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Friedensrichter: Bereitschaft zum Kompromiss nimmt ab

Wenn es in Sachsen mit dem Nachbarn nicht klappt, könnte der Friedensrichter helfen. Allerdings machen zunehmend sture Streithähne das schwierig.

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Immer wieder gibt es zwischen Nachbarn Streit wegen einer Hecke, Grundstücksgrenzen, Partylärm oder anderen Sachen. Oft endet der Konflikt vor Gericht, doch es geht auch anders.
Immer wieder gibt es zwischen Nachbarn Streit wegen einer Hecke, Grundstücksgrenzen, Partylärm oder anderen Sachen. Oft endet der Konflikt vor Gericht, doch es geht auch anders. © Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild (Symbolbild)

Dresden. Die Hecke ist scheinbar zu hoch, der Zaun zu nah, die Musik zu laut: Bei besserer Unterstützung könnten die Schiedsstellen in Sachsen aus Sicht von Friedensrichter Klaus-Jürgen Wilhelm mehr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten. "Schiedsverfahren sind gut für den gesellschaftlichen Frieden und entlasten die Justiz", sagte Wilhelm, der auch Vorsitzender der Landesvereinigung Sachsen des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen (BDS) ist. Im Unterschied zu kleineren Gemeinden, wo jeder jeden kenne, seien vor allem in größeren Städten sowohl Schlichtungsverfahren als auch Friedensrichter den Menschen oft unbekannt. Bürokratische Abläufe wirkten erschwerend. Dabei hätten sich Schiedsstellen etwa in den westlichen Bundesländern, wo es sie schon länger gebe, bewährt.

Wenn Streitigkeiten unter Nachbarn das Zusammenleben schwer machen, kann möglicherweise der Friedensrichter, der nur in Sachsen so heißt, schlichten. Ein Friedensrichter müsse genau zuhören und auch auf emotionale Reaktionen der Betroffenen achten, sagte Wilhelm. Das funktioniere jedoch nur, wenn die Streithähne gesprächsbereit und für eine Einigung offen seien. Der Vorteil solcher Verfahren: "Es wird niemand schuldig gesprochen und alle Beteiligten können sich weiter in die Augen sehen." Vor einem ordentlichen Gericht hingegen gebe es bei einem Urteil Verlierer. Das nachbarschaftliche Verhältnis sei dann in der Regel dauerhaft futsch, sagte Wilhelm.

Nach Angaben des Statistischen Landesamtes führten die 300 Schiedsstellen in Sachsen im Jahr 2019 genau 363 Schlichtungsverfahren in Zivil- und Strafsachen durch - 33 weniger als 2018. Auch die Zahl der sogenannten "Tür- und Angelfälle", in denen es nach einem Beratungsgespräch nicht zu einem formellen Verfahren kommt, ist um 328 auf 2.263 gesunken. Die Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor. Bei den meisten Schlichtungsverfahren ging es demnach um Nachbar- und Mietrechtsstreitigkeiten. In den meisten Fällen verglichen sich die Parteien, es wurden Forderungen anerkannt oder auf sie verzichtet. In 419 sächsischen Gemeinden kümmern sich ehrenamtliche Friedensrichter um solche Schlichtungsverfahren.

Viel zu wenige wissen vom Friedensrichter

Die Zahl der Schiedsverfahren ist zwar rückläufig. Die Kontrahenten seien jedoch weniger kompromissbereit und beharrten immer öfter auf "ihrem Recht", klagte Wilhelm. Eine Schlichtung sei da kaum möglich. Es wäre gut, wenn bei Nachbarschaftsstreitigkeiten auch in Sachsen Betroffene zunächst bei einem Friedensrichter eine Einigung versuchen müssten, ehe sie vor Gericht gehen. In anderen Bundesländern sei das so geregelt. Die große Unkenntnis über Schlichtungsverfahren erschwere auch die Nachwuchsgewinnung. Es sei generell schwierig und dauere oft lange, Nachfolger für dieses Ehrenamt zu finden.

"Corona hat neue Probleme erzeugt, war aber oft auch nur eine Art Katalysator für schon existierende Schwierigkeiten", sagte Katrin Hoogestraat, eine Mediatorin aus Dresden. Im Unterschied zu den Schiedsstellen einigen sich die Streitenden bei der Mediation auf einen neutralen, oft privaten Mediator als Vermittler. Aus Sicht von Hoogestraat sollten sich mehr Menschen auf diese Weise den Weg vor Gericht ersparen. Konflikte, bei den Mediatoren zum Einsatz kommen, reichten von Familienangelegenheiten bis in die Arbeitswelt.

Hoogestraat erinnerte daran, dass während des Corona-Lockdowns viele Familien relativ lange auf engem Raum beieinander waren. Geregelte Tagesabläufe seien weggefallen. Die Anforderungen bei der Arbeit und der Kinderbetreuung habe zu Stress geführt, manchmal sei die Situation eskaliert. "Mediationen waren während des Lockdowns selten gewünscht." Für Notfälle habe man eine Hotline für kostenfreie Erste Hilfe eingerichtet. Mit einem virtuellen Format versuche die Mediation neue Wege.

Ein Bündnis Konfliktlösung, zu dem sich unter anderem die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, die Verbraucherzentrale, die Universität Leipzig und der BDS zusammengeschlossen haben, soll Menschen bei Konflikten über außergerichtliche Lösungswege informieren. "Die meisten Anfragen drehen sich um Probleme mit Versicherungen oder Bankgeschäfte", sagte Thomas Ott von der Industrie- und Handelskammer Dresden, der aktuelle Sprecher des Bündnisses. Dort gebe es Ombudsmänner, an die sich die Betreffenden wenden könnten. Deren Empfehlungen werde in der Regel gefolgt. (dpa)