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Was Kretschmer zu den Ergebnissen des Migrationsgipfels sagt

Bund und Länder haben sich auf einen Migrationskompromiss verständigt - auch in den heiklen Finanzfragen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ist von den Ergebnissen enttäuscht.

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Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, unterhält sich zu Beginn vom Bund-Länder-Gipfel im Bundeskanzleramt mit Reiner Haseloff (l, CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt.
Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, unterhält sich zu Beginn vom Bund-Länder-Gipfel im Bundeskanzleramt mit Reiner Haseloff (l, CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. © dpa

Berlin/Dresden. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat die Ergebnisse der Bund-Länder-Verhandlungen zur Migration als enttäuschend kritisiert. Viele Punkte seien von der Bundesregierung abgeschwächt worden, sagte der CDU-Politiker am Dienstag in Dresden. Dennoch sei der Beschluss am Ende wichtig als erster Schritt. "Es ist nicht die Wende in der Migrationspolitik, aber ein wichtiger Schritt."

Kritik übte Sachsens Regierungschefs auch am Bundeskanzler: Zwischen dem, was Olaf Scholz der Öffentlichkeit in Migrationsfragen signalisiere, und dem, was dieser jetzt vertreten könne, "dazwischen liegen Welten", so Kretschmer.

Kretschmers Sachsen-CDU sieht die Beschlüsse als ihren Erfolg an, aber als nicht weitgehend genug. Zu den Ergebnissen Bezahlkarte, spätere staatliche Hilfe und Steuerungs-Kommission merkt Christian Hartmann, CDU-Fraktionsvorsitzender im Sächsischen Landtag, an: "Wie von MP Michael Kretschmer schon lange gefordert!" Die Ergebnisse gingen jedoch nicht weit genug: Es brauche grundlegende Reformen, um den sozialen Frieden im Land nicht zu gefährden. Dazu müssten jene an der Grenze zurückgewiesen werden, die keinen Anspruch auf Schutz hätten, sowie die materiellen Anreize gesenkt werden.

Positiv äußerte sich Sachsens Sozialministerin Petra Köpping. Die SPD-Politikerin forderte CDU und CSU auf, "endlich zu ihrer staatspolitischen Verantwortung zu stehen". Beim Thema Asyl lobte sie die bessere finanzielle Unterstützung für Kommunen - sie sagte, die Bürgermeister hätten das zu Recht gefordert. Für Sachsen forderte Köpping kürzere Verfahrensdauern und solidarische Verteilung für Geflüchtete. Sie sprach sich für einen "Lenkungsausschuss Asyl" aus.

Bund und Länder verhandelten bis zum frühen Morgen

Zuvor hatten die Länderchefs und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einer Marathonsitzung bis in den frühen Dienstagmorgen verhandelt. Die hart errungene Einigung sieht eine Systemumstellung bei der Finanzierung der Flüchtlingskosten vor, auch sollen die Leistungen für Asylbewerber gekürzt werden.

Die Bundesregierung will zudem prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Asylverfahren sollen zudem schneller abgewickelt werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am frühen Dienstagmorgen nach knapp neunstündigen Beratungen mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder von einem "sehr historischen Moment". Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) betonte, man habe einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. "Klar ist aber auch, dass ein Weg aus sehr vielen Schritten besteht, und natürlich noch weitere Schritte folgen müssen."

Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) äußert sich zusammen mit Boris Rhein (l, CDU), Ministerpräsident von Hessen, und Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, bei einer Pressekonferenz nach dem Bund-Länder-Gipfel im Bundeskanzleramt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) äußert sich zusammen mit Boris Rhein (l, CDU), Ministerpräsident von Hessen, und Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, bei einer Pressekonferenz nach dem Bund-Länder-Gipfel im Bundeskanzleramt. © Bernd von Jutrcenka/dpa

Aus Sicht von Sachsen geht das allerdings nicht weit genug: In einer Protokollnotiz im Papier der Ministerpräsidenten forderte der Freistaat zusammen mit Bayern eine grundlegende Wende in der Migrationspolitik. "Der irreguläre Migrationsdruck muss unverzüglich und umfassend begrenzt werden. Ansonsten drohen die völlige Überforderung der Kommunen und eine Gefährdung der politischen Stabilität des Landes", heißt es in der Erklärung.

Dafür fordern die beiden Bundesländer unter anderem, das Grundrecht auf Asyl in seiner jetzigen Form zu überdenken und weiterzuentwickeln. "Ziel muss es sein, dass an der deutschen Grenze jene wirksam zurückgewiesen werden können, die keinen Anspruch auf Schutz haben", heißt es in der Protokollerklärung der beiden Bundesländer.

Finanzierung der Flüchtlingskosten wird umgestellt

Bund und Länder einigten sich auf eine Systemumstellung bei der Finanzierung der Flüchtlingskosten. Vom kommenden Jahr an zahlt der Bund für jeden Asylerstantragssteller eine jährliche Pauschale von 7.500 Euro und nicht mehr eine jährliche Gesamtsumme von derzeit rund 3,7 Milliarden Euro. Scholz sprach vom "Übergang zu einem atmenden System" und erläuterte: "Mit steigenden Zahlen gibt's mehr Geld, mit sinkenden Zahlen gibt's weniger."

Hessens Ministerpräsident Rhein erklärte, die Länder könnten sich immer vorstellen, vom Bund noch mehr Geld zu bekommen. Er erläuterte, dass es zusammen mit Entlastungen um ein Volumen von insgesamt rund 3,5 Milliarden Euro für die Kommunen gehe. Es sei gelungen, "hier Handlungsfähigkeit zu beweisen".

Weil rechnete vor, die Bundesregierung habe für das kommende Jahr 1,2 Milliarden Euro geben wollen, die Länder hätten eher 5 Milliarden Euro gewollt. "Dass es gelungen ist, unter diesen Bedingungen ziemlich genau auf der Mitte zueinander zu kommen, das ist zu früher Morgenstunde wirklich ein Ausrufezeichen wert." Für die Kommunen gebe es 2024 sogar "einen wesentlichen zusätzlichen Erstattungsbetrag", weil bei den 3,7 Milliarden Euro für dieses Jahr eine Sonderzahlung für Ukraine-Flüchtlinge enthalten sei, die man rausrechnen müsse.

Verringerung der Asylbewerberzahlen

Bund und Länder hielten fest, dass derzeit zu viele Menschen nach Deutschland flüchteten. "Klare und zielgerichtete Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung" seien daher nötig. So will die Bundesregierung prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Asylverfahren sollen schneller abgewickelt werden als bisher, dafür setzen sich Bund und Länder neue Zielmarken.

Insbesondere bei Menschen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als fünf Prozent soll das Asylverfahren in drei Monaten abgeschlossen sein. An den Kontrollen, die Deutschland derzeit an den Grenzen zur Schweiz, Tschechien, Polen und Österreich durchführt, will man festhalten. Asylbewerber in Deutschland sollen mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen.

Leistungskürzungen für Asylbewerber

Wenn sich Verfahren hinziehen, sollen künftig nicht nur 18, sondern 36 Monate lang nur Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden. Aktuell haben Asylbewerber eineinhalb Jahre lang Anspruch auf ein Dach über dem Kopf sowie Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern. Statt solcher Sachleistungen sind teils auch Wertgutscheine oder Geldleistungen vorgesehen. Nach 18 Monaten steigen die Sätze ungefähr auf Höhe der regulären Sozialhilfe. Dieser Schritt soll künftig später erfolgen, was im Effekt eine Kürzung der staatlichen Leistungen bedeutet.

Streit in der Ministerpräsidentenrunde über Zusatzforderungen

Vor Beginn des Treffens im Kanzleramt hatte es bei den Beratungen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten Streit beim Migrationsthema gegeben. Die unionsgeführten Länder und das grünengeführte Baden-Württemberg überrumpelten die SPD-Seite mit einem Katalog von neuen Forderungen. Sie stellten sich unter anderem hinter einen Vorschlag von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Asylverfahren auch außerhalb von Europa zu ermöglichen. Dies will der Bund nun prüfen - ein Schritt, den SPD, Grüne und FDP ähnlich bereits im Koalitionsvertrag vereinbart hatten.

Die Beratungen zogen sich drei Stunden länger hin als ursprünglich geplant. Sie seien "nicht so wirklich erquicklich" gewesen, sagte anschließend ein genervt wirkender Weil.

Kommission zur besseren Steuerung vereinbart

Bund und Länder beschlossen, eine Kommission zur besseren Steuerung der Migration einzusetzen. Es soll ein breites gesellschaftliches Bündnis gegründet werden, das gemeinsam Lösungen zur Steuerung der Migration und zur Verbesserung der Integration mit dem Ziel der Bewahrung des gesellschaftlichen Friedens erarbeiten soll. Daran könnten zum Beispiel Kirchen und Gewerkschaften, Wissenschaftler und auch Vertreter von Organisationen teilnehmen, die sich für die Belange von Asylbewerbern einsetzen, hieß es.

Reaktionen aus der Bundespolitik

Innerhalb der Koalition stießen die Kompromisse auf Zustimmung. Die Einschränkung bei den Leistungen für Asylbewerber könnten zu Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro führen, betonte Finanzminister Christian Lindner (FDP). "Dadurch werden nicht nur Länder und Kommunen entlastet", schrieb Lindner auf dem Netzwerk X (vormals Twitter). Durch diese Maßnahme werde auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert, so der Finanzminister.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete und Generalsekretär der FDP Sachsen, Philipp Hartewig, wertete die Ministerpräsidentenkonferenz als Erfolg. "Es ist gut, dass in diesen unruhigen Zeiten Bund und Länder trotz aller Unterschiede in den großen Fragen geeint sind", schrieb er auf X. Es sei der Weg für ein Umdenken in der Migrationspolitik geebnet, so Hartewig.

Von einer „wichtigen Einigung, die ein gemeinsames Signal des Bundeskanzlers mit den Ländern in herausfordernden Zeiten“ sprach der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese. "Das gemeinsame begrüßenswerte Ziel ist mehr Steuerung und Ordnung, aber auch ein klarer Fokus auf eine schnelle Arbeitsaufnahme und die Unterstützung der Städte und Gemeinden", sagte Wiese dem Tagesspiegel.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hat eine schnelle Umsetzung der Maßnahmen zur Steuerung und Begrenzung der Migration nach Deutschland gefordert. Mit der Verständigung von Bund und Ländern seien wichtige Voraussetzungen geschaffen worden, den Zuzug nach Deutschland zu begrenzen, sagte Günther der Deutschen Presse-Agentur am frühen Dienstagmorgen nach Abschluss der Ministerpräsidentenkonferenz. "Jetzt geht es darum, dass der Bund und die Länder schnell in die Umsetzung der Maßnahmen kommen."

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat die Ergebnisse der Bund-Länder-Verhandlungen zur Migration als Fortschritt, aber noch nicht ausreichend bewertet. "Positiv: Es bewegt sich was! Negativ: Das reicht noch nicht", schrieb der CSU-Chef am Dienstagmorgen auf der Plattform X, früher Twitter. "Wir müssen weiter Druck machen, um die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen", betonte Söder.

CDU-Generalsekretär Linnemann: "Das ist alles zu weich"

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann beurteilte die Einigung als unzureichend. "Es ist ein kleiner Schritt", sagte Linnemann am Dienstag im ARD-"Morgenmagazin". Das Papier reiche aber "bei weitem nicht aus", um die illegale Migration in Deutschland einzudämmen.

"Wir können jetzt nicht jahrelang warten, bis die europäische Außengrenze wirklich geschützt wird, sondern da müssen wir auch an unseren Grenzen Kontroll- und Transitzentren einführen", forderte Linnemann. Asylbewerber sollten erst dann auf die Kommunen verteilt werde, wenn ein Bleiberecht bestehe. Zudem solle der Familiennachzug eingeschränkt und Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden. "In dem Papier heute Nacht steht drin, wir wollen das alles prüfen", sagte der CDU-Politiker. "Das ist alles zu weich."

Einigung bei Planungsbeschleunigung

Anders als beim Migrationsthema kamen Bund und Länder bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren ganz schnell zusammen. Dies soll dafür sorgen, dass Windräder, Stromtrassen, Bahnstrecken, Wohnungen oder Mobilfunkmasten einfacher und schneller gebaut werden. Dazu sollen bürokratische und rechtliche Hürden fallen. Das Paket umfasst laut Scholz an die 100 Einzelregelungen. Weitere Vereinfachungen im Gesundheitswesen und für die Wasserstoffindustrie sollten folgen, kündigte der Kanzler an. Das Paket soll aus Sicht des Kanzleramts das Kernstück des von Scholz vorangetriebenen Deutschlandpakts sein.

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In den letzten Jahrzehnten hätten Bund und Länder "mit großer Liebe und Zuneigung" immer mehr bremsende Vorschriften erfunden, sagte Scholz. Jetzt gehe es darum, "dass nicht noch ein Politiker sagt, alles soll schneller werden, sondern dass es tatsächlich passiert". Umweltverbände befürchten aber, dass die Beschleunigung auf Kosten der Natur erfolgt. Die beschlossenen Maßnahmen versprächen Geschwindigkeit durch den einseitigen Abbau von Umweltstandards, kritisierte der Naturschutzbund Deutschland. "Damit werden viele Errungenschaften des Umweltschutzes der letzten Jahrzehnte aufs Spiel gesetzt."

Weitere Schritte zur Sicherung des Deutschlandtickets

Bei der Finanzierung des Deutschlandtickets im Nahverkehr verständigten sich Bund und Länder auf weitere Schritte. In diesem Jahr nicht verbrauchte Mittel sollen demnach 2024 für den Ausgleich finanzieller Nachteile aus dem Ticket eingesetzt werden können. Außerdem sollen die Verkehrsminister beauftragt werden, ein Konzept zur Weiterführung des Tickets ab 2024 vorzulegen. In den Blick rückt dabei auch der Preis von bisher 49 Euro im Monat, der von vornherein als "Einführungspreis" bezeichnet worden war. (SZ mit dpa)