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"Dresden ist so anders als Mumbai": Wie eine indische Fachkraft in Sachsen zurechtkommt

Deutschland ist laut OECD ein "attraktives Zielland" für Fachkräfte. Doch es gibt viele Hürden. Ein Beispiel aus Dresden zeigt, wie die Einwanderung gelingen kann.

Von Paul Meyer
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Avinash Shinde an seinem Arbeitsplatz bei der Firma Lumiloop. Die Firma Lumiloop stellt hochspezialisierte Sensoren her.

Avinash Shinde ist als gefragte internationale Fachkraft nach Dresden gekommen.
Avinash Shinde an seinem Arbeitsplatz bei der Firma Lumiloop. Die Firma Lumiloop stellt hochspezialisierte Sensoren her. Avinash Shinde ist als gefragte internationale Fachkraft nach Dresden gekommen. © ronaldbonss.com

"Das Leben in Dresden ist so anders als in Mumbai", sagt Avinash Shinde, der vor anderthalb Monaten als internationale Fachkraft nach Deutschland gekommen ist: "Hier ist es in der Nacht und am Morgen so ruhig. Das ist ein bisschen störend. Oder nicht störend, aber komisch. In Mumbai ist immer Krach." In der Nähe von Mumbai ist Shinde aufgewachsen und absolvierte an der dortigen Universität einen Bachelor und Master in Elektronik und Telekommunikation. Anschließend hat er sechs Jahre in diesem Feld gearbeitet und beginnt jetzt einen Job in Dresden.

Sein neuer Arbeitgeber ist Lumiloop, ein aus der TU Dresden ausgegründetes Unternehmen mit 22 Mitarbeitern, das mithilfe sensibelster Antennen elektromagnetische Felder haarscharf messen und aufzeichnen kann. Die Arbeit empfindet Shinde als leicht, weil er in Indien bereits in derselben Branche gearbeitet hat, sodass ihm die meisten Abläufe und Anforderungen schon bekannt sind. Außerdem seien "auf Arbeit alle sehr hilfsbereit und freundlich" und er schätzt die "einmalige Möglichkeit, bei Lumiloop zu arbeiten". Nach Unternehmensangaben gibt es weltweit nur zwei Unternehmen, die eine ähnliche Technik verkaufen, weshalb Lumiloop auf dem gesamten Globus Abnehmer findet.

Transkontinentale Personalvermittlung

Nach Deutschland zu kommen sei für ihn leicht gewesen, erzählt Shinde, weil er nicht alles alleine organisieren musste. Er profitierte von einem Ansatz, der in Deutschland noch eher selten ist. Das Unternehmen für Personalvermittlung Intap Network kam auf ihn zu, als er noch in Mumbai arbeitete. Intap rekrutiert gezielt Fachkräfte für die Technologie-Unternehmen in Dresden mit der Kampagne "#HalloIndia", um den hohen hiesigen Bedarf an Hochqualifizierten zu bedienen.

Intap stellte schon früh den Kontakt zwischen Lumiloop und Avinash Shinde her, sodass der Arbeitsvertrag bereits geschlossen werden konnte, als Shinde noch in Mumbai war. Des weiteren beriet Intap das Unternehmen dann zur Visumsbeantragung, Sprachangeboten und Reisekosten. Viele Hürden fielen dadurch für Shinde weg, da sie professionell aus dem Weg geräumt wurden. So kann er sagen: "Das Visa kam schnell". Von der Kontaktaufnahme im Juli dauerte es nur knapp über ein halbes Jahr, bis er anfing, in Dresden zu arbeiten.

Viele seiner Kollegen und Freunde in Indien seien ebenfalls daran interessiert, nach Deutschland zu kommen: Sie hätten ihn gebeten, nach Jobangeboten Ausschau zu halten und ihnen die Informationen zukommen zu lassen. Shinde ist überzeugt: "Mit einer guten Bildung und mehreren Jahren Erfahrung hat man gute Chancen, nach Deutschland zu kommen". Ähnliches zeigt eine kürzlich in Berlin vorgestellte Studie. Im Vergleich zu dieser Studie wird deutlich, dass Shindes Erfahrungen außergewöhnlich sind. Denn obwohl er ähnliche Qualifikationen mitbringt wie viele andere Fachkräfte, haben andere mit deutlich mehr Hürden zu kämpfen.

30.000 internationale Fachkräfte kommen nach Deutschland

Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa) hat statistisch belastbar die Erfahrungen und Vorstellungen internationaler Fachkräfte untersucht, die nach Deutschland kommen. In ihrer Anfang Februar diesen Jahres vorgestellten Studie wurden über ein Jahr hinweg dreimal Fachkräfte befragt, die aus dem Ausland kommend in Deutschland eine Arbeit aufnehmen wollten. Thomas Liebig, der als studierter Ökonom für die OECD die Migration erforscht, fasst die Ergebnisse so zusammen: "Deutschland ist ein attraktives Zielland". Gleichwohl sei es "noch ein bisschen ein verspätetes Fachkräfteeinwanderungsland", da einige Hürden dringend gebrauchte Fachkräfte derzeit noch an der Einwanderung hindern würden.

Die meisten Menschen, die per Arbeitsvisum nach Deutschland immigrieren, sind hochgebildet. Die Hälfte von ihnen hat einen Bachelor-Hochschulabschluss, ein weiteres Viertel einen Master oder Doktor abgeschlossen. Fortgeschritten Deutsch sprechen bereits 20 Prozent, während 40 Prozent über Basiskenntnisse der Sprache verfügen. Die meisten Menschen kommen dabei aus der Türkei (13 Prozent), danach folgen Indien (10 Prozent) und Kolumbien (9 Prozent), mit drei bis vier Prozent kommen ebenfalls viele Menschen aus Ägypten, Algerien, Argentinien, Mexiko, den Philippinen und Russland. Insgesamt haben 2023 rund 30.000 internationale Fachkräfte in Deutschland eine Arbeit begonnen.

Viele Hürden verlangsamen den Prozess

Von den 6.000 Befragten haben es allerdings nur fünf Prozent innerhalb eines Jahres geschafft, tatsächlich nach Deutschland zu ziehen, obwohl 92 Prozent der Befragten weiterhin in die Bundesrepublik kommen wollen. Diejenigen, die es geschafft haben, hatten meist schon zuvor Verwandte oder Freunde in Deutschland, waren besser ausgebildet und sprachen besonders gut deutsch. 30 Prozent der Fachkräfte geben als deutliche Hürde die langen Wartezeiten für ein Visum und komplizierte Verfahren an.

Die Hälfte der Studienteilnehmer, die 2023 nach Deutschland zogen, arbeitete hier in Mangelberufen wie der IT-Dienstleistung oder im Ingenieurswesen, aber auch im Baugewerbe. Dabei verdienten rund 50 Prozent weniger als 4000 Euro, während die andere Hälfte über 4.000 Euro verdiente. Das durchschnittliche Bruttogehalt eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers lag in Deutschland 2023 laut Statistischem Bundesamt bei 4.323 Euro.

Perspektive für Familiennachzug wichtig

Besonders interessante Ergebnisse lieferten die Befragungen zur familiären Situation der Fachkräfte. 60 Prozent sind liiert und/oder haben Kinder. Von diesen kommen 37 Prozent dennoch ohne ihre Familie nach Deutschland. Allerdings wollen diejenigen, die mit Familie in die Bundesrepublik kommen, zu 75 Prozent hier bleiben, während von den einzelnstehenden Personen nur 60 Prozent dauerhaft hier bleiben wollen.

Die Partnerinnen oder Partner der nach Deutschland gekommenen sind im Vergleich zu letzteren sogar noch gebildeter. 83 Prozent von ihnen haben einen Hochschulabschluss und zwei Drittel bereits mehr als fünf Jahre Arbeitserfahrung. Auch aus diesem Grund sei ein Familiennachzug oder ein gemeinsamer Umzug, wie er in Kanada üblich sei, auch für den deutschen Arbeitsmarkt sinnvoll.

Diskriminierung und Abkühlungsprozess

Sorge bereiten Liebig Zahlen zur Diskriminierung. So berichten die nach Deutschland gezogenen von deutlich mehr Diskriminierungserfahrungen, als sie erwartet hatten: Jeder zweite gab an, während der Wohnungssuche diskriminiert worden zu sein. Auch im Alltag, in Geschäften oder Restaurants (37 Prozent) und auf der Straße (37 Prozent) wurden viele Zugezogene diskriminiert, während sich jeder sechste von der Polizei diskriminiert fühlten. Vor dem Umzug hatte ein Drittel Diskriminierungen bei der Wohnungssuche und 15 Prozent Diskriminierung auf der Straße erwartet.

Dementsprechend lässt sich bei den zugezogenen Fachkräften ein kritischerer Blick auf Deutschland feststellen. War vor dem Umzug noch knapp die Hälfte überzeugt, dass Deutschland ein Land ist, das Eingewanderte willkommen heißt, sank dieser Wert nach dem Umzug auf 33 Prozent. Dass es leicht sei, sich in Deutschland zu integrieren, dachten vor dem Umzug 30, danach nur noch 20 Prozent.