SZ + Wirtschaft
Merken

Ifo-Konferenz in Dresden: Erst die Wende, jetzt die Krise

Vor 30 Jahren begann das Ifo-Institut damit, die Wirtschaftstransformation im Osten zu begleiten. Jetzt warten hier neue Probleme. Und die Forscher haben Rezepte gegen Fachkräftemangel und für den Strukturwandel.

Von Nora Miethke
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
VW fehlen Aufträge für die ID.3-Produktion in Zwickau. Den Wirtschaftsforschern macht die maue Entwicklung in der Autoindustrie Sorgen.
VW fehlen Aufträge für die ID.3-Produktion in Zwickau. Den Wirtschaftsforschern macht die maue Entwicklung in der Autoindustrie Sorgen. © dpa

Vor dreißig Jahren im September 1993 wurde die Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung gegründet, um die wirtschaftliche Transformation nach der Wende zu begleiten. Diese sei heute größtenteils abgeschlossen, doch es gäbe so viele neue Transformationsherausforderungen, so dass die Wirtschaftsforscher ihre große Jubiläumskonferenz diese Woche in der Dreikönigskirche in Dresden unter das Motto „Die neue Transformation“ stellten. „Wir wollen bewusst keine Rückschau machen, sondern nach vorn blicken“, begrüßte Ifo Dresden-Chef Marcel Thum die Gäste, darunter auch Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann und die Vorstandsvorsitzende der Sächsischen Aufbaubank, Katrin Leonhardt.

Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, zu dem die Dresdner Niederlassung gehört, fand den Begriff der „neuen Transformation“ hilfreich, da er an den ersten großen Wandelprozess von der Plan- zur Marktwirtschaft in Ostdeutschland erinnere. „Das kann Mut machen, dass wir auch diese neue Transformation bewältigen.“, so Fuest. Auch wenn dieser Wandel unter Krisenbedingungen erfolgen muss. Als Beispiele zählte der Ökonom die Verteuerung der Energie infolge des Kriegs in der Ukraine, den wachsenden Protektion in den USA oder die höheren Verteidigungslasten auf.

Mit Blick auf die De-Industrialisierungsdebatte wegen teurer Energie betonte Fuest in seinem Festvortrag, dass die Probleme in der Industrie nicht erst durch die Energiekrise entstanden seien, sondern durch die von Dieselskandal, massiven Softwareproblemen und Lieferengpässen gebeutelte Autoindustrie. „Die maue Entwicklung im Automobilbau, der wichtigsten Industrie in Deutschland erklärt, warum die Industrieproduktion seit 2018 abbröckelt“, so der Ifo-Chef.

Energiekrise, Lieferkettenprobleme, Fachkräftemangel – das sind die neuen Probleme der Industrie. Nicht nur im Osten, sondern auch für den Stahlproduzenten Thyssenkrupp in Duisburg. Foto: dpa
Energiekrise, Lieferkettenprobleme, Fachkräftemangel – das sind die neuen Probleme der Industrie. Nicht nur im Osten, sondern auch für den Stahlproduzenten Thyssenkrupp in Duisburg. Foto: dpa © dpa

Doch ist De-Industrialisierung schlimm? Nicht unbedingt, meint der Ökonom. Denn es gäbe keinen notwendigen Zusammenhang, nach dem ein großer Industriesektor das Wirtschaftswachstum begünstigt. Alle großen G7-Industrieländer – deren Wirtschaftsleistungen derzeit stärker wachsen als in Deutschland – hätten sich in den vergangenen Jahrzehnten von industriellen Branchen weg bewegt.

Allerdings würde die Industrie in Deutschland erheblich zum materiellen Wohlstand beitragen, deshalb sollte die Politik vorsichtig sein, die Entwicklung in diesem Sektor zu gefährden. „Die transformative Angebotspolitik des Bundeswirtschaftsministers macht mir etwas Sorgen“, so Fuest. Angebotspolitik bedeutet, dass der Staat sich darauf konzentriert, die Bedingungen zu verbessern, unter denen Unternehmen produzieren können, sie also entlastet von Steuern, Abgaben, Vorschriften oder Regulierung. Doch Robert Habeck will nicht alle Unternehmen entlasten oder mit Subventionen unterstützen, sondern nur jene, die sich auf Zukunftstechnologien konzentrieren, also Batterien, Halbleiter, Solarpaneele, Elektrolyseanlagen oder Windkraftturbinen herstellen wollen. Der Ifo-Chef fordert: „Wir brauchen eine sehr breite Angebotspolitik, breite Förderung statt Fokus auf enge sektorale Grenzen“.

Mehr Investitionen in frühkindliche Bildung

Professorin Katharina Spieß, Direktorin des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung, plädierte bei einer anderen Transformationsherausforderung - dem Demografischen Wandel – für eine nachhaltige Perspektive. Die Bevölkerungspyramide werde in Deutschland getragen durch die Kinder mit ausländischen Wurzeln, so Spieß. Jedes zweite Kind unter 10 Jahren habe inzwischen einen Migrationshintergrund. Deshalb sollten die Investitionen in die frühkindliche Bildung verstärkt werden und mehr Kitaplätze für diese Familien geschaffen werden. Oft höre sie die Frage, wo die Fachkräfte für all die neuen Kitas herkommen sollen. Spieß verweist dann wie auch in ihrem Vortrag in Dresden auf das Modell in Norwegen, wo viele Ruheständler als „Oma- und Opa-Hilfskräfte“ gewonnen werden. Das ließe sich in Deutschland, wo die Babyboomer-Generation in den nächsten Jahren massenweise in Rente geht, auch versuchen.

Aber auch an anderer Stelle könne dem sinkenden Erwerbspersonenpotenzial begegnet werden. der zentrale Hebel sei die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ein anderer Hebel die Verbesserung der beruflichen Ausbildung. Aber auch der technische Fortschritt kommt der Wissenschaftlerin in der Debatte viel zu kurz. Statt zu sagen, die Digitalisierung kostet Jobs, „können wir sagen: „Gut, dass viele Arbeitsplätze durch Digitalisierung ersetzt werden“. so Spieß.

Technologischer Fortschritt hilft, Klimaziele zu erreichen

Um energiesparenden technologischen Fortschritt ging es auch im Vortrag von Professor Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Er analysierte die Effekte der Energiewende auf die Wirtschaft. Wenn schneller erneuerbare Energien ausgebaut und Speicherlösungen entwickelt und in die industrielle Anwendung kommen, könnte das langfristig helfen, die Klimaziele zu erreichen. Aber eine bittere Pille hielt Holtemöller für alle bereit: „Ganz ohne Konsumverzicht werden wir es nicht schaffen. Auch mit Blick auf den Strukturwandelprozess in den Braunkohleregionen sieht er die große Aufgabe der Politik darin, den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. „Sonst wird es schwierig, die Energiewende durchzusetzen“, so Holtemöller.

Die Konferenz zum großen Jubiläum machte deutlich, auch in den nächsten 30 Jahren gibt es genügend Forschungsthemen für das Ifo Dresden, um die Transformation in Deutschland zu begleiten.