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Die Walze hat wieder einen Tarifvertrag

Nachdem sich die Bedingungen für die 250 Mitarbeiter seit 2002 immer mehr verschlechtert hatten, geht es nun wieder aufwärts.

Von Udo Lemke
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Den Arbeitern in der Walze wurde der Urlaub von 30 auf 20 Tage gekürzt, das Weihnachtsgeld fiel weg, Urlaubsgeld gab es nur manchmal etc. - nun sind ein neuer Eigentümer und eine neue Geschäftsführung da, mit denen sich verhandeln lässt.
Den Arbeitern in der Walze wurde der Urlaub von 30 auf 20 Tage gekürzt, das Weihnachtsgeld fiel weg, Urlaubsgeld gab es nur manchmal etc. - nun sind ein neuer Eigentümer und eine neue Geschäftsführung da, mit denen sich verhandeln lässt. © Arvid Müller

Am 18. Dezember vergangenen Jahres stimmten die Arbeiter in der Walzengießerei Coswig GmbH - kurz: Walze - dem ausgehandelten Haustarifvertrag einstimmig zu. Was das bedeutet, wollte die SZ vom Betriebsratsvorsitzenden Andreas Fuhrmann und dem Verhandlungsführer der IG Metall, Willi Eisele, wissen.

Herr Fuhrmann, dass Sie in einem großen Betrieb wie der Walze seit 2003 keinen Tarifvertrag mehr hatten, erscheint seltsam. Wie kam das zustande?

Die damalige Geschäftsführung entschloss sich, mit vielen Begründungen für uns Arbeiter und Angestellte, dass der Austritt aus dem Arbeitgeber-Verband und dem Tarifvertrag perspektivisch die bessere Variante für das Unternehmen sei. Der zu dieser Zeit amtierende Betriebsrat hatte vielleicht nicht recht erkannt, was dies für Folgen haben würde. Ich selbst kann das nicht nachvollziehen. Jedoch gab es seitens des Betriebsrats offensichtlich auch keinen Gegenwind, das zu verhindern. Als 2018 der jetzige Betriebsrat gewählt wurde, haben wir gemerkt, dass es in der anstehenden Umstrukturierung ohne Tarifvertrag und damit auch ohne Gewerkschaft nicht geht. Oder dann halt nur schlecht. Wir haben dann unseren Kollegen klargemacht, dass das, was zum Beispiel in der Umstrukturierung passiert ist, nur deshalb passieren konnte, weil es keinen Tarifvertrag gibt.

Wieso steigt denn ein Betriebsrat freiwillig aus dem Tarifvertrag aus?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Als es mit dem Ausstieg losging, war ich gerade einmal ein Jahr im Werk.

Welche Konsequenzen hatte der Ausstieg aus dem Tarifvertrag für die Mitarbeiter?

Es ist vieles abgebaut worden, was vorher tariflich feststand. So verringerte sich der Urlaub von anfangs 30 auf dann 20 Tage für alle Neueinstellungen. Mit jedem vollendeten Kalenderjahr kam dann ein Tag Urlaub dazu. Bis die max. 30 Tage wieder erreicht wurden. 2009 ging es dann auf 24 Tage hoch. Für einen Großteil der Belegschaft ist die bezahlte Wochenarbeitszeit von 38 auf 40 Stunden hochgesetzt worden, bis jetzt. Wer eingestellt wurde, kam in die unterste Lohngruppe. Neueinstellungen wurden dazu im ersten Jahr noch zehn Prozent abgezogen, im zweiten Jahr fünf Prozent. Erst ab dem dritten Jahr hatten die Mitarbeiter den vollen Lohn der untersten Lohngruppe, ab dem vierten Jahr konnte der Lohn dann steigen. Egal, wie gut jemand war. Weihnachten und Silvester waren nun wieder jeweils ein voller Tag Urlaub, statt der vorherigen Halbtagsregelung. Das Weihnachtsgeld ist in eine erfolgsabhängige Einmalzahlung umgewandelt, sodass dies nur in geringen Summen bzw. in den letzten drei Jahren gar nicht mehr gezahlt wurde.

Das klingt ja wie schlimmster Manchester-Kapitalismus. Gab es wirtschaftliche Zwänge, die zu diesem Totalabbau geführt haben, oder wollte man die Leute einfach drücken?

Grundsätzlich glaube ich eher das zweite, da wir von 2003 bis 2009, als es dann zur Finanzkrise kam, im Umsatz und auch Gewinn kontinuierlich gewachsen sind. Es wurde dann ja auch 2009 eine neue Gießerei eingeweiht - finanziell ging es dem Betrieb also nicht schlecht. Ab 2002/03 wurde es durch die damalige Regierung mit der Leiharbeit für Unternehmen einfacher und so hat die frühere Geschäftsführung wohl einfach die Gunst der Stunde genutzt, um nur das nötigste den Arbeitnehmern zu gewähren, um ihren Gewinn zu maximieren. Aus Arbeitgebersicht ist das bestimmt ein legitimes Mittel. Vom Blickwinkel der Arbeiter der Weltuntergang. Doch das ist Vergangenheit. Seit 2018 hat sich viel getan in der Betriebsratsarbeit. Wir sind angetreten, um die Arbeitsbedingungen der Kollegen zu verbessern. Es wurde ein Wirtschaftsausschuss eingerichtet, sodass wir auch sehen können, ob der Betrieb Gewinn macht oder nicht, bzw. in welcher Situation das Unternehmen sich befindet.

Wie sehen Sie die aktuelle Situation zwischen Arbeitnehmern und Geschäftsführung - ist sie gespannt, oder ist sie jetzt wieder vernünftig?

Wir haben jetzt einen neuen Eigentümer und damit auch eine neue Geschäftsführung. Im Betrieb sind drei Prokuristen unsere Ansprechpartner, die den Geschäftsführer, welcher in Wien sitzt, vertreten. Und mit diesen drei Prokuristen pflegen wir als Betriebsrat einen guten Umgang, sodass es ein Miteinander gibt. Ohne diese Entwicklung wären die Verhandlungen wahrscheinlich nicht so gelaufen. Dafür sagen wir auch ganz klar Danke.

Herr Eisele, wie würden Sie als Vertreter der IG Metall den Tarifabschluss bei der Walze Coswig einschätzen?

Ich glaube, dass das Ergebnis auf die Betriebe ausstrahlt, die jetzt noch nicht tarifgebunden sind. Die Mitarbeiter dort sagen sich: Das hätten wir auch gern. Vor den Kollegen, die sich hier in Coswig in der jetzigen Situation organisiert haben, kann man nur den Hut ziehen.

Was bedeutet die Rückkehr zur Tarifbindung - das Unternehmen muss jetzt mehr zahlen - für die Zukunft der Walze? Ist ihr das abträglich oder stärkt es sie?

Es gibt jetzt eine schrittweise Rückkehr zum Tarifvertrag. Wir werden zunächst die Eingruppierungen der Mitarbeiter überprüfen, dann eine eigenständige Entgelttabelle für die Walze erarbeiten. Wir werden das Weihnachtsgeld stufenweise wieder einführen. Wir haben nicht sofort den Flächentarifvertrag, sondern wir haben einen Firmentarifvertrag, mit dem wir an die Fläche heranfahren wollen. Die vorhergehenden Vereinbarungen waren nicht justiziabel, insofern ist die Geschäftsführung jetzt auf der sicheren Seite.

Herr Fuhrmann, was wünschen Sie sich als Betriebsratschef für die Walze für die kommende Zeit?

Wir haben die Auftragsbücher gut gefüllt, sodass man sagen könnte, uns geht’s gut. Das Hauptproblem ist die Frage, was die neue Regierung beim Umbau der Wirtschaft auf CO2-arm und CO2-frei für Pläne hat. Wenn die Schwerindustrie, aufgrund der immens hohen Energiekosten, hier nicht mehr profitabel produzieren kann, dann kann ein Unternehmer auch die Lust am Standort verlieren. Und das sind doch die Probleme, welche im Anschluss die Industriearbeitsplätze gefährden. Hier muss es heißen, realistische Ziele zu verfolgen. Ansonsten sind die Leute motiviert, sie haben sich mit der Zustimmung zum Tarifvertrag ja auch selbst ein Weihnachtsgeschenk gemacht. Nach so langer Zeit haben die Kolleginnen und Kollegen nun eine Mitbestimmung in Entgeltfragen und sind tariflich wieder dabei den Anschluss an die Fläche zu bekommen.