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Wie viel Professor steckt in Karl Lauterbach?

Bei Gesundheitsminister Lauterbach finden sich kaum Anzeichen einer fundierten akademischen Vergangenheit. Das ergaben eine Suche und Gespräche mit alten Mitarbeitern.

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). © Bernd von Jutrczenka/dpa

Von Thomas Trappe

Beschönigung konnte man Karl Lauterbach nicht vorwerfen. 2014, RTWH Aachen, TEDx-Talk: Dass er 1996 als Gründungsprofessor an ein neues Institut in Köln berufen wurde, sagte der heutige Bundesgesundheitsminister im Rückblick, hatte er dem äußerst speziellen Anforderungsprofil zu verdanken.

Wie kam es dazu? Weil er der Universität Köln zuvor sehr detailliert gesagt habe, wie die Ausschreibung für den Lehrstuhl auszusehen habe. "Darauf habe ich mich dann beworben. Und glauben Sie es oder nicht – ich passte präzise auf die Ausschreibung." Lauterbach packte die Nacherzählung über seinen Aufstieg in gut dosierte Ironie – und gab doch einen seltenen Einblick in seine akademische Laufbahn.

Das Wissenschaftler-Image pflegt Lauterbach akribisch, seit er Anfang der 2000er Jahre Berater der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (beide SPD) wurde. 1996, nach seiner offenbar reibungslosen Berufung, baute er als Professor das Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft der Universität Köln auf, dessen Leiter er zwei Jahre später wurde. Fortan firmierte es als Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Uniklinik Köln.

Wo ist die fundierte akademische Vergangenheit Lauterbachs?

Der "Arzt und Wissenschaftler", wie Lauterbach sich gerne vorstellt, ließ seit dieser Zeit nie einen Zweifel daran: Wo er ist, ist die Wissenschaft. Das brachte ihn ins Amt, und er beruft sich auch heute darauf, qua Person wissenschaftliche Expertise in die Arbeit der Bundesregierung einzubringen.

Doch auf was kann sich die akademische Autorität, die Lauterbach wie eine Monstranz vor sich herzutragen pflegt, berufen? Erhellend sind neben einem genauen Blick auf seine Veröffentlichungen dabei Gespräche mit Weggefährten seiner gar nicht so langen Zeit als Institutsdirektor in Köln.

Es ist nicht so, dass sich dabei das Bild des Wissenschaftlers Lauterbach verdichtet – vielmehr scheinen sich, je mehr man nach ihnen sucht, die Anzeichen für eine fundierte akademische Vergangenheit des heutigen Gesundheitsministers zu vereinzeln, wenn nicht gar zu verflüchtigen. Karl Lauterbach: Der Karrierewissenschaftler.

Lauterbachs Karrierestart in Aachen

Am Anfang seiner Karriere stand das 1989 abgeschlossene Medizinstudium an der RWTH Aachen. 1990 folgte die erste Dissertation, im Feld der Nuklearmedizin. Dem Medizinstudium folgte ein dreijähriger Aufenthalt an der Harvard School of Public Health, mit den Schwerpunkten Epidemiologie und Health Policy. Dem Master-Abschluss schloss sich ein Fellowship an der Harvard Medical School an, das Lauterbach 1995 schließlich mit dem Titel "Dr. Sc." abschloss – seinem zweiten Doktortitel.

Die Arbeit verfügt nicht über einen eigenen Methodenteil – für Absolventen von Lauterbachs Institut zum Beispiel ist dies heute verpflichtender Bestandteil jeglicher Abschlussarbeit. Auf die Frage, ob seine Harvard-Dissertation nach eigener Auffassung den Ansprüchen entspricht, die er als Institutsdirektor an seine Studierenden stellt, antwortet ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, der Vergleich führe in die Irre.

"Promotionen an der Harvard-Universität und an der Universität zu Köln folgten damals unterschiedlichen Vorgaben", wird erklärt. Dass Lauterbach über eine exzellente akademische Eignung verfüge, zeige sich auch in der Tatsache, dass er bereits viermal von Universitätskommissionen in Deutschland zum Professor berufen worden sei – zweimal in Köln, einmal in Tübingen, einmal in Greifswald.

Die unbefriedigende Suche nach epidemiologischen Aspekten

Wichtiger jedoch: Die Arbeit mit dem Titel "Justice and the functions of Health Care" beschäftigt sich mit ethischen Fragestellungen, nur am Rande mit gesundheitsökonomischen, kaum mit epidemiologischen Aspekten. Sie prädestiniert damit also nicht zwingend für eine Professur der Gesundheitsökonomie und Klinischen Epidemiologie. Denkbar aber, dass Lauterbach nach der Dissertation durch weitere Publikationen auffiel.

Dazu ist aber weder auf Lauterbachs Webseite, noch auf dem Portal für Wissenschaftspublikationen Researchgate etwas zu finden. Auch die Seite der Harvard T.H. Chan School of Public Health, wo Lauterbach als "Adjunct Professor", also Gastdozent, aufgeführt wird, listet nichts dergleichen auf. Auch nach wiederholter Nachfrage kann Lauterbachs Ministerium schließlich keine einzige Publikation nennen, die er als Erstautor vor der Kölner Berufung in einem einschlägigen Journal – oder überhaupt einem – publiziert hat.

Erste Publikationen sind nur aus der Zeit aufgelistet, in der Lauterbach schon lange das Kölner Institut leitete. Bei sämtlichen von der Harvard School aufgeführten 14 Publikationen ist er Letztautor, verantwortlicher Erstautor ist mit einer Ausnahme Afschin Gandjour. Gandjour, heute Professor für Health Management an der Frankfurt School of Finance & Management, wurde von Lauterbach kurz nach dessen Amtsantritt ans Institut geholt und arbeitete dort zehn Jahre als "Research fellow".

Eine komplette Auflistung der Publikationen bleibt das Ministerium schuldig

Regelhaft wird Gandjour in den Publikationen als "Corresponding Author" genannt, also als jener, an den man sich bei inhaltlichen und allen anderen Fragen zur Studie wenden soll. Auf Nachfrage erklärt das BMG, dass Lauterbach in den Studien Letztautor genannt wurde, weil er Institutsleiter war. "Dieses Vorgehen ist in der Medizin nicht unüblich", wird erklärt. Zudem handle es sich bei den Studien "nur um eine Auswahl", nicht um eine komplette Liste. Die Bitte nach einer kompletten Auflistung ließ das Ministerium indes unbeantwortet.

Zu Beginn, so wird von ehemaligen Mitarbeiter:innen berichtet, mit denen Tagesspiegel Background sprechen konnte, sei Lauterbach etwa einmal pro Woche am Institut aufgetaucht. Er sei von Anfang an sehr "umtriebig" gewesen, habe sich vor allem um Medienpräsenz bemüht. Schon nach kurzer Zeit wurde dies für viele zum Ärgernis.

Einmal soll Lauterbach mehr als ein Dutzend Professoren zu einem Meeting geladen haben, um diese dann über eine Stunde ohne Erklärung warten zu lassen. Frisch geschminkt habe er schließlich den Raum betreten und die Besprechung eröffnet – die Stunde zuvor habe er mit einem Fernsehteam zwei Räume weiter verbracht. Angesprochen darauf bestreitet Lauterbach die Szene.

"Er war eher Wissenschaftsmanager"

Der Minister wird von alten Weggefährten durchaus auch verteidigt. Lauterbach sei es eben vor allem auch darum gegangen, finanzielle Mittel für sein anfangs spärlich ausgestattetes Institut einzusammeln. "Er war eher Wissenschaftsmanager, kein Wissenschaftler im klassischen Sinne", sagt einer. Dann hört die Verteidigung aber schon auf: Schließlich konnte niemandem entgehen, wie selbstbewusst Lauterbach sich in den vergangenen beiden Corona-Jahren medial als der Politiker in Szene setzte, der über tiefe Kenntnisse der Epidemiologie und gelegentlich auch der Virologie verfüge – so tiefe gar, dass er den Experten des Gebiets gerne auch mal Noten verteilte.

"Mit epidemiologischen Methoden", ist nun zu hören, "hat sich Lauterbach kaum beschäftigt." Er sei eher derjenige gewesen, "der für die Thesen zuständig war". Lauterbach bestreitet diese Darstellung.

Lauterbachs Verdienst sei es gewesen, erklärt sein Ministeriumssprecher, mit seinem Institut "damals maßgeblich zu politischen Veränderungen beigetragen" zu haben. "Die Forschungen zu Fallpauschalen, Disease-Management-Programmen, Mindestmengen und zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln waren entscheidende Basis für Gesetzgebung." Zudem, auch dies dürfe nicht vergessen werden, "wurde unter Leitung des heutigen Ministers das Institut und ein Studiengang aufgebaut, der bis heute Bestand hat".

Der Eindruck, das Institut nur als Sprungbrett zur Macht gesehen zu haben, so Lauterbachs Sprecher, sei jedenfalls "falsch". 2005 endete die Zeit des Institutsdirektors Lauterbach, es begann die zigfach analysierte und beschrieben Ära des Fliege tragenden Bundestagsabgeordneten und "SPD-Gesundheitsexperten". Lauterbach musste noch vier Legislaturperioden warten, bis er sein Ziel erreichte, das Ministeramt.

Er sei ein Mann der Wissenschaft, das sagt er heute immer wieder. Jederzeit könne er an das Institut in Köln zurückkehren. Dort wünschen sie Lauterbach eine erfolgreiche Zeit als Minister.