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Kann Sahra Wagenknecht die AfD im Osten schrumpfen?

Am Wochenende trifft sich das Bündnis Sahra Wagenknecht zum ersten Parteitag – und Oskar Lafontaine taucht plötzlich auch wieder auf.

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Sahra Wagenknecht ist Parteivorsitzende bei der nach ihr benannten neuen Partei. Am Samstag startet der erste Parteitag.
Sahra Wagenknecht ist Parteivorsitzende bei der nach ihr benannten neuen Partei. Am Samstag startet der erste Parteitag. ©  dpa/Kay Nietfeld

Von Verena Schmitt-Roschmann, Simone Rothe, Jörg Schurig und Oliver von Riegen

Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Nach der Gründung Anfang Januar folgt am Samstag der erste Bundesparteitag der neuen Partei. Schon kurz darauf sollen die ersten Landesverbände startklar sein. Vor allem in Ostdeutschland drängt die Zeit. Bei den wichtigen Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst will das BSW entscheidend mitmischen. Dabei halten der früheren Linken-Politikerin auch einige die Daumen, die mit ihrer Mischung aus linker Sozialpolitik, Migrationsbegrenzung und Breitseiten gegen den linksliberalen Zeitgeist eigentlich nicht viel anfangen können.

Die Hoffnung: Das BSW soll die teils rechtsextreme AfD in dort klein halten, indem es Protestwähler aufsammelt. Ob das aufgeht? „Alle Umfragen zeigen, dass wir ein großes Potenzial haben“, sagt Wagenknecht. „Wie viele davon uns am Ende tatsächlich wählen, kann man derzeit nicht sicher sagen.“ Die Umfragen sind bislang sprunghaft. Bundesweit wurden für das BSW schon Werte um die zwölf Prozent gemessen. Jüngst waren es mal drei, mal sieben Prozent.

Linke und konservative Wähler

Der Potsdamer Politikforscher Jan Philipp Thomeczek bestätigt das Potenzial. „Wenn die Partei irgendwo möglichst schnell einziehen wird in Parlamente, dann in Ostdeutschland in den drei Ländern, in denen in diesem Jahr gewählt wird“, sagt Thomeczek. Der Wissenschaftler hat den sogenannten BSW-O-Mat erstellt. Damit kann man online prüfen, ob man mit dem BSW-Programm übereinstimmt. Punkten kann die Partei demnach bei linken wie konservativen Wählern: „Das BSW ist für Leute interessant, die zurzeit sagen, bei der AfD gefällt mir die Migrationskritik, aber vielleicht bin ich auf der wirtschafts- und sozialpolitischen Ebene nicht damit einverstanden, was die AfD sagt und wünsche mir eher ein linkeres Programm“, sagt der Potsdamer Forscher.

In Ostdeutschland hohe Erwartungen

In Ostdeutschland zieht diese Mischung, obwohl Wagenknecht in der Parteiführung die einzige mit ostdeutscher Herkunft ist. Von einem ostdeutschen Ehepaar kam kürzlich eine Spende von einer Million Euro, wie das BSW bestätigte. Wagenknecht selbst verweist auf die besonderen sozialen Probleme dort. „Es gibt noch mehr Menschen, die zum Mindestlohn arbeiten müssen, viele Ältere mit geringen Renten“, sagt die gebürtige Thüringerin.

Dann spricht die 54-Jährige, die inzwischen mit ihrem Mann Oskar Lafontaine im Saarland lebt, vom Gefühl der Menschen auf dem Land, vergessen zu sein, von der Angst vor dem sozialen Abstieg und dem Verlust von Industrien. „Sie haben das schon mal erlebt. Und die Ostdeutschen sind auch besonders sensibel, wenn sie eine übergriffige Politik erleben, die sie belehren und erziehen will.“

Viele Menschen wählten die AfD nicht wegen ihrer Ideologie, sondern aus Wut und Enttäuschung über die Politik aus Berlin, so Wagenknecht. Eine Koalition mit der AfD hat sie ausgeschlossen. Mitregieren will das BSW aber schon. „Jetzt wird es darauf ankommen, dass wir vor Ort überzeugende Angebote machen“, sagt Wagenknecht.

Prominente Überläuferin in Thüringen

Wichtige Köpfe der neuen Partei sind frühere Linken-Mitglieder, so auch in Thüringen, wo das BSW ausgerechnet dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow Konkurrenz macht. Dort hat Wagenknecht die Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf gewonnen, die wohl für den Landtag kandidieren wird. Als Hauptmotivation für den Wechsel nennt die 47-Jährige, sie wolle helfen, einen Erfolg der AfD mit Rechtsaußen Björn Höcke zu verhindern.

Der Landesverband soll bis März gegründet, die Kandidatenliste im April aufgestellt werden. Zu den ersten 20 Thüringer BSW-Mitgliedern gehören auch der Eisenacher Medienunternehmer Steffen Schütz, Matthias Herzog vom Erfurter Profi-Basketballclub sowie die frühere Linke-Bundestagsabgeordnete Sigrid Hupach.

Politisches Potenzial gibt es auch hier. In einer Insa-Umfrage im Auftrag der Funke-Medien kam das Bündnis Sahra Wagenknecht auf 17 Prozent. Die CDU erreichte 20 Prozent, die regierende Linke nur 15 Prozent. Nummer eins ist mit 31 Prozent die AfD, ungeachtet der Einstufung des Verbands als „gesichert rechtsextrem“.

BSW will in Sachsen stark werden

Vorn liegt die AfD auch in Sachsen – zuletzt in einer Forsa-Umfrage bei 34 Prozent vor der CDU mit 30 Prozent, der SPD mit sieben und den Grünen mit acht Prozent.

Einer neuen Umfrage im Auftrag des MDR zufolge käme Wagenknechts Partei auf acht Prozent in Sachsen - und wäre damit drittstärkste Kraft. Und die Partei spürt Rückenwind, wie Sabine Zimmermann sagt, früher Linken-Bundestagsabgeordnete und nun zuständig für den Aufbau des BSW in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. „Es gibt eine Aufbruchstimmung“, so Zimmermann. „Viele Menschen legen eine Hoffnung in uns, dass wir etwas verändern können. Wir können aber nur etwas verändern, wenn wir stark werden.“

Keine Linke 2.0

Das BSW sei keine „Linke 2.0“, doch seien viele frühere Linke mit Erfahrung in Kommunalparlamenten dabei. Man sei „linkskonservativ“ und betrachte die Linken nicht als politischen Gegner, sagt Zimmermann. Allerdings spüre man bei den Linken im Zusammenhang mit dem BSW eine gewisse Hilflosigkeit. „Wenn alte Genossinnen und Genossen, die jetzt die Linke verlassen wollen, angefeindet werden, ist das bedenklich“, so Zimmermann.

„Meine persönliche Hoffnung und auch unsere historische Verantwortung sehe ich darin, den Höhenflug der AfD zu brechen.“ Mit dem Aufbau der Partei in Sachsen ist sie zufrieden. „Wir sind aber total unter Zeitdruck.“ Für einen Start bei der Kommunalwahl im Juni müsse der Landesverband bis Mitte März stehen.

14 Mitglieder in Brandenburg

In Brandenburg sind ebenfalls Kommunalwahlen im Juni und Landtagswahlen im September. Der BSW-Landesbeauftragte Stefan Roth sagt. „Nach dem Bundesparteitag werden wir mit einem ersten Team von vorerst 14 Parteimitgliedern in Brandenburg starten, darunter erfahrene Kommunalpolitiker, Initiatoren von Protesten ebenso wie bisher Parteilose aus der Mitte der Gesellschaft – Lehrer, Polizisten, Unternehmer.“ Es geht um Hunderte Mandate. Roth sagt, die Partei werde stetig wachsen, erwartet Roth. „Viele Menschen wissen nicht mehr, was sie noch wählen sollen. Wir wollen deshalb auch in Brandenburg die klaffende politische Lücke im Parteiensystem schließen und den Wählern eine Alternative zu Ampel, CDU und AfD bieten.“

Und doch wieder Oskar

Für Überraschung bei Beobachtern sorgt die Ankündigung einer Rede von Oskar Lafontaine beim ersten Parteitag der BSW . Der Ehemann von Wagenknecht hat sich bislang mit Äußerungen zu deren Partei zurückgehalten.

Im November sagte er bei Sandra Maischberger in der ARD: „Wir reden natürlich, und ich berate sie. Aber in der ersten Reihe will ich nicht mehr stehen.“ Der ehemalige SPD- und Linkenchef verwies bei dem TV-Auftritt auf sein Alter: 80 Jahre.

Wagenknecht sagte in einer ARD-Dokumentation über ihren Mann: „Er ist nicht jemand, der jetzt durchs Land reist und Strukturen aufbaut.“ Er habe das gekonnt. Doch auch Wagenknecht wies auf das Alter des früheren saarländischen Ministerpräsidenten hin. (dpa mit SZ/ale)