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Der Reisetipp: Pilgern auf dem Jakobsweg – in Dänemark

Es muss nicht immer Santiago de Compostela sein. Der Jakobsweg führt auch durch Lolland und Falster im Süden Dänemarks. Hier finden Pilger alte Kirchen, einige Gleichgesinnte – und viel Ruhe.

Von Andreas Pfitzner
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Die Domkirche in Maribo aus dem 15. Jahrhundert ist von Seen und Gartenanlagen umgeben.
Die Domkirche in Maribo aus dem 15. Jahrhundert ist von Seen und Gartenanlagen umgeben. © Rune Johanson

Du willst pilgern? Ja, warum nicht?! Ungläubige Blicke von Freunden verschwinden schnell, nachdem ich mein Vorhaben erklärt habe. Es soll ja nicht bis Santiago de Compostela gehen. Ein Stück auf dem Jakobsweg aber schon. In Dänemark. Dort gibt es zwei Pilgerstrecken – die Kloster- und die Santiago-Route. Letztere beginnt in Rodby auf der Insel Lolland und endet in Orehoved im Norden der Nachbarinsel Falster. Rund 75 Kilometer Fußmarsch, für die ich mir vier Tage Zeit nehme. Das klingt doch machbar.

„Gehen ist des Menschen beste Medizin“, sagte schon Hippokrates, der berühmte Arzt der Antike. Für die meisten Menschen waren die Füße lange Zeit das einzige Fortbewegungsmittel. Heute nimmt die Sehnsucht nach den einfachen Dingen im Leben wieder zu, ebenso die Zahl deutscher Pilger.

Schauspieler Hape Kerkeling hat vermutlich einen Anteil daran, nachdem 2006 sein Bestseller „Ich bin dann mal weg“ erschien. Allein religiöse Motive sind es nicht mehr, die heute zum Pilgern anregen. Das Befolgen eines Weges wird für viele nicht nur zu einer äußeren, sondern auch zu einer inneren Reise. Sie suchen Ruhe und Besinnung. Der Weg ist das Ziel.

© Andreas Pfitzner

Um das zu erreichen, starte ich in Rodby. Dort, wo 2020 die Arbeiten für einen neuen Tunnel begannen, der Deutschland mit Dänemark verbinden soll. Die Fertigstellung ist 2029 geplant, dann dauert die Fahrt von Puttgarden nach Rødbyhavn nur noch sieben Minuten mit dem Zug und zehn Minuten mit dem Auto. Ein Vorteil im Vergleich zur Fähre, die 45 Minuten unterwegs ist.

Der Kopf wird gereinigt, das Herz geöffnet

Die ersten Kilometer führen mich immer geradeaus. Links vom Weg Gemüse- und Getreidefelder, rechts ein Sonnenblumenmeer. Gelegentlich weht der Wind ein paar Autogeräusche von der Straße herüber, die allerdings nur anfangs in der Nähe des Wegs verläuft. Dann wieder Stille. Keiner, der mich überholt. Und niemand, der mir entgegenkommt. Im kleinen Örtchen Holeby gerate ich dann doch vom Weg ab. Das ist aber gewollt, denn hier soll es eine Kirche ohne Turm geben. Tatsächlich. Der Glockenturm steht daneben, er wurde nachträglich errichtet. Kurios.

Die Kirche in Holeby mit romanischem Altarraum, gotischer Vorhalle und einem Glockenturm, der daneben steht.
Die Kirche in Holeby mit romanischem Altarraum, gotischer Vorhalle und einem Glockenturm, der daneben steht. © Andreas Pfitzner

Ein Zimmer mit Tisch, Stuhl und Bett. Dusche und Toilette gibt es gegenüber vom Gang. Klein und schlicht. Willkommen im Pilgerhaus! Pilgrimshuset, um genau zu sein. So heißt das Domizil in Maribo, meiner ersten Station. Von vier Seen umgeben, wurde das Haus 2016 im Beisein von Königin Margrethe II. eröffnet. Es ist offen für alle mit Zeit zu Gesprächen bei einem Kaffee. Dort treffe ich auch Pilgerpfarrerin Charlotte Backhaus. „Pilgern ist Entschleunigung.

Man ist auf langen Wegen unterwegs, auf denen der Kopf gereinigt und das Herz geöffnet werden. Es ist Erholung vom hektischen und zunehmend digitalen Alltag“, sagt sie. Die Region Lolland-Falster habe ein besonderes Pilgerpotenzial. „Die Natur ist wunderschön. Wald, See und Strand sind nie weit entfernt. Es gibt viele mittelalterliche Kirchen – Orte, an denen Sie eintreten, auf einer Bank sitzen und Ihre Füße ausruhen können.“

Auch Gespräche gehören zum Pilgern

Unmittelbar neben dem Pilgerhaus wurde im 15. Jahrhundert die Kirche als Teil eines Doppelklosters erbaut – zwischen einem Nonnen- und einem Mönchskloster. Leonora Christina, Tochter von König Christian IV., lebte von 1685 bis zu ihrem Tod 1698 im Kloster und wurde in dessen Kirche begraben. Kurz nach der Beerdigung wurde ihr Leichnam jedoch entfernt – vermutlich von einem ihrer Söhne, der sie an einem unbekannten Ort begrub. Ihr Grabstein und die Krypta mit ihrem Sarg sind noch heute in der Domkirche von Maribo zu sehen.

Pfarrerin Charlotte Backhaus kennt die Geschichte des 2016 eingeweihten Pilgerhauses in Maribo.
Pfarrerin Charlotte Backhaus kennt die Geschichte des 2016 eingeweihten Pilgerhauses in Maribo. © Andreas Pfitzner

Am nächsten Tag begleiten mich einige Einwohner aus Maribo auf dem Weg nach Sakskøbing. Neben Charlotte sind es Menschen, die oft auf Pilgerwegen unterwegs sind. Mit Englisch und Deutsch versuchen wir, uns zu verständigen. Themen gibt es genug: Die Welt, die allmählich aus den Fugen zu geraten scheint, weil die Menschheit nichts aus der Geschichte lernt, wo egoistische Zeitgenossen an Zuwachs gewinnen und das respektvolle Miteinander immer öfter auf der Strecke bleibt. Und vieles mehr. Die Gespräche gehören ebenso zum Pilgern wie religiöse Orte und deren Geschichte.

Sakskøbing ist erreicht. Der beschauliche Ort mit seinen 4.500 Einwohnern, seiner Kirche, dem alten Rathaus und einer kleinen Einkaufsstraße ist schnell erkundet. Nicht zu übersehen ist „Saxine“, der lächelnde Wasserturm, das Wahrzeichen des Ortes. Er ist 33 Meter hoch und wurde 1982 mit einem freundlichen Antlitz versehen.

Ganzjährig frisches Obst

Drei Kilometer weiter gelange ich zu einem großen Obstgarten mit dazugehörigem Hofladen. Hier wird eine große Auswahl an Obst- und Gemüsesorten angeboten; wer Zeit und Lust hat, darf auch selbst pflücken. Der Großvater des jetzigen Betreibers Erik Lolle gründete die Plantage bereits 1938. Bei Lolle Frugt gibt es ganzjährig frisches Obst. Deshalb werden sowohl Äpfel als auch Birnen in bestimmten Kammern gelagert, wo die Früchte in luftdichten, computergesteuerten Räumen ohne Chemikalien ruhen. Zu den verschiedenen Jahreszeiten wird das Obst „geweckt“, sodass unabhängig von der Jahreszeit immer frische Äpfel und Birnen angeboten werden können.

Erik Lolle bietet in seinem Hofladen „Lolle Frugt“ unweit von Sakskøbing täglich frisches Obst an.
Erik Lolle bietet in seinem Hofladen „Lolle Frugt“ unweit von Sakskøbing täglich frisches Obst an. © Lolle Frugt

Im ehemaligen Fischerdorf Guldborg angekommen, zieht mich sofort eine Brücke in ihren Bann. Sie verbindet die beiden Inseln Lolland und Falster, die durch den Guldborgsund getrennt sind. Als es die Brücke vor 1934 noch nicht gab, wurde die Post über den Sund geschippert und im „Postmannplatz“ gelagert. Das Gebäude wurde zu einem Mehrgenerationenhaus und ist seit 2006 ein Bed & Breakfest mit Restaurant.

Birte Pawlik, die Besitzerin, ist hier geboren und bewirtet mit ihrem Mann, Erik Staal, vor allem Pilger, die meist schon nach einer Nacht weiterziehen. Wenn Erik die Gäste mit zünftigen Klavierklängen zum Abendessen begrüßt, kann es schon mal heiter werden. Erst recht, wenn der 82-Jährige sein Schuldeutsch abruft und den Besucher gemeinsam mit den englisch-deutschen Ausführungen seiner Frau unterhält.

Inzwischen ist der Nordosten der Insel Falster erreicht. Ein Tagesmarsch mit etwas mehr als 20 Kilometern liegt hinter mir. Um viele Eindrücke reicher, endet hier meine Pilgerstrecke. Verglichen mit wochenlangen Touren, die so manch Pilger auf sich nimmt, war es eher ein Schnupperkurs. Eine tolle Erfahrung allemal.

©  SZ-Grafik/Gernot Grunwald

Feste Route, individuelle Planung

  • Anreise: mit dem Auto nach Rostock (450 km), mit der Fähre bis Gedser (zwei Stunden) und 45 Minuten Autofahrt bis Rodby. Oder mit dem Auto ca. 600 km bis Puttgarden und mit der Fähre bis Rodby (45 Minuten). Mit Bahn, Fähre und Bus ca. zehn Stunden.
  • Die Santiago-Route beginnt in Rodby auf Lolland und führt in etwa 75 Kilometern über Maribo und Sakskøbing nach Orehoved auf Falster.
  • Unterkünfte und Verpflegung bei einer Pilgerreise werden individuell geplant. Supermärkte, Cafés und Restaurants findet man in den Orten an der Strecke. Es gibt keinen Gepäcktransport. Informationen und Kartenmaterial über VisitLolland-Falster erhältlich. Sehr hilfreich auf dem Pilgerweg ist die App Naturlandet.
  • Die Etappen sind flach und 15 bis 23 km lang.
  • Auf den Inseln wird außer Dänisch überwiegend Englisch gesprochen, wobei man sich mit vielen Einheimischen auch auf Deutsch verständigen kann.
  • Zahlungsmittel: In Dänemark zahlt man vorwiegend mit Kredit- oder EC-Karte. In größeren Orten akzeptieren Händler auch den Euro. (1 Euro = 7,46 Dänische Kronen).
  • Tipps für Übernachtungen: Pilgerhaus Maribo, Übernachtung 40 Euro, Frühstück kann selbst zubereitet werden. Hotel Saxkjobing: Ü/F im DZ ab 140 Euro. Postholderens Sted: Ü/F 50 Euro.
  • Die Recherche wurde unterstützt von VisitLolland-Falster.