zentralisierung das eine sei, aber durch die Digitalisierung und die Bürgerbüros Verwaltungsleistungen auf modernem Stand zuverlässig und effizient erbracht werden können. Und das wolle letztlich doch der Bürger. Auch gebe es keine Absichten, weitere Stellen in Görlitz zu konzentrieren. Es verbleiben 93 Mitarbeiter in Weißwasser, 172 in Niesky, 251 in Zittau und 145 in Löbau, dort allerdings sind das weniger als bislang. Insgesamt bleibt knapp die Hälfte der Angestellten des Kreises in der Fläche. Die Vorstellung allerdings, dass die Stellen in Görlitz allesamt von Görlitzern besetzt sind, ist irreführend. Die meisten stammen aus anderen Orten und Städten des Kreises, manche arbeiten für spezielle Aufgaben von Dresden oder Berlin aus.

Was wird noch für die weiteren 12,7 Millionen Euro gebaut?

Neben den Bürgerbüros ist es vor allem die Tiefgarage, die mit 7,14 Millionen Euro zu Buche schlägt. Hier will der Kreis zum einen 37 Stellplätze für Dienstfahrzeuge einrichten, weitere 51 für Mitarbeiter. Das Gros der insgesamt 208 Stellplätze, nämlich 120, steht aber für Besucher des Landratsamtes und die Öffentlichkeit zur Verfügung. Der Landkreis steuert für den Bau der Tiefgarage maximal 2,32 Millionen Euro zu. Die Tagesmiete soll bei acht Euro liegen. Auch für E-Autos und Fahrräder soll es geeignete Parkmöglichkeiten geben.

Wie finanziert der Landkreis die riesige Summe?

Von den 52 Millionen Euro trägt der Landkreis zehn Millionen Euro, 15,9 Millionen Euro sollen Fördergelder von Bund und Land sein, 25 Millionen Euro erwartet man aus dem Strukturfonds für den Kohleausstieg, die Stadt Görlitz beteiligt sich mit zwei Millionen Euro. Aus Stellplatzablösegebühren werden 500 000 Euro verwendet. Der Kreis hat auch eine Wirtschaftlichkeitsberechnung angestellt. Den Kosten hat er eingesparte Mieten an anderen Standorten sowie nötige Sanierungen, die fällig würden, wenn die (Außen-)Standorte in Görlitz weiter genutzt würden, gegenübergestellt. Die Rechnungen kommen zu dem Schluss: Es rechnet sich für den Kreis.

Was passiert, wenn die 25 Millionen aus dem Strukturfonds ausbleiben?

Die Mittel aus dem Kohleausstieg sollen ganz verschiedenen Projekten dienen: Bahnstrecken, Autobahn, Investitionszuschüsse, Forschungsinstitute. All diesen Vorhaben gemein ist das Ziel: Die Region soll nach dem Wegfall der Arbeitsplätze in der Kohle attraktiv als Lebensumfeld für die Menschen sein. Dazu zählt auch eine leistungsfähige Verwaltung. Deshalb, so erklärte Landrat Bernd Lange, wurde das Projekt nach Berlin gemeldet. Wenn die Gelder nicht bewilligt werden, gibt es Abstriche an dem Vorhaben, teilte Finanzbeigeordneter Thomas Gampe mit. Denn der Kreistag hat auf Vorschlag der Kreisverwaltung beschlossen: Mehr als zehn Millionen Eigenmittel wird der Kreis nicht aufbringen – egal, was passiert.

Steigt die Kreisumlage wegen des Neubaus des Landratsamtes?

Das hat Finanzbeigeordneter Thomas Gampe kategorisch ausgeschlossen.

Kann die Investitionssumme bis 2023 noch steigen?

Ausschließen kann das derzeit niemand. Doch hat die Landkreisverwaltung erstmals bei einem solchen Projekt Vorsorge betrieben und 2,7 Millionen Euro für Preissteigerungen vorgesehen. Ob es am Ende reicht, weiß man aber erst nach dem Bau.

Warum musste noch der alte Kreistag darüber abstimmen?

Am 26. Mai wird ein neuer Kreistag gewählt. Deswegen fragten auch die Bündnisgrünen an, warum diese Eile jetzt besteht. Doch der neue Kreistag wird erst im Oktober das erste Mal zusammentreffen, arbeitsfähig wird er frühestens Ende des Jahres sein. Dann müsste er sich auch in das Gesamtvorhaben erst einarbeiten. Der amtierende Kreistag beschäftigt sich seit Jahren mit dem Projekt. 

Am 29. März 2017 beschloss er mit 28 Ja-Stimmen, bei 15 Gegenstimmen und 19 Enthaltungen grundsätzlich, dieses Projekt voranzutreiben. Er brachte jetzt im Grunde nur zu Ende, was er begonnen hat. Und Landrat Lange will, sobald das Strukturwandel-Gesetz vorliegt, einen Antrag über die 25 Millionen Euro in Berlin stellen – dafür brauchte er die Rückendeckung vom Kreistag.

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