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Aufträge und Fördermittel: So viel Regierung steckt in Sachsen-Fernsehen

Sachsens größter lokaler Fernsehsender macht mit der Landespolitik gute Geschäfte. Fördergeld gibt's oben drauf. Wie unabhängig ist Sachsen-Fernsehen?

Von Ulrich Wolf & Moritz Schloms
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Die Zentrale von Sachsen-Fernsehen: das frühere Kulturhaus des DDR-Kamerahersteller Pentacon in Dresden in der Schandauer Straße.
Die Zentrale von Sachsen-Fernsehen: das frühere Kulturhaus des DDR-Kamerahersteller Pentacon in Dresden in der Schandauer Straße. © www.loesel-photographie.de

Michael Kretschmer steht in einer kargen Halle in Leipzig. Die Ärmel seines Hemdes sind hochgekrempelt. Auf einem grünen Banner hinter ihm ist zu lesen: "Zukunft gemeinsam gestalten". Er spricht mit dem Publikum über Mobilität in Sachsen. Kretschmers CDU präsentiert sich bürgernah auf einer ihrer Regionalkonferenzen.

Zu sehen gibt es diese Szene auf dem YouTube-Kanal der sächsischen Union. Die Partei hat dort einen fast zweistündigen Mitschnitt der Veranstaltung hochgeladen. Das Video hat nach mehr als zwei Wochen 335 Aufrufe und fünf Gefällt-mir-Angaben. Doch dieselben Bilder von der Leipziger CDU-Konferenz mit dem zuhörenden Ministerpräsidenten sind nicht nur bei YouTube zu sehen, sondern auch in den Nachrichten der Lokalsender-Gruppe Sachsen-Fernsehen. Zufall?

Doppelrolle: Dienstleister und Berichterstatter

Eher nicht. Sachsen-Fernsehen berichtet nicht nur über die CDU, das Rundfunkunternehmen macht mit der Partei auch Geld. "Die Sächsische Union hat im Rahmen verschiedener Veranstaltungen mit Sachsen-Fernsehen als Dienstleister für Veranstaltungstechnik und Livestreams zusammengearbeitet", bestätigt die CDU.

Welche und wie viele Veranstaltungen genau die in Dresden ansässige TV-Gruppe im Auftrag der Partei produziert hat und produzieren wird, dazu schweigt sie. Ihre Regionalkonferenzen jedenfalls sind regelmäßig im Programm von Sachsen-Fernsehen zu sehen.

Die CDU ist nicht der einzige Geschäftspartner aus der Politik, über den Sachsen-Fernsehen redaktionell berichtet. Staatskanzlei, Wirtschaftsministerium, SPD, Landtag – sie alle vergeben Aufträge an Firmen von Sachsen-Fernsehen. Beispiele sind Formate wie "MK-Direkt" für Michael Kretschmer oder "Dulig-Konkret" für Wirtschaftsminister Martin Dulig von der SPD. Wie genau die Verträge aussehen und wie viel Geld fließt, dazu äußern sich weder der Freistaat noch die Parteien oder das private Sachsen-Fernsehen.

"Der wichtigste Anspruch seriöser Medien ist ihre Unabhängigkeit"

Trotz der Doppelrolle als Dienstleister für die Politik und als Berichterstatter über sie sei die Redaktion unabhängig, betont Senderchef Frank Haring. Die Videoproduktion sei ein eigenständiges Profitcenter innerhalb von Sachsen-Fernsehen und agiere unabhängig von den Redaktionen der TV- und Radiosender.

Kritischer sieht das der Geschäftsführer des sächsischen Journalistenverbandes, Lars Radau. Für ihn ist die Doppelrolle von Sachsen-Fernsehen "zumindest schwierig". Der wichtigste Anspruch seriöser Medien sei ihre Unabhängigkeit. Umso wichtiger sei es, "auch nur den Anschein der Vermischung von kommerziellen und journalistischen Interessen zu vermeiden".

Kommt bei Sachsen-Fernsehen zusammen, was nicht zusammen gehört – Staatsaufträge und Journalismus?
Kommt bei Sachsen-Fernsehen zusammen, was nicht zusammen gehört – Staatsaufträge und Journalismus? © www.loesel-photographie.de

Dass das bei Sachsen-Fernsehen der Fall sein könnte, wird durch das neue Förderprogramm für unabhängigen Lokaljournalismus der Staatsregierung zumindest nicht entkräftet. In diesem und im nächsten Jahr werden erstmals auch Inhalte des lokalen Rundfunks subventioniert. Steuergeld in Höhe von vier Millionen Euro sind dafür vorgesehen, verteilt von der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM). Größter Profiteur ist Sachsen-Fernsehen. Etwas mehr als 1,6 Millionen Euro sind derzeit für Projekte der Senderkette vorgesehen.

Die Methode Sachsen-Fernsehen

Für den Dresdner Medienjournalisten Peter Stawowy, der auch als Berater im sächsischen Politbetrieb arbeitet, ist das die "staatlich geförderte Verlängerung eines Mediensterbens". Lokalfernsehen sei praktisch nicht zu retten. "Finden Sie mal einen, der das überhaupt noch guckt", sagt er.

Aktuelle Zahlen zu den Zuschauerquoten werden bei der SLM selber nicht erhoben, die Behörde verfügt aber über Messungen Dritter wie z. B. der AGMA, der AGF und der Internetprovider, die Auskunft über die Reichweiten geben. Im Fall von Sachsen-Fernsehen soll es sich um Daten der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung handeln. Die SLM gibt über diese Daten Dritter wegen urheberrechtlicher Bedenken keine Auskunft.

Wahrgenommen wird Sachsen-Fernsehen zumindest auf den Fluren und in den Büros des Landtags. Also dort, wo über die Fördermillionen entschieden wird. Der Sender berichtet – wie andere auch – über die Sitzungen. Anders als andere Medien erhält er allerdings auch gut 2.500 Euro für jeden Plenartag, an dem er den Tagesordnungspunkt "Aktuelle Debatten" aufzeichnet. Insgesamt zahlte der Landtag seit 2021 mehr als 100.000 Euro für Produktionsaufträge an Sachsen-Fernsehen.

"So funktioniert die Methode Haring", sagt Stawowy. "Mit dem Auftrag hat er einen Fuß in der Tür." Stawowy kennt Haring persönlich. Bevor er sich vor 15 Jahren selbstständig machte, arbeitete er als Chefredakteur für die Jugendzeitschrift Spießer, mit der Harings Aufstieg zum Medienmacher begonnen hatte.

Harings Reich umfasst mehr als Lokalfernsehen

Das war 1994. Aus der einstigen Dresdner Schülerzeitung Spießer machte Haring mit zwei Freunden in nicht einmal zehn Jahren Ostdeutschlands größtes Jugendmagazin. Parallel stieg das Trio sukzessive in andere Medien ein. Mindestens 16 Unternehmen sind es inzwischen, gebündelt in einer Holding: Magazine, Marketing, Mediendesign, Medienlogistik, Rundfunk, Werbung. Allein die zwei größten Fernsehfirmen erlösten 2021 zusammen rund 3,5 Millionen Euro und machten fast 300.000 Euro Gewinn.

Auch mit Immobilien werden Geschäfte gemacht: etwa mit dem Gewerbepark Großenhainer Straße und dem früheren Kulturhaus des DDR-Kameraherstellers Pentacon in Dresden, der Kulturinsel Einsiedel an der Neiße oder einer Bergbaude in der Sächsischen Schweiz.

Auch Immobiliengeschäfte sind den Machern des Lokalfernsehens nicht fremd.
Auch Immobiliengeschäfte sind den Machern des Lokalfernsehens nicht fremd. © Jürgen Lössel / www.loesel-pho

PR für Kretschmer, Dulig – und China

Haring, der Erfolgsmensch? Sachsen-Fernsehen, an dem auch der Verlag der Leipziger Volkszeitung beteiligt ist, stand schon öfter in der Kritik. Geschadet hat es offenbar nicht. Als im April das NDR-Medienmagazin Zapp kritisierte, der Sender habe mit einer bezahlten Sendung "chinesische Propaganda" ausgestrahlt, prüfte das die SLM als Aufsichtsbehörde. Ergebnis: Das Format sei als Dauerwerbesendung markiert und deshalb rechtlich unproblematisch gewesen.

Nach einer Anfrage von Sächsische.de wird die SLM nun auch eine Prüfung von Sachsen-Fernsehen in seiner Doppelrolle als Dienstleister und Berichterstatter über die sächsische Politik vornehmen. SLM-Präsident Markus Heinker sagt dazu: "Sollte mit der Vergabe von Produktionsaufträgen auch die Verpflichtung zur Ausstrahlung von Inhalten im redaktionellen Teil des Programms verbunden sein, wäre das medienrechtlich höchst problematisch. Allerdings gibt es darauf bisher keine Hinweise. In der Vergangenheit haben sich solche Vermutungen nach Prüfung durch die SLM nicht bestätigt. Die SLM wird das aber auch für die von Sächsische.de genannten weiteren Sachverhalte prüfen.", sagte er. So ein Prüfverfahren dauere jedoch lange.

Unterdessen expandiert Sachsen-Fernsehen. Erst im Juni verleibte sich der Konzern Oberlausitz-TV ein. Bereits zum Jahresende 2022 hatte Haring die Kontrolle bei Radio Weißwasser übernommen. Das wandelt er öffentlichkeitswirksam in einen nichtkommerziellen Sender um. So will Haring noch mehr Fördergeld erhalten.

Transparenzhinweis, 12 September 2023: Wir haben nach einem gerichtlichen Vergleich den Text in zwei, aus Sicht der Redaktion marginalen Punkten ergänzt und an einer Stelle leicht verändert. Die grundlegenden Aussagen des Artikels bleiben hiervon unberührt.