SZ + Leben und Stil
Merken

Wird der Pflegeheim-Vergleich jetzt leichter?

Pflegeheime bekommen künftig Punkte statt Noten. Das macht die Sache transparenter, aber auch komplizierter, sagt der Chef vom Medizinischen Dienst.

Von Steffen Klameth
Teilen
Folgen
NEU!
Die Kosten für den Aufenthalt in einem Pflegeheim steigen und steigen. Umso größer sind die Erwartungen an eine angemessene Qualität bei Pflege, Unterkunft und Verpflegung.
Die Kosten für den Aufenthalt in einem Pflegeheim steigen und steigen. Umso größer sind die Erwartungen an eine angemessene Qualität bei Pflege, Unterkunft und Verpflegung. © Christoph Schmidt/dpa

Traumnoten für Pflegeheime suggerierten viele Jahre eine heile Welt. Dass die Realität vielerorts anders aussieht, ist kein Geheimnis. Nun wird die Bewertung umgestellt. Was ändert sich? Woran erkennen Pflegebedürftige und Angehörige künftig ein gutes Heim? Wir sprachen mit Dr. Ulf Sengebusch. Er leitet in Sachsen den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), der die meisten Pflegeeinrichtungen und -dienste im Freistaat prüft.

Herr Dr. Sengebusch, alles wird anders. Wird es auch besser?

Ja, es wird besser. Das neue System besteht einerseits aus einem internen Qualitätsmanagement, das für alle Einrichtungen gleich und damit endlich vergleichbar ist. Zum anderen wird es ein neues externes Prüfverfahren geben, bei dem die Beratung eine viel größere Rolle spielt. Das Augenmerk richtet sich in Zukunft vor allem auf die Pflegequalität.

Was ändert sich für die Pflegeheime?

Sie müssen ab sofort halbjährlich sogenannte Qualitätsindikatoren von allen Bewohnern erheben und an einem von ihnen gewählten Stichtag an die Datenauswertungsstelle melden. Diese Indikatoren setzen sich aus insgesamt 98 Daten aus allen Lebensbereichen zusammen. Dabei geht es unter anderem darum, wie mobil und selbstständig die Bewohner sind, wie viele wie oft an Dekubitus oder an den Folgen von Stürzen leiden usw. Die Ergebnisse werden veröffentlicht und auch bei der Prüfung herangezogen. Die Einrichtungen erhalten zudem Hinweise, ob sie besser oder schlechter als der Durchschnitt sind.

Das klingt nach ziemlich viel Aufwand. Sollte es nicht weniger Bürokratie geben?

Für mein Dafürhalten ist das System schon deutlich entbürokratisiert worden. Die Qualitätsindikatoren waren ein Wunsch der Verbände – sicher auch aus der Einsicht heraus, dass Pflege ohne eine Qualitätssicherung nicht funktioniert. Und in ihrem eigenen Interesse sollten die Einrichtungen das System auch nutzen. Wer das kontinuierlich macht, für den stehen Aufwand und Nutzen in einem vertretbaren Verhältnis.

Entfällt damit die viel kritisierte Dokumentation?

Nein, die ist für eine gute Versorgung unverzichtbar – sei es bei der Planung der Tagesstruktur, für die Medikamentengabe oder pflegerische Maßnahmen. Wohlgemerkt: Das machen die Einrichtungen nicht für uns, sondern für eine fachgerechte Versorgung ihrer Bewohner.

Ist der Abstand von sechs Monaten angemessen?

Zumindest für uns als MDK könnte das ein Problem sein. Wenn wir kurz nach dem Stichtag das Heim kontrollieren, ist sicher vieles plausibel. Wenn aber schon fünf Monate vergangen sind, dann sind Veränderungen wahrscheinlich. Der Erklärungsbedarf ist größer.

Wie laufen künftig die Prüfungen ab?

Anders als bisher werden die Prüfungen einen Tag vorher angekündigt ...

... was den Überraschungseffekt deutlich schmälert.

Wenn etwas im Argen liegt, kann man an einem Tag nicht mehr viel retten. Die Ankündigung hat den Vorteil, dass sich die Einrichtungen personell auf die Prüfung einrichten können. Niemand kann die Fragen zu den Qualitätsindikatoren besser beantworten als die Pflegekräfte, die tagtäglich mit den Bewohnern zu tun haben. Aus bestimmten Anlässen können Prüfungen auch unangemeldet erfolgen.

Dr. Ulf Sengebusch (58) ist seit 2004 Geschäftsführer des MDK in Sachsen. Der gebürtige Dresdner hat Medizin in Berlin und Dresden studiert. Vorm Wechsel zum MDK war er Oberarzt und Leiter der Kinderanästhesie am Uniklinikum Dresden.
Dr. Ulf Sengebusch (58) ist seit 2004 Geschäftsführer des MDK in Sachsen. Der gebürtige Dresdner hat Medizin in Berlin und Dresden studiert. Vorm Wechsel zum MDK war er Oberarzt und Leiter der Kinderanästhesie am Uniklinikum Dresden. © MDK Sachsen

Sprechen die Gutachter auch künftig mit Bewohnern?

Natürlich. Die sogenannte Inaugenscheinnahme und das persönliche Gespräch mit Bewohnern sind und bleiben der wesentliche Bestandteil unserer Prüfungen. Allerdings wurde das Prüfsystem verändert. Bisher müssen wir viele Dinge nach dem Muster Ja-Nein abfragen – egal, ob es dafür überhaupt einen Anlass gibt. Künftig können die Gutachter offene Fragen stellen, und es werden viel mehr Aspekte aus allen Lebensbereichen abgebildet.

Zum Beispiel?

Bisher wurde beispielsweise gefragt, ob der Pflegebedürftige Hilfsmittel wie eine Brille benötigt. Künftig stellen wir die Frage, ob und wie seine Sinneswahrnehmung beeinträchtigt ist. Da geht es dann nicht mehr nur darum, ob er eine Brille hat, sondern auch, ob sie seiner Sehstärke entspricht, ob sie sauber ist und griffbereit daliegt.

Wie viele Bewohner werden dabei einbezogen?

Natürlich geht das nur anhand von Stichproben. Die Versorgungsqualität prüfen wir bei jeweils neun Bewohnern. Anschließend wird bei sechs von ihnen noch überprüft, ob die von dem Heim selbst ermittelten Qualitätsindikatoren auch plausibel sind.

Wer wählt die Bewohner aus, mit denen die Gutachter sprechen?

Die Datensammelstelle trifft eine repräsentative Auswahl, damit Bewohner mit kognitiven und/oder Mobilitätseinschränkungen berücksichtigt werden. Diese Bewohner werden dem MDK als Code übermittelt. Übrigens: Auch die zu prüfenden Heime suchen wir uns nicht selbst aus, sondern werden von den Pflegekassen bestimmt.

© Christoph Schmidt/dpa

Wie wird aus den Stichproben eine Bewertung?

Die Qualitätsdefizite werden in vier Kategorien eingeordnet: keine oder geringe Defizite, moderate, erhebliche oder schwerwiegende Defizite. Dafür gibt es die Buchstaben A bis D – und zwar für jeden Bewohner und für insgesamt 16 Qualitätsaspekte. Dazu kommen noch einige übergeordnete Aspekte.

Klingt nicht gerade so, als würde Verbrauchern ein Vergleich damit einfacher gemacht.

Für die Verbraucher soll die Darstellung anders gestaltet werden. Wie genau, ist noch in der Diskussion. Zurzeit wird eine Bewertung nach Punkten favorisiert: Fünf Punkte symbolisieren die beste Bewertung, ein Punkt die schlechteste. Nach diesem Schema bereitet die Datensammelstelle die Indikatorenergebnisse der Einrichtungen und die Prüfergebnisse des MDK auf. Dazu kommen noch allgemeine Informationen der Einrichtungen, etwa zu besonderen Angeboten und zur Personalausstattung.

Patientenschützer kritisieren, dass damit keine rasche Übersicht möglich ist. Sie fordern eine aussagefähige Gesamtnote und K.o.-Kriterien.

Die neue Übersicht bildet die Realität besser ab als bisher. Jeder kann nach dem schauen, was ihm wichtig ist. Das macht die Sache aber auch komplizierter. Deshalb hoffe ich, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und das System weiterentwickelt wird. Aber wie immer es aussehen mag: Jeder sollte sich, wenn möglich, das Heim vorher mal anschauen. Schließlich geht es hier um sein künftiges Zuhause, um sein Leben.

Wo und wann kann man die Ergebnisse einsehen?

Die Pflegekassen veröffentlichen die Ergebnisse wie bisher auf den bekannten Portalen wie Pflegelotse und Pflege-Navigator im Internet. Das wird aber erst im zweiten Halbjahr 2020 passieren.

So lange haben die Pflegenoten Bestand?

Ja. Und bei ambulanten Pflegediensten wird sich auch danach erst mal nichts ändern.

Das Gespräch führte Steffen Klameth.