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Immer mehr Sachsen sind süchtig nach Computerspielen und digitalen Medien

Exzessive Mediennutzung, Cannabis, harte Drogen: Der aktuelle sächsische Suchtbericht listet viele Abhängigkeiten auf. Die meisten Probleme gibt es in Sachsen aber mit Alkohol.

Von Andrea Schawe
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Die Diagnose exzessive Mediennutzung hat sich in Sachsen verdoppelt.
Die Diagnose exzessive Mediennutzung hat sich in Sachsen verdoppelt. © dpa

Dresden. In Sachsen gibt es mehr Menschen, die nach Computerspielen und digitalen Medien süchtig sind. Die Diagnose exzessive Mediennutzung hat sich bei den Fallzahlen in den Suchtberatungs- und Behandlungsstellen nahezu verdoppelt. 2021 wurden 145 Fälle registriert, 2018 waren es nur 69 Fälle.

Das geht aus dem vierten sächsischen Drogen- und Suchtbericht hervor, der am Dienstag dem Kabinett vorgelegt wurde. Er stellt das Konsumverhalten sowie Schwerpunkte der Suchtprävention und -hilfe in Sachsen im Zeitraum von 2017 bis 2021 dar. Dafür wurden Befragungen zum Konsumverhalten, Suchthilfestatistiken, die polizeiliche Kriminalstatistik sowie Erfahrungen von Fachkräften des Suchthilfesystems ausgewertet.

Der Anstieg der Mediennutzung in der Freizeit sei auch eine Auswirkung der Corona-Pandemie, heißt es im Bericht. Etwa 85 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen steigerten ihren Medienkonsum – sie nutzen verstärkt sozialen Medien und schauten Videos, Filme oder Serien. Das wurde mit dem Wegfall anderer möglicher Freizeitaktivitäten, den Kontaktbeschränkungen sowie der Verlagerung des Lernens in den digitalen Raum begründet.

Alkoholkonsum ist größtes Problem in Sachsen

In den sächsischen Suchtberatungs- und -behandlungsstellen spielen diese Fälle noch eine untergeordnete Rolle. Insgesamt wurden jährlich zwischen 17.000 und 20.000 Fälle betreut. Bei etwa der Hälfte handelt es sich um Alkohol – eine alkoholbezogene Störung bildet auch bei der Anzahl stationär behandelter Fälle deutlich den Schwerpunkt gegenüber den illegalen Drogen.

"Die vorliegenden Daten zeigen, dass es in Sachsen leider umfangreiche suchtbezogene Problemlagen gibt", sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD). Am deutlichsten sei dies bei Alkohol sichtbar. 420.000 Menschen der 15- bis 64-Jährigen in Sachsen hatten einen problematischen Alkoholkonsum in den letzten zwölf Monaten. Nach den Daten des Suchtberichts liegt der Anteil der Menschen, die Alkohol konsumieren sowohl insgesamt in der Bevölkerung als auch in der Gruppe der 40- bis 59-Jährigen in Sachsen deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

Auch die Zahl der Todesfälle durch Alkohol ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. 2017 starben 1.009 Männer und Frauen infolge von Alkoholkonsum, bis 2021 erhöhte sich die Zahl auf 1.149.

Besonders fatal ist es Experten zufolge, wenn Frauen während der Schwangerschaft zur Flasche greifen. Rauschtrinken und riskanter Konsum sei auch unter Frauen in Sachsen weit verbreitet, heißt es in dem Bericht. Während der Schwangerschaft kann dies die Entwicklung ungeborener Kinder beeinflussen und zu lebenslangen Schäden und Verhaltensauffälligkeiten führen. Fachleute sprechen von Fetalen Alkoholspektrumstörungen (FASD). Dies sei die häufigste Ursache für eine angeborene, lebenslange Behinderung. Berechnungen zufolge werden im Freistaat jedes Jahr 500 bis 600 Kinder mit FASD geboren. Köpping bezeichnete diese Zahlen als "besonders tragisch".

Probleme mit Crystal und Amphetaminen haben sich auf hohem Niveau stabilisiert. Knapp die Hälfte der Fälle, die wegen illegaler Drogen eine Suchtberatungsstelle oder Behandlung aufsuchen, kommen wegen eines problematischen Amphetaminkonsums. 2021 waren das 1.700 Fälle. 27.000 Personen in Sachsen gaben an, in den letzten zwölf Monaten solche Stimulanzien konsumiert zu haben.

Cannabis: Besonders viele Klienten unter 20 Jahre

Bei Cannabis ist der Informations- und Beratungsbedarf im Kontext der Diskussionen zur Legalisierung deutlich gestiegen. Insgesamt habe der Konsum von Cannabis bei 18- bis 59-jährigen in Sachsen seit dem Jahr 2009 zugenommen, heißt es im Bericht. Von den 1.280 Fällen in den Suchtberatungsstellen sind 2021 etwa 36 Prozent der Klientinnen und Klienten unter 20 Jahre alt.

Mit Blick auf die zum 1. April geplante kontrollierte Freigabe von Cannabis will Sachsen über den Bundesrat auf die Bremse treten. Dazu werde im Gesundheitsausschuss ein Antrag eingebracht, sagte Köpping. "Cannabis ist und bleibt eine gefährliche Droge." Das gelte besonders mit Blick auf Kinder und Jugendliche. Daher müsse noch einmal über die erlaubte Menge nachgedacht werden ebenso wie über die Abstände zu Kinder- und Jugendeinrichtungen. Auch brauche es einen längeren Zeitraum zur Vorbereitung auf die Teillegalisierung, um mehr Beratungsangebote aufzubauen. Die Zeit bis zum 1. April sei dafür zu kurz. Aus ihrer Sicht sollte die Freigabe nicht mehr in diesem Jahr erfolgen, sagte Köpping. Das generelle Ziel einer Entkriminalisierung des Cannabiskonsums trage sie aber mit.

"Der Anstieg des Cannabiskonsums, vor allem unter jungen Menschen, in den letzten zehn Jahren zeigt das Scheitern der bisherigen Verbotspolitik", sagte die für Drogenpolitik zuständige Landtagsabgeordnete Petra Čagalj Sejdi (Grüne). Die Legalisierung stelle einen wichtigen Schritt hin zu einer Drogenpolitik dar, die den Gesundheits-, Jugend-, und Verbraucherschutz in den Vordergrund rücke und den Schwarzmarkt eindämme. "Nun sind wir gefordert, die cannabisbezogene Präventionsarbeit und Suchtberatung in Sachsen auszubauen und gezielt Kinder und Jugendliche zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit Substanzen zu befähigen."

Weiterer Ausbau der Präventionsangebote

Insgesamt ist die Zahl der Beratungen in den 47 Suchtberatungsstellen mit 26 Außenstellen leicht zurückgegangen - auch wenn während der Pandemie versucht wurde, mit digitalen Angeboten zu helfen. Im Jahr 2022 standen in der Suchthilfe 195 Vollzeitstellen für Fachkräfte zur Verfügung. Da entspricht sachsenweit einem Versorgungsgrad von einer Fachkraft pro 20.900 Einwohnern - mit regionalen Unterschieden. In der Großstadt gibt es wesentlich mehr Angebote als im ländlichen Raum.

Sachsen verfüge über ein "überwiegend gut ausgebautes und unterschiedlich stark vernetztes Hilfe- und Unterstützungssystem für suchtgefährdete und suchtkranke Menschen sowie ihre Angehörigen", sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping. Der Freistaat investiert hier 7,5 Millionen Euro.

Der Bericht zeige, dass problematischer und abhängiger Konsum kein Problem nur von Randgruppen, sondern der gesamten Gesellschaft sei, sagte Köpping. "Ob in der Schule oder im Betrieb, ob in der Familie oder im Verein - Sucht kann überall auftreten." Daher müssten Prävention und Angebote der Suchthilfe weiterentwickelt werden.

Auch die Grünen wollen das Angebot an Präventionsmaßnahmen weiterhin ausbauen. "Hierbei braucht es insbesondere einen Fokus auf frühzeitige Intervention, um eine Verfestigung von Abhängigkeiten zu verhindern", sagte Petra Čagalj Sejdi. Die flächendeckende Verfügbarkeit und gute Ausstattung von Suchtberatungsstellen sei unerlässlich, um insbesondere junge Menschen bezüglich Alkohol, Cannabis und exzessiver Mediennutzung beraten zu können. (mit dpa)