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Alternative zum Studium: Berufe testen am Gymnasium

Gymnasien sollen vor allem zukünftige Akademiker ausbilden. In Zeiten des Fachkräftemangels wird Berufsorientierung aber immer wichtiger. Wie das funktionieren kann, zeigt ein Beispiel aus Dresden.

Von Andrea Schawe
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Ministerpräsident Michael Kretschmer (l.) und Kultusminister Christian Piwarz besuchen einen Kurs zur Potenzialanalyse.
Ministerpräsident Michael Kretschmer (l.) und Kultusminister Christian Piwarz besuchen einen Kurs zur Potenzialanalyse. © dpa

Dresden. Am Anfang waren die Eltern skeptisch. Berufsorientierung? Wozu? Das Kind solle doch bitteschön studieren. Mittlerweile zweifle niemand mehr an dem Programm, sagt Karin Reichelt. Die Lehrerin für Kunst und Deutsch ist am Dresdner Julius-Ambrosius-Hülße-Gymnasium für die Berufsorientierung zuständig.

Seit fast zehn Jahren sei das Konzept gelebter Schulalltag. Es gehe darum, dass die Schülerinnen und Schüler praxisnah Berufsbilder kennenlernen und Arbeitsabläufe erleben. Abiturienten müssen neugierig auf Alternativen zum Studium gemacht werden.

"Junge Menschen in Sachsen verdienen die bestmögliche berufliche Zukunft und wir wollen sie dabei unterstützen", sagt Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Mittwoch bei einem Vor-Ort-Besuch. Die Gewinnung von qualifiziertem Nachwuchs für Sachsens Wirtschaft sei eine der größten Herausforderungen für die kommenden Jahre.

Der erste Schritt dazu ist die Potenzialanalyse. Dafür arbeitet das Gymnasium mit externen Partnern wie dem Elektrobildungs- und Technologiezentrum (EBZ) und dem Bildungswerk der sächsischen Wirtschaft zusammen. Bei der Analyse geht es vor allem darum, herauszufinden, welche Grundkompetenzen man hat, erklärt Karsten Lange vom EBZ. Alle Schüler der Klassestufe 7 müssen dafür an zwei Tagen verschiedene praktische Aufgaben lösen. Durch das saubere Zusammensetzen einer Zettelbox oder das Zurechtbiegen eines Drahtes kann etwa Arbeitsgenauigkeit, Arbeitstempo, Ordentlichkeit und Selbstständigkeit bewiesen werden. Kretschmer stellt gleich mal seine feinmotorischen Fähigkeiten unter Beweis, greift zur Rundzange und biegt eine kleine Öse in den Draht.

Welcher Beruf zu den Kompetenzen passt

Auf Grundlage der Kompetenzen finden in Klasse 7 fünf Werkstatttage statt. Dafür können sich die Schülerinnen und Schüler verschiedene Berufsfelder bei Unternehmen in und um Dresden aussuchen. "Es geht dabei darum, wo ihr Interesse liegt und nicht darum, wo sie nach dem Willen des Elternhauses hingehen sollen", sagt Karsten Lange. So können sich die Jugendlichen in Maurern, Holz- oder Metallverarbeitung, KfZ-Mechatronik oder Gastronomie ausprobieren. In Klasse 8 folgen weitere Werkstatttage.

Gute Berufsorientierung sei der beste Weg, um Nachwuchskräfte zu gewinnen, das gelte für Oberschulen und Gymnasien gleichermaßen, sagt Kultusminister Christian Piwarz (CDU). "Nicht alle Abiturienten schlagen eine akademische Laufbahn ein. Die Alternativen zum Studium sind vielfältig und die Schülerinnen und Schüler brauchen eine Orientierung, sonst verlieren sie wichtige Lebenszeit in Sackgassen." Die Findungsphase müsse bereits in der Schule starten, nicht erst danach, mahnt Piwarz.

Schüler hätten gern mehr Praktika

Um Praxiserfahrung zu sammeln, gibt es Betriebserkundungen in sächsischen Unternehmen, etwa bei Sachsenenergie. Danach folgt ein zehntägiges Betriebspraktikum in Klasse 9. Die Schüler würden sich sogar noch mehr Praktika wünschen – wie an der Oberschule. "Am besten schon ab Klasse 7", sagt ein Schüler der Neunten. So könnten die Jugendlichen vielfältige Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten kennenlernen. Dazu kommt Bewerbertraining und der jährliche Besuch der Lehrstellenbörse an der 121. Oberschule.

Ministerpräsident Michael Kretschmer hofft, dass durch Berufsorientierung der jungen Generation eine gute Auswahl an Zukunftsperspektiven geboten werden kann, damit sie in ihrer Heimat bleiben. "Ihnen zahlreiche, vielversprechende Berufswege zu präsentieren ist eine wichtige gemeinschaftliche Aufgabe der Schulen, Unternehmen, Vereine und vieler weiterer Akteure", so Kretschmer.

Nicht alle Abiturienten entscheiden sich am Ende für Ausbildung statt Studium. Aber sie wissen besser, wohin sie beruflich wollen. Jessica aus der zwölften Klasse hatte eigentlich vor, Tierärztin zu werden. Nun plant sie, Wirtschaftsmathematik zu studieren und in die Versicherungsbranche zu gehen. Bei Elftklässler Gustaf hat die Potenzialanalyse den Berufswunsch bei der Eisenbahn bestätigt.