„Viele Jugendliche denken, Cannabis ist schon legal“
Neben Alkohol konsumieren im Landkreis Bautzen immer mehr vor allem junge Menschen Cannabis. Suchtberaterin Jana Stahn erklärt, wie sich das auswirkt und was sie von einer Legalisierung hält.
Bautzen. Der Freistaat Sachsen hat jetzt seinen neuesten Drogen- und Suchtbericht vorgestellt. Alkoholkonsum wird darin als größtes Problem beschrieben. Dazu kommen Crystal, Cannabis und weitere illegale Drogen.
Jana Stahn, Leiterin der Suchtkrankenhilfe der Arbeiterwohlfahrt Bautzen, spricht im Interview über die Lage im Landkreis Bautzen, die Auswirkungen des Konsums und eine mögliche Cannabis-Legalisierung.
Frau Stahn, laut dem vierten sächsischen Drogen- und Suchtbericht ist der Alkoholkonsum das größte Problem im Freistaat. Wie sieht es im Landkreis Bautzen aus?
Das ist hier ganz genau so, wie die vergangenen Jahre auch. Von unseren 906 Betroffenen und Angehörigen im Jahr 2023 ist die Hälfte mit oder wegen eines Alkoholproblems in unsere Beratungsstelle gekommen.
Warum ist der Alkoholkonsum das größte Problem?
Alkohol ist eine legale Droge, verfügbar, preiswert, einfach zu bekommen, und der Konsum ist ein gesellschaftliches Phänomen. Alkohol kann am Anfang auch schon mal Probleme lösen.
Welche Probleme können das sein?
Allgemeine Sorgen, Probleme
beim Einschlafen oder nach der Arbeit nicht so gut entspannen zu können. Diese
Probleme kann Alkoholkonsum vielleicht zu Beginn lösen, aber daraus kann sich
ein größeres Problem entwickeln
Ab wann ist Alkoholkonsum ein Problem?
Wenn der Alkohol eine Funktion bekommt, also, wenn ich ihn brauche, um einschlafen zu können, um Probleme zu verdrängen, um nach der Arbeit runterzufahren. Aber auch, wenn andere Pflichten zum Teil oder komplett vernachlässigt werden. Und es wird problematisch, wenn Menschen immer mehr Alkohol brauchen, um dieselbe Wirkung zu erzielen wie zu Beginn.
2022 gab es weniger Alkohol-Fälle bei Ihnen als im Vorjahr. 2023 sind es wieder mehr geworden. Warum gab es diesen zwischenzeitlichen Rückgang?
Ich denke, das hat noch ein bisschen was mit der Corona-Pandemie zu tun. In dieser Zeit waren die Problemlagen im sozialen Kontext, auf Arbeit, innerhalb der Familie oder mit Schulden alle sehr komplex. Da kamen nicht nur Betroffene mit Alkoholproblemen. Und bei vielen Klienten sind erstmal andere Probleme zu lösen, bevor sie mit einer Therapie beginnen oder einen Antrag dafür stellen. Auffällig waren die Probleme mit sozialen Kontakten.
Inwiefern?
Die sozialen Kontakte
haben abgenommen oder es fällt den Menschen schwerer, sie aufzunehmen, zu
halten oder zu stabilisieren, nicht nur im Zusammenhang mit Alkoholproblemen.
Junge Mädchen mit Essstörungen zum Beispiel hatten immer nur über soziale
Medien Kontakte gehalten und sich über Essen und
Nicht-essen strukturiert. Und es fehlen vor allem die positiven sozialen
Kontakte, die dabei helfen rauszugehen und was Tolles zu unternehmen oder etwas
zu schaffen.
Neben Alkohol ist auch der Konsum illegaler Drogen bei Ihren Klienten gestiegen. Welche sind das?
Hier in der Region geht es vor allem um Crystal. Das bewegt sich nach wie vor auf hohem Niveau, wenn auch über die vergangenen Jahre gesehen leicht rückläufig. Die Problematik mit Cannabis nimmt seit zwei Jahren stark zu. Cannabis und Crystal bewegen sich mittlerweile auf demselben Niveau.
Cannabis konsumieren derzeit die sehr jungen Jugendlichen mit 15, 16 Jahren. Sie tun es eher gemeinsam in der Gruppe, um schöne Erlebnisse zu haben. Bei Crystal geht es eher darum, Nächte durchzumachen, zu feiern und lange wach zu sein.
Wie stehen Sie angesichts dessen zur geplanten Legalisierung von Cannabis in Deutschland?
Wir merken bei Präventionsprogrammen in Schulen, dass es bei Jugendlichen ein Thema ist. Viele von ihnen denken, Cannabis ist schon legal oder dass es durch diese Debatte um die Legalisierung keine Droge mit schwerwiegenden Folgen ist. Und das gibt uns zu denken, denn wie soll der Jugendschutz so gewährleistet werden? Das gelingt ja bei Nikotin, Alkohol und Co. auch nur bedingt.
Also sind Sie eher dagegen?
Das habe ich nicht gesagt. Es soll ja dazu dienen, zu entkriminalisieren und die Qualität von Cannabisprodukten besser zu kontrollieren. Die Frage ist, ob damit wirklich der Schwarzmarkt eingedämmt wird oder nicht. Dort bekommt man Cannabis mit sehr hohem THC-Gehalt im Gegensatz zu Cannabis im legalen Verkauf oder beim Anbau der erlaubten eigenen drei Pflanzen. Wir können nur gespannt sein, wie sich das entwickelt. Wichtig ist, dass bei einer Legalisierung gezielt Aufklärung und Präventionsarbeit, insbesondere bei Minderjährigen, betrieben wird.
Warum?
Weil legal nicht bedeutet, dass es auch gut für mich ist. Das sehen wir ja beim Alkohol. Es macht etwas mit den Konsumenten, es kann zur Abhängigkeit führen, die Gehirnfunktionen einschränken oder sich auf Lunge, Herz und Kreislauf legen. Aber das ist ja dann erst mal für viele Jugendliche nicht relevant.
In Ihrem Jahresbericht für 2023 steht auch, dass Ihre Klienten immer jünger werden. Wie jung sind sie denn?
Bei Jungs wie bei Mädchen beginnt es mit 14, 15 Jahren.Sie konsumieren oftmals nicht nur eine Droge, sondern gleichzeitig auch Medikamente oder neben Cannabis eine zweite Droge. Dazu kommen noch Zigaretten oder E-Zigaretten, und das alles zusammen stellt sich als sehr konfus dar. Die Frage ist, warum sie zu uns kommen. Aus eigener Motivation? Oder wurden sie von ihren Eltern oder von Psychotherapeuten geschickt? Dann müssen wir schauen, wen wir alles mit einbeziehen (müssen) und was das Ziel der Beratung sein soll. Ab dem Alter von 15 Jahren und mit entsprechender geistiger Reife können wir auch anonym beraten.
Laut dem Sächsischen Drogenbericht ist im Freistaat nicht nur der Cannabiskonsum, sondern auch die exzessive Mediennutzung gestiegen. Gilt das auch hier im Landkreis Bautzen?
Damit haben wir momentan noch eher selten zu tun.Wenn, dann kommen Eltern und sagen, ihre Kinder haben Probleme damit, oder sie bringen sie gleich mit, weil sie angeblich nur am Handy sitzen und spielen oder auf „BeReal“ oder „Snapchat“ unterwegs sind, weil sie meinen, sonst etwas zu verpassen.
Könnte Prävention nicht dafür sorgen, dass weniger Klienten zu Ihnen kommen?
Wir haben bei uns in der Beratungsstelle eine Fachstelle Suchtprävention angegliedert mit 30 Stunden pro Woche für den kompletten Landkreis Bautzen. Das ist viel zu wenig. Wir arbeiten mit Schulen und Unternehmen zusammen, teils regelmäßig. Oder wir reagieren punktuell auf Anfragen. Mit 30 Stunden können wir aber kein großes Präventionsprogramm aufstellen. Wir würden uns mehr Multiplikatoren wünschen. Das könnten beispielsweise Schulsozialarbeiter sein, die vor Ort selbst präventiv arbeiten.