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Sachsen: Was bringt eine Vorschulpflicht für alle Kinder?

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat ein verpflichtendes Vorschuljahr für alle Kinder vorgeschlagen. Dafür gibt es allerdings hohe Hürden. Ist eine Pflicht überhaupt nötig?

Von Andrea Schawe
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In Sachsen gehen fast alle Drei- bis Sechsjährigen in einen Kindergarten.
In Sachsen gehen fast alle Drei- bis Sechsjährigen in einen Kindergarten. © dpa

Ein Jahr vor der Einschulung sollen alle Kinder in Sachsen eine Kita besuchen – das hat Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vorgeschlagen. "Wir brauchen ein verbindliches und verpflichtendes Vorschuljahr für alle Kinder", sagte er der Leipziger Volkszeitung. Das könnte nach Ansicht des Ministerpräsidenten schon zum Jahr 2025 eingeführt werden.

Unterstützung für diese Idee kommt von Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU): "Wir prüfen die Idee sehr ernsthaft." Der Vorschlag finde sich auch im Entwurf für das Wahlprogramm der CDU wieder.

Sächsische.de erklärt, was eine Vorschulpflicht bringen soll, wie viele Kinder das überhaupt betrifft und welche Hürden es gibt.

Was verspricht sich die CDU von einer Vorschulpflicht?

Es geht vor allem darum, Grundlagen für die schulische Bildung zu legen. Studien haben ergeben, dass das Leistungsniveau der sächsischen Grundschüler bei Kompetenzen wie Lesen und Schreiben sinkt. Zwar belegten Sachsens Grundschüler beim IQB Bildungstrend 2021 erneut erste und zweite Plätze. Doch auch in Sachsen ist der Anteil der Grundschüler, die Defizite beim Lesen, Schreiben und Rechnen haben, größer geworden.

Die ersten sechs Lebensjahre seien entscheidend für die Bildungsgerechtigkeit, sagte Piwarz. "Die Kinder kommen heutzutage mit Entwicklungsunterschieden von bis zu drei Jahren in die Schule." Diese Unterschiede könne Schule kaum kompensieren. Dabei hat der Minister nicht nur Kinder mit Migrationsgeschichte im Blick. "Die größten Probleme bereiten uns die etwa fünf Prozent Kinder, die vor der Grundschule keine Kita besucht haben."

Welche Schwierigkeiten haben die Kinder?

Bei den Schuleingangsuntersuchungen für das aktuelle Schuljahr wurden bei etwa 14.000 der knapp 40.000 in Sachsen untersuchten Fünfjährigen Probleme mit Sprache und Sprechen festgestellt – das sind 35,5 Prozent. Ein Grund sei nach Ansicht der Kinderärzte, dass die Kinder bislang zu wenig gesprochen haben oder bei zu wenigen Gesprächen mithören konnten – etwas, das sie normalerweise in der Familie oder im Kindergarten erleben. Untersuchungen haben ergeben, dass Kinder, die keinen Kindergarten besucht haben, erheblich größere Sprachdefizite aufweisen. Knapp ein Viertel der untersuchten Kinder in Sachsen hat zudem Schwierigkeiten mit Zahlen.

Warum werden Kinder nicht in die Kita geschickt?

In Sachsen ist die Betreuungsquote sehr hoch. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden 2023 etwa 94 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen in einer Kita betreut. Vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien besuchen häufig keinen Kindergarten, da sich die Familien den Besuch finanziell nicht leisten können. Dazu kommen Kinder, die zu Hause betreut werden. Außerdem kann es sein, dass Familien unter Umständen auf einen freien Platz warten müssen. Kinder aus Flüchtlingsfamilien sind zudem oft noch nicht lang genug in Sachsen.

Welche Hürden gibt es für ein verpflichtendes Kita-Jahr?

Es gibt vor allem juristische Bedenken. Gesetzlich geregelt ist in Deutschland nur die Schulpflicht ab sechs Jahren. Der Besuch eines Kindergartens ist keine Pflicht und kostet zudem Geld. Geprüft werden müsse, ob ein verpflichtendes Vorschuljahr mit der sächsischen Verfassung vereinbar sei, sagte Piwarz. Sachsens Verfassung betont in Bildungsfragen das Erziehungsrecht der Eltern. Mit dieser Begründung hat das Oberverwaltungsgericht Bautzen 2017 auch die bindende Wirkung der Bildungsempfehlung beim Wechsel auf eine weiterführende Schule abgeschafft. Für eine Verfassungsänderung wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag nötig. Der Kultusminister will prüfen, ob es auch andere Wege gibt, eine Vorschulpflicht einzuführen.

Wird das letzte Kita-Jahr dann für alle kostenfrei?

Kretschmer ließ offen, ob eine Verpflichtung auch eine Beitragsbefreiung für die Eltern zur Folge hätte. Er verwies darauf, dass das Thema in den Beratungen zum nächsten Doppelhaushalt eine Rolle spielen müsse. Auch Piwarz ließ die Frage der Kostenfreiheit unbeantwortet.

Die SPD hatte in der ersten Regierungskoalition 2009 ein kostenfreies Vorschuljahr in Sachsen eingeführt, das von CDU und FDP in der nächsten Legislatur wieder abgeschafft wurde. Derzeit können Kommunen auf die Gebühren für das letzte Kita-Jahr verzichten – wenn sich die Gemeinde das leisten kann.

Welche Position vertreten die Koalitionspartner?

Sozialministerin Petra Köpping (SPD) würde zwar ein kostenfreies Kita-Jahr begrüßen, bezweifelt aber die Wirksamkeit einer Vorschulpflicht. "Wir alle wissen doch, dass diese Pflicht eigentlich gar nicht nötig ist. Denn bereits fast alle Kinder gehen im letzten Jahr vor der Schule in den Kindergarten." Stattdessen plädierte sie dafür, die Betreuung in den Einrichtungen zu verbessern. "Die sinkenden Kinderzahlen bieten uns dafür eine große Chance."

Auch bei den Grünen sieht man keinen Bedarf für eine Vorschulpflicht. "Bevor wir über ein verpflichtendes Vorschuljahr nachdenken, sollten wir in Erfahrung bringen, welche Hinderungsgründe es für einen Kita-Besuch gibt", sagte Bildungspolitikerin Christin Melcher. Diese Hürden müssten beseitigt werden. Jedes Kind habe einen Anspruch auf frühkindliche Bildung.

Gibt es in anderen Bundesländern eine Vorschulpflicht?

Nein, bisher nicht. Die Diskussion ist allerdings nicht neu. Ursula von der Leyen wollte als Bundesfamilienministerin bereits im Jahr 2006 ein verpflichtendes Vorschuljahr einführen. Die ehemalige Familienministerin Franziska Giffey (SPD) sprach sich 2018 für "verpflichtende frühkindliche Bildung" aus.

Derzeit wird auch in anderen Bundesländern über ein verpflichtendes Vorschuljahr diskutiert, etwa in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Bayern. Im vergangenen Jahr hat Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) die Idee unterstützt. Sie war zu der Zeit amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz. In Berlin soll eine Vorschulpflicht für Kinder mit Sprachschwierigkeiten gegebenenfalls auch mit Bußgeldern durchgesetzt werden.