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Angriff aus „Spaziergänger“-Reihen auf Medienvertreter in Coswig

Die Polizei eilte vom Einsatzschwerpunkt Radebeul in die Nachbarstadt und konnte einen der Angreifer festnehmen. Dieser erstattete ebenfalls Anzeige.

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Rangeleien zwischen einzelnen Personen aus den "Spaziergänger"-Gruppen und Sicherheitsleuten eines Kamerateams.
Rangeleien zwischen einzelnen Personen aus den "Spaziergänger"-Gruppen und Sicherheitsleuten eines Kamerateams. © Screenshot Twittter

Coswig/Radebeul/Großenhain. Das gab es im Kreis Meißen noch nicht. Massive Angriffe aus den Reihen der Corona-Politik-Protestler gegen Medienvertreter. Was ist passiert?

Durch die sozialen Medien kreist ein Kurzvideo, auf welchem zu sehen ist, wie Männer aus dem Zug der "Spaziergänger" heraus auf ein Filmteam zugehen und diesen zurufen: „Verpisst euch!“ „Die Kamera aus.“ „Ihr Wichser“. Einer der Männer mit einem Rucksack schlägt nach den Filmenden. Eine Glasflasche wird geworfen. Begleiter des Filmtrupps wehren den Angriff mit Pfefferspray ab.

Die Aufnahmen wurden von einer Organisation namens vue.critique gemacht. Auf deren Twitter-Plattform steht unter dem Namen „Foto & Video-Dokumentation, Schwerpunkt: extreme Rechte & soziale Bewegungen“. Auch aus Dresden und Radebeul gibt es Videos von vue.critique. Zu den Coswiger Sequenzen schreiben die Filmleute aktuell am Abend: „In Coswig (ca. 400 Teilnehmer) ist Berichterstattung aktuell unmöglich. Nach wenigen Hundert Metern fliegen Glasflaschen auf uns. Bereits zuvor gab es mehrfach körperliche Angriffe gegen unseren Begleitschutz. Wir müssen abbrechen. Polizei war weit und breit nicht zu sehen.“

Mit Pfefferspray abgewehrt

Wenig später heißt es auf Twitter: „Das Pfefferspray wurde nach massiven körperlichen Angriffen von unserem Begleitschutz eingesetzt. Es war die einzige Möglichkeit mehr oder weniger unbeschadet aus der Situation zu flüchten.“

Am Dienstagmittag ist das Video bereits über 100.000 Mal angeschaut worden. Weitere Medienvertreter, die vor Ort waren, bestätigen, dass mindestens eine Flasche auf das Kamerateam geworfen wurde. Offenbar ist die Polizei nach den Twittermitteilungen aus Coswig aufmerksam geworden und hat Streifenwagen dorthin geschickt. Jedenfalls wird von Polizeisprecher Marko Laske aus dem Landkreis Meißen gemeldet: Protestaktionen von Kritikern der Corona-Maßnahmen fanden unter anderem in Coswig, Großenhain, Meißen, Moritzburg, Nünchritz, Radeburg, Radebeul, Riesa, Weinböhla und Zabeltitz statt. Die Polizei leitete Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Sächsische Versammlungsgesetz ein.

„Bei der Protestaktion von Kritikern der Corona-Maßnahmen in Coswig sind Medienschaffende offenbar von Teilnehmern attackiert worden. Später machten Polizeibeamte einen Tatverdächtigen ausfindig und machten ihn dingfest. Gegen den 40-jährigen Deutschen wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt.“

Der Polizeisprecher sagte am Dienstag, dass seitens der Polizei Schwerpunkte, wegen der Personalbesetzung, zu den Einsätzen bei den sogenannten Spaziergängen gesetzt würden. Diese seien an diesem Montag Pirna, Dresden und Radebeul gewesen. Twitterkanäle würden aktuell von der Polizei verfolgt. Deshalb sei es auch möglich gewesen, Kräfte aus Radebeul schnell nach Coswig zu schicken.

Gegen den festgenommenen 40-Jährigen laufe ein Ermittlungsverfahren. Der Flaschenwurf sei dokumentiert. Allerdings habe der Mann ebenfalls Anzeige erstattet - gegen die Sicherheitskräfte des Kamerateams, wegen des Angriffes mit Reizgas. „Wir werden das aufklären“, so Marko Laske.

In Radebeul war die Zahl der Spaziergänger wieder am höchsten im Kreis. Rund um den Kultur-Bahnhof versammelten sich erneut Kritiker der Corona-Politik. Jeden Montag brechen sie von da aus um 19 Uhr zu einem sogenannten „Spaziergang“ auf. Über Soziale Netzwerke sprechen sie sich zu dieser Protestaktion ab. Angemeldet ist die Versammlung nicht. Durch einen Lautsprecher sprach die Polizei die Demonstranten daher an. Wenn sich einer finde, der die Versammlung anmelde, werde sie auch entsprechend als solche behandelt.

Großes Polizeiaufgebot in Radebeul

Laut der Corona-Schutzverordnung können sich bis zu 1.000 Teilnehmer unter freiem Himmel versammeln. Wird diese Anzahl eingehalten und erfolgt eine Anmeldung der Kundgebung, sichert die Polizei die Versammlung ab, sperrt unter anderem kurzfristig Straßen, damit die Protestler beispielsweise Kreuzungsbereiche sicher passieren können.

Jedoch kamen in Radebeul erneut über 1.000 Gegner der Corona-Politik zusammen. Der Aufforderung zur Anmeldung wurde nicht gefolgt. Der Tross setzte sich in Bewegung. Mit Videokameras filmten Beamte den illegalen Protestmarsch. Dieser verlief über Hauptstraße und Meißner Straße in Richtung Westen. An der Schildenstraße bogen die Teilnehmer nicht wie in der Vergangenheit ab, sondern liefen die Hauptverkehrsader weiter, an der Lutherkirche vorbei. Es schien, als ob sie nicht wie in den vergangenen Wochen, vor das Rathaus ziehen wollten.

Doch der Schein trog. Über Wasastraße und Pestalozzistraße liefen „Spaziergänger“ zum Rathaus. Dort wurden sie auf dem Parkplatz von Gegendemonstranten erwartet. Diese Versammlung war angemeldet. Die Polizei trennte beide Lager. Corona-Protestler und Gegendemonstranten riefen sich Parolen und Beleidigungen zu. Einige „Spaziergänger“ stellten brennende Kerzen vor der Rathaustür ab. Die Polizei forderte wiederholt die Teilnehmer der illegalen Protestaktion auf, sich zu vereinzeln. Als immer mehr Beamte aufzogen und mit Identitätsfeststellungen gedroht wurde, löste sich die Ansammlung gegen 20 Uhr auf.

Insgesamt sicherten Polizeibeamte am Montagabend sieben angezeigte Versammlungen im Landkreis Meißen ab. Aus dem Landratsamt, wo Demonstrationen angemeldet werden müssen, heißt es, dass der „Spaziergang“ von Coswig nicht angemeldet war. In der Stadt ist das Ordnungsamt dafür zuständig, bei einer genehmigten Demo, wenn nötig Auflagen zu erteilen. Etwa bei einem Autokorso, die Organisatoren darauf aufmerksam zu machen, dass keine Lautsprecher eingesetzt werden dürfen, um im öffentlichen Verkehr keine Ablenkung für andere Autofahrer herbeizuführen, so Ordnungsamtsleiter Olaf Lier.

Protest gegen die Corona-Politik in Meißen mit Qualm von einzelnen Böllern.
Protest gegen die Corona-Politik in Meißen mit Qualm von einzelnen Böllern. © SZ

1.000 in Meißen, 80 Gegendemonstranten

Auch in Meißen bekommen die Corona-Proteste immer mehr Zulauf: Am Montag zog sich ein langer Aufzug mit mehr als 1.000 Teilnehmern über die Altstadt-Brücke, vorbei am Landratsamt und über die Brauhausstraße wieder zurück. Vereinzelt flogen kleine Böller aus der Menge, ansonsten verhielt sich die Menge unauffällig: Auf der Fabrikstraße werden die „Spaziergänger“ von einer Polizei-Durchsage darum gebeten, sich wieder auf den Fußweg zu begeben, damit Autos wieder passieren konnten – die Demonstranten zeigten sich größtenteils einsichtig. Zeitweise wird die Demo lediglich von einem einzelnen Kastenwagen begleitet.

Aus den Lautsprecherboxen schallte ‚Ich ziehe durch die Straßen bis nach Mitternacht’. So lange sollte es am Montag nicht gehen. Allerdings berichtet eine Augenzeugin davon, dass die Demonstranten auf ihrem Rückweg mit den etwa 80 Gegendemonstranten auf dem Marktplatz zusammenstießen: Dabei sollen „Judenschweine“-Rufe gefallen sein.

550 in Großenhain, weniger in Riesa

„Spaziergänger“ waren auch in Großenhain auf der Straße. Eine Demonstration ist indes erneut nicht angemeldet - lediglich ein sogenannter Informationsstand der AfD. Die baut gegen 19.30 Uhr auch am Rande des Hauptmarktes ein paar Plakate auf, lässt Musik aus der Box "donnern". Geht nicht, sagt die Polizei. Ein Infostand ist keine Disco. Die Musik muss verstummen.

Nach Polizeiangaben sind rund 550 Spaziergänger zum Montagsprotest gekommen. Für die Beamten nicht unerwartet. Dass sich kein Anmelder für eine Demonstration findet, sorgt für Schulterzucken. Dann könnte man den "Spaziergang" ordentlich begleiten und schützen, heißt es aus Polizeikreisen. Denn der Demonstrationszug führt über eine verlängerte Strecke des gesamten Musikerrings. Es muss zwischenzeitlich auch ermahnt werden, die Fußwege zu nutzen.

In Riesa werden 200 bis 300 Teilnehmer am "Spaziergang" vom Montagabend gezählt. Als der Demozug etwa auf Höhe Rathausplatz angelangt war, stiegen auch einige Silvesterraketen in den Himmel. Riesas Revierleiter Andreas Wnuck bestätigt, es sei ein Böller gezündet worden. „Allerdings nicht aus der Versammlung heraus“, betont er. Woher oder von wem hätten die Kollegen vor Ort nicht mehr feststellen können. Grundsätzlich sei der Aufzug friedlich gewesen, das eingeleitete Verfahren gegen das sächsische Versammlungsgesetz betreffe das Nichtanmelden einer Versammlung. (SZ)