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Löst Merz sein Versprechen ein, droht der CDU ein Loch

Mit großer Mehrheit hat die Mitgliederversammlung Friedrich Merz zum CDU-Chef gewählt. Ein gefährlicher Triumph. Ein Kommentar.

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Friedrich Merz soll nach dem Willen der CDU-Mitglieder die Partei führen.
Friedrich Merz soll nach dem Willen der CDU-Mitglieder die Partei führen. © dpa

Von Robert Birnbaum

Die Mitglieder der CDU haben gesprochen, und ihr Votum ist unzweideutig. Friedrich Merz geht mit einer sehr starken Legitimation an den Start als neuer CDU-Vorsitzender. Für den innerparteilichen Frieden erfüllt das Experiment damit seine Funktion, auf das sich die CDU notgedrungen eingelassen hatte.

Nach den zweieinhalb Jahren, in denen zwei Vorsitzende von den Anhängern der Verlierer eher murrend akzeptiert wurden, kann sie diese Klarheit dringend brauchen.

Die andere Frage ist, ob Merz der Richtige ist, um die Partei nach der krachenden Niederlage wieder geschäftsfähig zu machen. Die Mitglieder setzen erkennbar auf ihn, weil sie ihn für die Nummer Sicher halten: Vertrauter Sound, reichlich Selbstbewusstsein, Angriffslust und Redebegabung.

Die politische Konkurrenz freut sich allerdings genauso. Merz bietet Angriffsfläche als Mann von Gestern. Er war vor einem Vierteljahrhundert Angela Merkels Rivale – und nach ihr die Zukunft? Das leuchtet nicht unmittelbar ein. Merz wird zu tun haben, um das Bild zu korrigieren.

Die CDU muss sich neu erfinden

Es wird ihm aber gar nichts anderes übrig bleiben. Auf die CDU kommt eine enorme Aufgabe zu. Sie muss sich quasi neu erfinden. Es geht dabei nicht um einzelne inhaltliche oder organisatorische Defizite, die nach dem blamablen Wahlkampf jedem aufgefallen sind. Die Partei muss sich als Marke neu definieren: Wofür werden wir gebraucht, was nicht auch andere liefern können?

Das wird diesmal weitaus schwieriger als beim letzten Gang in die Opposition vor einem Vierteljahrhundert. Damals verlor Helmut Kohl die Wahl, aber die CDU nicht ihre strukturelle Dominanz als große Volkspartei.

Heute dümpelt selbst die bayerische CSU knapp über 30 Prozent und muss in zwei Jahren um die Macht fürchten. Der CDU droht bereits bei den Landtagswahlen im Frühjahr eine ganze Garde junger Ministerpräsidenten verloren zu gehen.

Denn der Absturz bei der Bundestagswahl war kein bedauerlicher Ausreißer in einer ansonsten ungebrochenen Erfolgsserie. Die Unionsparteien standen lange vor Laschets Werk und Söders Beitrag auf wackeligem Fundament. Viele haben Angela Merkel trotz, nicht wegen ihrer Partei gewählt. Sie haben jetzt ohne großes Bedauern ihr Kreuz bei Grünen, SPD oder FDP gemacht.

Regelrecht Angst machen muss der CDU dabei der Blick auf die Altersstruktur. Ihr Bollwerk sind die Alten. Doch zwischen zwei Wahlen verliert sie regelmäßig eine gute Million Stimmen an Gevatter Tod, ein Prozess, der sich in den geburtenstarken Jahrgängen mit mathematischer Zwangsläufigkeit noch beschleunigen wird. Und die Jungen haben diesmal Grün oder Freidemokratisch gewählt. So was wird schnell zur Gewohnheit.

Das verweist zugleich auf das größte Problem. Grüne wie FDP arbeiten sich ganz gezielt in die Mitte vor. Beide versuchen die Union – nicht nur per Sitzordnung im Bundestag – in eine konservative Ecke zu drängen. Die hilft ihnen dabei auch noch selbst mit dem klassischen Oppositionsreflex, die Regierung bei den Themen zu attackieren, wo es aus alter Gewohnheit am leichtesten fällt: Haushalt, Sicherheit, Migration.

Damit kann man die Ampel-Regierung ärgern, aber nicht ernsthaft gefährden. Neue Wähler bringt es auch nicht. Die kommen sowieso erst wieder, wenn sie Olaf Scholz und Co leid sind. Das kann dauern. Schwierige Bündnisse sind oft erstaunlich stabil. Außerdem wollen beide kleineren Partner, siehe oben, die Union skelettieren und nicht päppeln.

Für die CDU liegt darin das Risiko ihrer Entscheidung – und für den künftigen Vorsitzenden die einzige Chance. Merz hat jahrelang tatkräftig an dem Bild mitgemalt, dass die Partei unter ihm zu alten Zeiten zurückkehren würde. Löst er dieses Versprechen an seine Fans jetzt ein, wird die CDU im 25-Prozent-Loch unter sich bleiben.

Friedrich Merz hat seine Partei gewonnen. Das ist viel und zu wenig zugleich. Er muss jetzt nämlich die gewinnen, die über ihn den Kopf schütteln.