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Reisetipp Dänemark: Wo Seegras eine Delikatesse ist

Die dänische Insel Läsö ist winzig, pflegt aber eine großartige Tradition. Tang wird hier für Dächer und Lebensmittel verwendet. Und auch „weißes Gold“ ist ein beliebtes Mitbringsel.

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Kulinarische Experimente mit den Schätzen der Ostsee: Tang ist der Verkaufsschlager von Rie Toftel und Ladefoged (r.).
Kulinarische Experimente mit den Schätzen der Ostsee: Tang ist der Verkaufsschlager von Rie Toftel und Ladefoged (r.). © Visit Denmark/Kjetil Løite

Von Hubert Kemper

Lilian Kristensen stapft gegen den steifen Westwind an. Wir folgen einer Route, die Besucher zu den ungewöhnlichen Attraktionen der Insel Läsö leitet. „Nun möchte ich mein Haus zeigen“, sagt Lilian. Dann stehen wir staunend im Eingang. Über uns türmt sich ein mächtiges Dach aus Seegras auf. 35 Tonnen wiegt die natürliche Last. Sie schützt eine Wohnfläche von 300 Quadratmetern, die sechs urgemütlich eingerichteten Räumen Platz bietet.

Dächer aus Tang haben auf Läsö eine lange Tradition. Fischer und Bauern wussten die Haltbarkeit von bis zu 400 Jahren zu schätzen. 30 von ehemals 360 Häusern sind restauriert worden. Sie gelten heute als Kulturerbe, das Lilian als Projekt-Initiatorin mit finanzieller Unterstützung der dänischen Regierung leitet. 10,5 Millionen Euro stehen für die Tanghauspflege zur Verfügung. Rund 1,4 Millionen Euro kostete ihr schmuckes Tanghaus. „Es ist sicher kein Renditeobjekt“, sagt die Kopenhagenerin, „aber ich werde etwas Gutes hinterlassen haben, wenn es wieder 300 Jahre hält“.

Tang ist auf Läsö nicht nur ein Baustoff, sondern auch ein Lebensmittel. Ein kurzer Weg durch den Kiefernwald führt zu Rie Toftelund Ladefoged. Sie besitzt den einzigen Laden Dänemarks, der Produkte aus Tang verkauft. Die Auswahl ist groß. Zuckertang zum Beispiel soll Marmeladen eine unverwechselbare Süße verleihen.

Tang wächst auf großen Findlingen

Oder Blasentang. Daraus zaubert sie mit einigen Gewürzen sowie Mandeln, Petersilie und Zitrone Pesto für ein Nudelgericht. Rie erkennt die Skepsis des Besuchers. „Probier mal“, sagt sie und reicht Chips. Sie bestehen aus in Sesamöl gebackenem Tang und sind mit Sesamöl bestreut. Spontanes Urteil: Schmeckt angenehm, ja intensiv.

Soll Hunderte Jahre halten: ein Dach aus Tang.
Soll Hunderte Jahre halten: ein Dach aus Tang. © Hubert Kemper

Am nächsten Morgen begleiten wir Rie ans Meer. Seltsam geformt sind die Pflanzen, die sie der Ostsee entnimmt. Einige sehen aus wie Blätter, andere wie exotisch geformte Korallen oder ausgespreizte Finger. Der Tang wächst auf großen Findlingen, andere Stücke hat der Wind angespült. Rie sortiert den frischen Fang aus, legt die brauchbaren Teile in eine Kiste.

Wetterfest muss man sein, um Seegras frisch zu ernten, und experimentierfreudig, um die Meeresbeute in appetitliche Delikatessen zu verwandeln. Rie fühlt sich auch von der asiatischen Küche inspiriert, in der Tang eine große Rolle spielt. „Warum machen wir nicht mehr aus Tang?“, fragt sie. „Er liegt vor unserer Haustür, in unserem klaren Wasser?“ Dann wäscht sie ihre Ernte, schneidet sie zurecht und hängt sie zum Trocknen auf.

Läsö Salz hat in Europa eine Alleinstellung

Wenn der Sturm die Salzwiesen des Naturschutzgebietes Roennerne unter Wasser setzt, ist das wie Rohstoff für einen traditionellen Erwerbszweig der Insel. Während Meerwasser einen Salzgehalt von 3,5 Prozent aufweist, bietet das hier aus Brunnen gepumpte Grundwasser mit zwölf Prozent ideale Bedingungen für die Salzgewinnung. Regelmäßige Überflutung und Verdunstung hat unter der Salzmarsch eine natürliche Sole entstehen lassen.

„Im Mittelalter war Salz ein strategisches Produkt, vergleichbar mit der Bedeutung, die heute Lithium hat“, sagt Jonas Kjellberg, Chef der Salzsiederei. Bis in das 17. Jahrhundert war Salzgewinnung ein wichtiger Erwerbszweig für Läsö. Doch nachdem die Inselwälder gefällt waren, fehlte das Holz zum Befeuern der Siedeöfen. Das „weiße Gold“ geriet in Vergessenheit.

Die Wiederbelebung der Tradition in den 1990er-Jahren beschert Läsö eine wichtige Einnahmequelle. 80 Tonnen Salz produzieren zwei Siedehütten mit jeweils drei Pfannenanlagen. Läsö Salz habe in Europa eine Alleinstellung, sei einzigartig sauber und ohne Additive, so Kjellberg.

Ein Polizist reicht aus

100.000 Besucher sorgen in der Sommersaison für ein Zusatzgeschäft, wenn die Siedemeister an den Eisenpfannen das alte Handwerk erklären und anschließend der Ansturm im gut sortierten Verkaufsraum einsetzt. Südlich der Salzsiederei breiten sich die Strandwiesen der Roennerne aus. Wer das Naturschutzgebiet kennenlernen möchte, findet in Läsös früherem Bürgermeister Thomas Olsen einen fachmännischen Führer. Olsen steuert den von einem Traktor gezogenen „Roennerbus“.

Er erklärt die Salzmarsch, die das Meer gerade freigegeben hat, und weist auf mächtige Findlinge, die die Gletscher der Eiszeit liegenließen. Dann stellt er den Motor ab, um das Gezwitscher der Lerche hören zu können. Läsö gilt als Paradies für Vögel und für Freunde der herben nordischen Natur.

Läsö ist 21,4 Kilometer lang, zwölf Kilometer breit und zählt 1.789 Einwohner. Sie ist die am dünnsten besiedelte Gemeinde Dänemarks. Ein Polizist reicht aus, um für Sicherheit zu sorgen. „Kriminalität gibt es so gut wie nicht“, berichtet Werner Müller. Den Pensionär aus der Uckermark zog es vor 15 Jahren her. „Vor allem der Ruhe wegen“, sagt er.

"Ohne Hektik und Stress"

Nach 90-minütiger Fährfahrt von Frederikshaven betrete er auf Läsö eine andere Welt, „ohne Hektik und Stress“. Müller ist Hobby-Astrofotograf. Daher weiß er die saubere Luft zu schätzen, die fern von der Lichtverschmutzung großer Städte sternenklare Bilder ermöglicht.

Die höchste Erhebung auf Läsö ist Hoejsande mit 23 Metern. Ideale Flachetappen-Bedingungen also für Pedalritter, die auch ohne E-Antrieb auf vielen Radwegen ungestört fahren können. Ein weiteres Lockmittel: Läsö rühmt sich der meisten Sonnenstunden Dänemarks. Auch kulinarisch ist Läsö für Überraschungen gut. In den Gewässern rund um die Insel lebt nämlich der norddeutsche Kaisergranat.

Das feste Fleisch der Languste steht am ersten August-Wochenende im Mittelpunkt eines Gastrofestivals, an dem Dänemarks Spitzenköche um die „Goldene Kaisergranatschere“ wetteifern.

Per Auto und Fähre

  • Anreise: Mit dem Auto 990 km von Dresden nach Frederikshaven, mit der Fähre in 90 Minuten nach Läsö.
  • Die Recherche wurde unterstützt von VisitDenmark.