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"Wir diskutieren viel zu oft die falschen Fragen"

Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) geht mit der Politik hart ins Gericht. Die Menschen seien häufig "tief enttäuscht".

Von Thilo Alexe
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Petra Köpping (SPD), Sozialministerin von Sachsen, am Mittwoch bei ihrer Rede im Landtag.
Petra Köpping (SPD), Sozialministerin von Sachsen, am Mittwoch bei ihrer Rede im Landtag. © Robert Michael/dpa

Dresden. Selten sprechen Mitglieder einer Regierung solche Sätze, noch seltener im Parlament: Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) hat in einer Regierungserklärung im Landtag drastische Worte genutzt und dabei auch die eigene Politik mehr als nur hinterfragt. „Trotz aller politischen und wirtschaftlichen Erfolge in Sachsen, und die brauchen wir nicht wegdiskutieren, konnten wir nicht in allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus für ausreichend Gerechtigkeit sorgen.“

Die Sozialdemokratin konstatierte die Bildung einer „Klassengesellschaft, das muss man aussprechen“. Mehr noch: Köpping stellte in ihrer Erklärung zum sozialen Zusammenalt am Mittwoch auch Teile des Finanzwesens infrage. Sie sprach vom „Druck des alleinigen Leistungsgedankens“. Der führe dazu, „dass die Unternehmen und Mitarbeiter nicht mehr für das eigene Einkommen arbeiten, sondern für das der Aktionäre, die gar nicht zum Unternehmen gehören, sondern nur Aktien besitzen“. Effizienz dringe in alle Lebensbereiche vor und gefährde Familien und Sozialstrukturen. Und die Politik? „Wir diskutieren viel zu oft die falschen Fragen.“

Köpping: Corona zeigt, was ein Staat leisten kann

Sind das nun markige Worte, die auf einen Knalleffekt setzen? Oder will die Ministerin einen grundlegenden Wandel? Die frühere Landrätin beherrscht wie kaum jemand in der sächsischen Politik die Kunst, Themen aufzugreifen, die im Tagesgeschäft wenig Beachtung finden und doch viele betreffen. Als Integrationsministerin bereiste sie das Land und hörte Menschen zu, die von den Brüchen in ihren Biographien durch die Wende erzählten. Freilich: Viel anbieten konnte sie jenen nicht, die nach dem Ende der DDR ihre Jobs verloren und nun Einbußen bei Renten haben. Aufmerksamkeit verschaffte Köpping ihnen aber allemal.

Hatte sie in der früheren Regierung kein eigenes Ministerium, ist das nun anders. Im Regierungsbündnis von CDU, Grünen und SPD besetzt die 62-Jährige ein zentrales Ressort, das etliche Millionen verteilt. Und dem im Zuge der Corona-Pandemie noch mehr Aufgaben zuwachsen. Daher ist es auch kein Zufall, dass Köpping in ihrer Landtagsrede auf die staatlichen Hilfen verwies und so ihr düster gezeichnetes Gesellschaftsbild aufhellte. Corona zeige, was ein Staat leisten könne, sagte die Ministerin. Eine Krisenbewältigung „auf dem Rücken der einfachen Leute“ wie nach den Bankenpleiten 2010 dürfe sich aber nicht wiederholen.

Für eine „neue soziale Sicherheit“

Als Leitpunkte ihrer Politik definierte die SPD-Frau das in der Partei debattierte Bürgergeld, das Hartz IV abmildern soll sowie eine Grundsicherung für Kinder. Beides jedoch wird im Bund geklärt. Sachsen kann allenfalls Druck machen. Für das Bundesland kündigte Köpping einen Pakt für die Jugend an, der längere Fördermittellaufzeiten für soziale Arbeit vorsieht. Zudem will die Ministerin, die vor der Coronakrise die Bekämpfung von Einsamkeit als politisches Feld entdeckte, „soziale Orte“ fördern, an denen Menschen etwa auf dem Land zusammenfinden.

Blick in den Plenarsaal während der Sitzung des Sächsischen Landtages bei der Fachregierungserklärung von Sozialministerin Petra Köpping (SPD).
Blick in den Plenarsaal während der Sitzung des Sächsischen Landtages bei der Fachregierungserklärung von Sozialministerin Petra Köpping (SPD). © Robert Michael/dpa

Das Gebaren der Aktienmärkte wird die Sozialpolitikerin von ihrem Amtssitz in der Dresdner Neustadt nicht regulieren können. Doch kann sie dem Drittel der Gesellschaft, das nach ihrer Einschätzung finanzielle Sorgen hat, zumindest das Gefühl geben, den Frust zu verstehen. „Die Menschen sind oft tief enttäuscht von Politik“, sagte Köpping  vor dem Parlament. Sie würden gezwungen, Ellenbogen auszufahren. „Sie stehen dabei auf einer Rolltreppe, aber sie müssen hinauflaufen, während die Rolltreppe nach unten fährt.“

Die Ministerin formulierte Erwartungen – auch an sich selbst: „Staat und Politik müssen dafür sorgen, dass Menschen nicht im Dauerstress sind, dass sie nicht jeden Tag um ihre Existenz kämpfen müssen.“ Sie wolle  für  die „neue soziale Sicherheit“ kämpfen und dabei auch laut sein. 

Köppings Rede zeigte Wirkung. Die CDU wies den Begriff der Klassengesellschaft zurück. Die AfD betonte, das Ministerium stehe vor vielen Aufgaben. Die Linke kombinierte Lob mit Druck. Die Erwartungen an Köpping seien groß. Durch die Rede hätten sie sich vergrößert.

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