SZ + Update Radeberg
Merken

Unfälle auf der A4: Die tödliche Gefahr am Stauende

Am Montag starb eine 26-Jährige auf der A4 bei Ottendorf. Am Mittwoch erlag auch der Fahrer seinen Verletzungen. Der Unfall wäre womöglich vermeidbar gewesen.

Von Thomas Drendel
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Der schwarze Volvo war kaum noch zu erkennen: Am späten Montagabend fuhr ein Lkw auf der A4 bei Ottendorf-Okrilla auf ein Stauende auf und schob den Wagen unter den davor stehenden Lkw. Eine junge Frau starb bei dem Unfall.
Der schwarze Volvo war kaum noch zu erkennen: Am späten Montagabend fuhr ein Lkw auf der A4 bei Ottendorf-Okrilla auf ein Stauende auf und schob den Wagen unter den davor stehenden Lkw. Eine junge Frau starb bei dem Unfall. © Archivfoto: xcitepress

Ottendorf-Okrilla.  Ein bis zur Unkenntlichkeit zerquetschtes Auto, Fahrzeugteile auf der Fahrbahn, zersplitterte Scheiben, auslaufendes Benzin. Auf der Autobahn zwischen den Anschlussstellen Ottendorf und Hermsdorf bot sich Montagnacht ein verheerendes Bild. Ein Lkw war nahezu ungebremst auf ein Stauende aufgefahren, hatte einen Volvo erfasst und diesen unter einen davor stehenden Sattelzug geschoben. Eine junge Frau starb. Der 32-Jahre alte Fahrer wurde  zunächst schwer verletzt in die Klinik geflogen.  Er verstarb nach  Angaben der Polizei am Mittwoch an den Folgen des Unfalls.

In den sozialen Netzwerken löste der Vorfall große Bestürzung aus. „Mein Gott, schreckliche Bilder. Ich wünsche allen Angehörigen viel Kraft“, schreibt eine Nutzerin auf Facebook. Ein anderer: "Langsam verstehe ich immer mehr Leute, wenn sie sagen, sie wollen keine Autobahn mehr fahren. Bei jedem Stau bekommt man ein ganz komisches Gefühl. Mein Beileid." Die SZ hat beim Straßenbauamt, bei der Polizei und bei Technikexperten nachgefragt: Wäre der Unfall vermeidbar gewesen?

War die Baustelle ausreichend ausgeschildert und wurde auf einen möglichen Stau hingewiesen?

Hier gibt es nach Angaben des Lasuv keine Versäumnisse. "Die Baustelle war regelkonform abgesichert", sagt Grossmann. So waren dreifache Licht-Vorwarnanzeiger und Blinkpfeile aktiv. Außerdem war die Höchstgeschwindigkeit auf Tempo 60 herabgesetzt, teilt er mit. "Das erste Warnzeichen wies 1,2 Kilometer vor der Baustelle auf eine Staugefahr hin. Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand befand sich der Unfallort rund 700 Meter vor der Baustelle. Der Lkw hatte damit bereits zwei Vorwarnanzeiger mit Blinklicht passiert", so Franz Grossmann. Die Baustelle sei bewusst in die Nachtstunden und in die verkehrsarme Zeit gelegt worden, die Staulängen sind dann deutlich kürzer, so das Landesamt.

Auffahrunfälle passieren auf diesem Abschnitt der A 4 häufiger. Stimmt das?

Laut Polizeidirektion Görlitz ereigneten sich 2019 auf der A 4 zwischen Hermsdorf und Ludwigsdorf 135 Auffahrunfälle. Erfasst wurden Zusammenstöße auf vorausfahrende und auch auf stehende Fahrzeuge, beispielsweise am Stauende. "Davon geschahen 15 im Bereich von Baustellen oder anderweitigen Arbeitsstellen. Es gab 20 Zusammenstöße mit Beteiligung von mindestens einem Lkw über 3,5 Tonnen oder einem Bus, einen davon im Bereich von Bau- und Arbeitsstellen", teilt Mitarbeiterin Anja Leuschner mit. 

Insgesamt wurden zehn Personen schwer und 28 leicht verletzt. In diesem Jahr liegt die Zahl der Auffahrunfälle bei 76. Der Zusammenstoß bei Ottendorf ist dabei noch nicht eingerechnet. Fünf Personen wurden schwer und 35 leicht verletzt. Im Bereich von Baustellen gab es neun Verkehrsunfälle, mit mindestens einem Lkw über 3,5 Tonnen oder einem Bus waren es 16 Verkehrsunfälle, davon vier im Bereich von Baustellen. Eine signifikante Zu- oder Abnahme lässt sich also nicht feststellen.

Liegt die Schuld für den Unfall beim Lkw-Fahrer, hatte er eventuell die Lenkzeit überschritten?

Dazu kann die Polizei noch keine Angaben machen. "Es stehen noch einige Auswertungsergebnisse aus", sagt Anja Leuschner. Auch teilte die Polizei nicht mit, ob eventuell ein technischer Defekt vorlag.

Abstandsregler und Bremsassistent: Warum hat bei dem Zusammenstoß kein technisches System eingegriffen?

Laut Thomas Kubin, Technikexperte beim ADAC Sachsen, könnte der Verursacher durchaus mit einem solchen System ausgestattet gewesen sein. "Für jeden ab 2015 in der EU neu zugelassenen Lkw über acht Tonnen ist ein automatisches Bremssystem vorgeschrieben. Bei 3,5 Tonnen Gewicht gilt die Regelung ab 2018", sagt er. Allerdings ist es durchaus möglich, dass das System ausgeschaltet war. "Das ist nämlich nicht verboten. Wir als ADAC fordern seit langem, dass der Gesetzgeber eine eingeschaltete Anlage zwingend vorschreibt", sagt Thomas Kubin. "Es gibt keine Notwendigkeit die abzuschalten. Die Systeme funktionieren in der Regel ohne Probleme, das haben unsere Tests ergeben", sagt er. Seiner Erfahrung nach werden die Systeme oft blockiert, um im Windschatten des Vorausfahrenden zu rollen, mit den bekannten verheerenden Folgen.

Der ADAC weist auf einen weiteren Missstand hin. "Derzeit ist vorgeschrieben, dass die Systeme einen Lkw lediglich um 20 Kilometer pro Stunde abbremsen muss." Wenn der Sattelzug also mit Tempo 80 auf das Stauende zufährt, muss es auf Tempo 60 abbremsen. "Dabei ist es technisch möglich, den Lkw automatisch bis zum Stillstand zu bringen. Auch das haben unsere Tests ergeben. Wir fordern, dass das technisch Machbare angewendet und gesetzlich vorgeschrieben wird. Das hätte womöglich den Zusammenstoß bei Ottendorf verhindert, zumindest aber abgemindert." 

Florian Heutzeroth, Sprecher beim ADAC Sachsen, weist auf die zunehmende Digitalisierung im Straßenverkehr hin. "Künftig wird es möglich sein, dass Autos, die beispielsweise am Stauende stehen, automatisch Signale absetzen, die von den heranfahrenden Autos empfangen werden und sie entsprechend abbremsen können. Damit  können dann sicher derartige Unfälle  verhindert werden."

Was kann jeder Einzelne tun, um solche Unfälle zu vermeiden?

Das, was die meisten Autofahrer ohnehin schon tun: sich an das vorgeschriebene Tempo halten, auf den Sicherheitsabstand achten und vorausschauend fahren, sagt Anja Leuschner. "Das gilt ganz besonders bei Staus. Hier ist das Einschalten der Warnblinkanlage ein weiteres wichtiges Mittel, um auf einen Stau aufmerksam zu machen. Außerdem ist es ratsam, den rückwärtigen, sich nähernden Verkehr im Blick zu behalten, um gegebenenfalls reagieren zu können."

Mehr Nachrichten aus Radeberg und dem Rödertal lesen Sie hier.

Mehr Nachrichten aus Dresden lesen Sie hier.