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Dresden: Klimakleber nach Blockade des Blauen Wunders verurteilt

Sechs Demonstranten der "Letzten Generation" haben im März 2023 das Blaue Wunder für eine halbe Stunde dichtgemacht. Ein Mann stand nun vor dem Amtsgericht Dresden.

Von Alexander Schneider
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Polizisten tragen Kilian Pauligk auf die Seite, der im März 2023 mit fünf weiteren Klimaaktivisten der "Letzten Generation" das Blaue Wunder in Dresden blockiert hatte. Jetzt stand der 28-jährige Maschinenbauer aus Jena wegen Nötigung vor dem Amtsgericht
Polizisten tragen Kilian Pauligk auf die Seite, der im März 2023 mit fünf weiteren Klimaaktivisten der "Letzten Generation" das Blaue Wunder in Dresden blockiert hatte. Jetzt stand der 28-jährige Maschinenbauer aus Jena wegen Nötigung vor dem Amtsgericht © Archivfoto: xcitepress/Finn Becker

Dresden. Kilian Pauligk ist davon überzeugt, dass der Menschheit nicht mehr viel Zeit bleibt, um eine massive Erderwärmung zu verhindern. Wegen des Klimawandels hat der studierte Maschinenbauer aus Jena seinen Job nach zwei Jahren an den Nagel gehängt. Der 28-Jährige will "etwas Nachhaltiges" machen, sagt er. Er ist jetzt Trainee bei den Jenaer Stadtwerken. Im März 2023 war er einer von sechs Klimaaktivisten der "Letzten Generation", die irgendwann nach 7.30 Uhr das Blaue Wunder blockiert haben, mitten im Berufsverkehr.

Die Protestaktion war nicht angemeldet, aber die "Letzte Generation" hatte Stunden zuvor Radiosender informiert, sodass der Protest auch im Verkehrsfunk Beachtung fand. Auch die Polizei war schon im Bilde, als sich die drei Frauen und drei Männer im Alter von 19 bis 28 Jahren Warnwesten überzogen, den Sekundenkleber zückten und sich auf der Blasewitzer Seite auf die Straße klebten.

"Letzte Generation" informierte Leute übers Radio

Zwischen Schiller- und Körnerplatz querte kein Auto mehr die Elbe. Sofort schritten Passanten zur Tat, um die Fahrbahn freizumachen. Während dieselben Autofahrer in und um Dresden in diesen Tagen gegenüber blockierenden Landwirten in ihren Monster-Schleppern einen ungewöhnlichen Langmut zeigen, ist ihre Zündschnur bei Aktionen von Klimaschützern gefährlich kurz. Nicht erst seit der Kürzung des Agrardiesels. Wie die ersten Passanten zugriffen, um das Blaue Wunder freizuräumen, ist noch heute auf Videos der Plattform "X" zu beobachten.

Schließlich begann auf der Brücke die geübte und ganz und gar nicht aggressive Kommunikation zwischen Polizei und Demonstranten. Bald zückten die Uniformierten ihre Spritzen mit dem Salatöl, um die Männer und Frauen vom Asphalt zu trennen. Pauligk selbst hatte sich "nur" Hand in Hand an eine Mitstreiterin geklebt. So wollten die beiden im Ernstfall schnell die Durchfahrt für Rettungsfahrzeuge ermöglichen.

Am Montag, knapp zehn Monate nach der Aktion, findet sich Pauligk vor dem Amtsgericht Dresden als Angeklagter wieder. Einen Strafbefehl wegen Nötigung nebst Geldstrafe von 900 Euro hatte er nicht akzeptiert. Der 28-Jährige ist nicht alleine dort, zunächst muss Richter Ralf Schamber den acht Sympathisanten erklären, dass Transparente mit "Verurteilen Sie die wahren Kriminellen" im Gerichtssaal nichts verloren hätten. Auch Warnwesten, auf einer steht "Aus Liebe zum Überleben", brauche es nicht, "die Sichtverhältnisse sind hier optimal", so der Richter.

Hungersnöte, Kampf ums Wasser

Als das geklärt ist, beginnt eine unerwartet sachliche Hauptverhandlung. Pauligk ist gut vorbereitet, sagt, es gebe schon heute wegen der Klimakatastrophe Hungersnöte und sogar in Frankreich Kämpfe ums Wasser. Der Klimaschutz sei zwar öffentlich ein Thema, aber die Ziele würden nicht erreicht, wenn es so weitergehe. Die Regierung trage die Verantwortung dafür. Daher auch die Blockade am Blauen Wunder, seine erste.

Man habe Aufmerksamkeit erregen wollen, so der Angeklagte. Es brauche zivilen Ungehorsam, um zu polarisieren, um wachzurütteln. "Das ist ein Regelbruch, aber kein Gesetzesbruch", sagt Pauligk, "wir haben keine Zeit mehr". Ausführlich steht er vor Gericht Rede und Antwort, beschreibt die Planung und Durchführung der Blockade.

Drei Polizisten bestätigen Pauligks Angaben, berichten von einem "kooperativen, aber energischen" Verhalten der sechs Kleber, sagen, es habe ungehaltene Autofahrer gegeben und auch einige, die ihre Solidarität gezeigt hätten. "Wir haben mit Passanten und Autofahrern bei solchen Einsätzen regelmäßig mehr zu tun, als mit den Demonstranten".

Notstand als Rechtfertigung?

Am Ende der Beweisaufnahme bleibt die Staatsanwaltschaft im Plädoyer bei der Geldstrafe des Strafbefehls, 30 Tagessätze in Höhe von je 30 Euro. Pauligks Rechtsbeistand, Mitstreiterin Zoe Ruge von der "Letzten Generation" aus Leipzig, fordert Freispruch. Sie unterstreicht die Rolle von zivilem Ungehorsam in einer Demokratie, vom Klimawandel gehe eine weit größere Gefahr für den Rechtsstaat aus, als von den Klimaaktivisten. Sie sagt, Berliner Gerichte hätten Aktivisten freigesprochen, weil sie bei dem Nötigungsvorwurf einen "rechtfertigenden Notstand" erkannt hätten.

Das sieht der Dresdner Richter anders. Nötigung sei Gewalt, wenn auch im untersten Bereich. Die Autofahrer seien 20 bis 30 Minuten behindert, also in der Ausübung ihrer Grundrechte behindert worden. Die Blockade sei beabsichtigt gewesen, kein Notstand, sagt Ralf Schamber. Die Behinderungen habe man gewollt, billigend in Kauf genommen. Eine politische Absicht rechtfertige nicht, Dritte zu nötigen. Einem Richter obliege es nicht, gesellschaftliches Verhalten zu bewerten, andernfalls sei "Willkür Tür und Tor geöffnet".

Schamber verurteilt den 28-Jährigen zu einer Geldstrafe von nur 600 Euro (20 Tagessätze), die er zur Bewährung aussetzt. Pauligk sei nicht vorbestraft, Ersttäter und sein Motiv sei "ausschließlich altruistischer Natur". Ob er Mann das Urteil akzeptiert, ganz unglücklich wirkt er nicht, will er zunächst in Ruhe mit Zoe Ruge beraten.