Update Dresden
Merken

Razzia bei den Klimaklebern in Dresden - Wohnung von Christian Bläul durchsucht

Bundesweit durchsucht die Polizei Wohnungen von Mitgliedern der „Letzten Generation“. Einer ist der Dresdner Christian Bläul. Sie nehmen sein Handy, Laptops und Dokumente mit. Doch er bleibt gelassen.

Von Henry Berndt
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Am Mittwoch wurden in Dresden mehrere Objekte im Rahmen einer Razzia gegen die "Letzte Generation" durchsucht.
Am Mittwoch wurden in Dresden mehrere Objekte im Rahmen einer Razzia gegen die "Letzte Generation" durchsucht. ©  xcitepress

Schwungvoll wirft er sich den Rucksack über die Schulter und schlendert durch den Hausflur. Christian Bläul sieht entspannt aus, als er sich auf den Weg macht. Auf seinem mintgrünen Shirt steht: „Stoppt den fossilen Wahnsinn“. Dass ihn wenige Stunden zuvor Spezialeinheiten der Polizei mit Sturmhauben auf dem Kopf aus dem Schlaf geklingelt haben, ist Bläul nicht anzusehen. „Ich habe damit gerechnet und mich seit Monaten darauf vorbereitet“, sagt er und lächelt sogar kurz. Die Einsatzkräfte trafen ihn in der Wohnung seiner Freundin im Osten von Dresden an und nahmen ihn mit zu seinem Hauptwohnsitz in der Dresdner Neustadt. Mit dabei: Mitglieder der Terrorabwehrgruppe der bayrischen Landespolizei.

Mit einer groß angelegten Razzia gehen Polizei und Staatsanwaltschaft an diesem Mittwoch in ganz Deutschland gegen die Klimaschützer der „Letzten Generation“ vor. Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte. Der Hauptvorwurf: Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Die Beschuldigten hätten über eine Spendenkampagne mindestens 1,4 Millionen Euro gesammelt, um sie „für die Begehung weiterer Straftaten“ einzusetzen, heißt es. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Unklar bleibt zunächst auch, wie viel davon beschlagnahmt wurde. Ziel der Durchsuchungen sei auch „das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur“ gewesen. Bundesweit sind 170 Beamte in sieben Bundesländern im Einsatz.

Mittendrin im Zentrum des Interesses: der Dresdner Christian Bläul, einer der bekanntesten Klimakämpfer des Landes. Er ist es gewohnt, dass seine Art des Klimaschutzes nicht auf Begeisterung stößt. Im vergangenen Sommer saß er für eine Klebeaktion in Stockholm 16 Tage in einem schwedischen Gefängnis. Abgeschreckt hat ihn auch das nicht.

Umstrittene Klebeaktionen

In Sachsen klebten sich Bläul und seine Mitstreiter zuletzt immer wieder auf Straßen fest und brachten damit zum Teil den Verkehr zum Erliegen. Auf diese Weise wollen sie auf die gravierenden Folgen der Erderwärmung aufmerksam machen. Die Aktionen und ihr Sinn sind hochumstritten. Immer wieder kommt es zu Konfrontationen mit Autofahrern, die versuchen, die Klimakleber von der Straße zu zerren.

„Seit Monaten darauf vorbereitet“: Christian Bläul reagierte gelassen auf die Razzia am Mittwochmorgen. Erreichbar ist er vorerst nur noch über E-Mail.
„Seit Monaten darauf vorbereitet“: Christian Bläul reagierte gelassen auf die Razzia am Mittwochmorgen. Erreichbar ist er vorerst nur noch über E-Mail. © SZ/Henry Berndt

Besonders viel der erhofften Aufmerksamkeit erreichte im August vergangenen Jahres eine Aktion in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden, bei der sich zwei Mitglieder der „Letzten Generation“ an den Rahmen der Sixtinischen Madonna klebten. Dabei entstand ein Schaden von bis zu 12.000 Euro.

Nun also die Razzia. Mehrere Polizeiwagen sorgen am Mittwochmorgen ab 7 Uhr für Aufregung in der Dresdner Neustadt. Ein Wagen parkt vor dem Stadtteilhaus, das aber nicht von den Durchsuchungen betroffen ist. Trotz des militärisch anmutenden Aufmarschs bleibt die Lage ruhig. Die Polizisten klingeln zunächst an einer Wohnungstür im Dresdner Osten, Christian Bläul lässt sie herein. „Sie wollten mich unbedingt zuerst antreffen, damit niemand gewarnt werden kann. Wir haben uns dann freundlich unterhalten. Fotos durfte ich allerdings keine machen.“

Beschlagnahmt worden seien später in der Neustadt sein Handy, zwei Laptops und eine Kiste voller Dokumente. Unter anderem seien sämtliche Briefe mitgenommen worden, die er während seiner Zeit im schwedischen Gefängnis erhalten habe, sowie eine Akte mit Bildern der Klebeaktion in Stockholm. Bläul sagt, er glaube nicht, dass die Beamten ernsthaft belastendes Material gesammelt haben könnten. Für ihn sei die Aktion nervig, aber nicht viel mehr. „Mein Engagement für das Klima ist auf keinem Computer gespeichert. Das kann mir niemand nehmen. Egal, wie viele Hausdurchsuchungen noch kommen.“

Am Mittag beruft die Zentrale der Klimaorganisation kurzfristig eine Pressekonferenz in Berlin ein. Sprecherin Aimeé van Baalen, ebenfalls Dresdnerin, teilt mit, die insgesamt 15 Hausdurchsuchungen hätten die Mitglieder der Organisation „hart getroffen“. Betroffen gewesen sei neben Bläul unter anderem Imke Bludszuweit, Mathematikstudentin aus Magdeburg. Bludszuweit hatte unter anderem einen Brief an den Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert und die Vorsitzenden aller Stadtratsfraktionen mitunterzeichnet. Darin wurden diese dazu aufgefordert, für einen Gesellschaftsrat zum Thema Klima einzutreten, den die „Letzte Generation“ fordert.

Bei einem anderen Mitglied in Berlin hätten die Beamten die Wohnungstür aufgebrochen und seien mit gezogener Waffe ins Zimmer gestürmt. „Das alles macht uns Angst“, sagt Aimee van Baalen. Die Demonstranten seien Menschen, „die sich friedlich auf die Straße kleben“. Alles, was sie tun, sei transparent. „Den Vorwurf, eine kriminelle Vereinigung zu sein, halten wir für komplett absurd.“ Auch Christian Bläul glaubt nicht, dass der Vorwurf vor Gericht standhalten wird. „Der wird jetzt für einige Monate oder Jahre im Umlauf sein und sich dann in Luft auflösen.“

Polizisten durchsuchten bundesweit Wohnungen von Mitgliedern der "Letzten Generation".
Polizisten durchsuchten bundesweit Wohnungen von Mitgliedern der "Letzten Generation". © xcitepress
Auch auf der Prießnitzstraße in der Dresdner Neustadt finden Durchsuchungen statt.
Auch auf der Prießnitzstraße in der Dresdner Neustadt finden Durchsuchungen statt. © xcitepress/Finn Becker
Mehrere uniformierte und zivile Polizeiautos parken auf der Prießnitzstraße in Dresden. Polizisten sind auf der Suche nach Beweismitteln - auch beim Dresdner Christian Bläul.
Mehrere uniformierte und zivile Polizeiautos parken auf der Prießnitzstraße in Dresden. Polizisten sind auf der Suche nach Beweismitteln - auch beim Dresdner Christian Bläul. © xcitepress

Die Generalstaatsanwaltschaft München und das bayrische Landeskriminalamt sind da anderer Meinung. Sie haben sogar die Homepage der „Letzen Generation“ vom Netz genommen. Bei Aufruf der Internetadresse erscheint zwischenzeitlich ein Hinweis in großen roten und schwarzen Buchstaben: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar. Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!“

Dass seine Organisation nun bereits so bezeichnet werde, obwohl es noch nicht mal einen Prozess gebe, ist für Christian Bläul „juristisch in keiner Weise haltbar“. Später am Tag ist die Internetseite gar nicht mehr erreichbar. Aimeé van Baalen sorgt sich derweil, dass nun Kleinspender mit rechtlichen Konsequenzen rechnen müssten. „Wir glauben an den Rechtsstaat“, sagt sie. „Wir haben keine Angst vor einem Prozess, wir haben Angst vor der Klimakrise“. Sie kündigte Protestmärsche, unter anderem in Berlin, München und Leipzig, an. „Müssen wir in Deutschland erst eine Dürre erleben, an Nahrungsmittelknappheit leiden (...), bevor wir verstehen, dass die Letzte Generation für unser aller Leben einsteht und dass das nicht kriminell ist?“

Noch am Mittwochnachmittag versammelten sich rund 100 Menschen vor dem Oberlandesgericht auf dem Dresdner Schlossplatz und bekundeten ihre Solidarität mit der "Letzten Generation".
Noch am Mittwochnachmittag versammelten sich rund 100 Menschen vor dem Oberlandesgericht auf dem Dresdner Schlossplatz und bekundeten ihre Solidarität mit der "Letzten Generation". © Sven Ellger

Am Mittwochnachmittag versammeln sich dann vor dem Oberlandesgericht auf dem Dresdner Schlossplatz etwa 100 Sympathisanten und stellen sich symbolisch an die Seite der Aktivisten. Man wehre sich gegen die „Kriminalisierung zivilen Ungehorsams“. Auch anderswo gibt es Kundgebungen. Andere Klimaschutzorganisationen solidarisieren sich mit der „Letzten Generation“.

Greenpeace spricht von einem „vollkommen unverhältnismäßigen“ Vorgehen. Applaus für die Razzia gibt es dagegen von der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates“, sagt Chef Rainer Wendt. „Die Bevölkerung, die unter dem Straßenterror dieser selbst ernannten Klimaretter täglich tausendfach leidet, wird endlich als das tatsächliche Opfer dieser Kriminellen wahrgenommen.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärt, die Maßnahmen zeigten, „dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“.

Christian Bläul ist das wurscht. Er will weitermachen, solange es nötig sei. Seine größte Sorge am Mittwoch: Wie kommt er aus der Neustadt wieder zu seinem Fahrrad im Dresdner Osten? „Mein Deutschlandticket habe ich digital auf dem Handy.“ Doch das wurde gerade beschlagnahmt. (mit dpa, SZ/csp)