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Der Falkenvater vom Elbsandstein

Ulrich Augst markiert schon 30 Jahre Wanderfalken in der Sächsischen Schweiz. Jetzt kommt er bei Arte ins Fernsehen.

Von Jörg Stock
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Einsatz am Titan-Felsen: Diese drei Wanderfalken gehören zu den letzten, die Artenspezialist Ulrich Augst (l.), hier assistiert von Andreas Knaak, in seiner Karriere beringt.
Einsatz am Titan-Felsen: Diese drei Wanderfalken gehören zu den letzten, die Artenspezialist Ulrich Augst (l.), hier assistiert von Andreas Knaak, in seiner Karriere beringt. © Mike Jäger

Mit Walkingstöcken kämpft sich Ulrich Augst voran. "Der Schnee ist schon weg", witzelt er, "deshalb habe ich keine Skier an." Zum Lachen ist das nicht. Ulrich Augst, der von klein auf ständig durch den Elbsandstein turnte, braucht heute Stützen dafür. Die Knochen machen nicht mehr, was sie sollen. Augst müsste nicht hier sein. Wanderfalken beringen ist ein Ehrenamt. Aber er hat das dreißig Jahre lang gemacht. Da will er die letzten paar Ringe nicht noch zurückschicken an die Vogelwarte. "Das wäre doch blöd."

Beringer war schon oft im Fernsehen

Blöd wäre das auch für das französische Kamerateam, das Ulrich Augst heute begleitet. Drei Männer, bepackt mit allerlei Technik, wollen filmen, wie er den Falkennachwuchs vom Kletterfelsen Titan im Bielatal beringt. Aus den Bildern soll eine Dokumentation werden, eine Auftragsarbeit für den Kultursender Arte. Die Vorbereitungen für den Dreh laufen schon seit einem Jahr.

Der Falkenfahrstuhl in Betrieb: Kletterer Mike Jäger zieht einen Rucksack auf den Gipfel des Titan, um darin junge Wanderfalken fürs Beringen zu verstauen.
Der Falkenfahrstuhl in Betrieb: Kletterer Mike Jäger zieht einen Rucksack auf den Gipfel des Titan, um darin junge Wanderfalken fürs Beringen zu verstauen. © Foto: SZ/Jörg Stock

Dem "Falkenvater" sind Filmkameras vertraut. Die Lizenz zum Beringen, die er seit 1994 besitzt, hat ihn bestimmt schon ein Dutzend Mal ins Fernsehen gebracht. Allein das Bergsportmagazin "Biwak" vom MDR war sechs- oder siebenmal da. Auch das ZDF hat ihm zugeschaut. Für Arte wurde er schon 2021 im Zittauer Gebirge, auf dem Oybin, beim Ringe Anpassen gefilmt.

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Und heute nun am Titan. Diesen Fels direkt an der Grenze zu Böhmen haben sich die Wanderfalken in den dreißig Jahren seit ihrer Wiederkehr zum ersten Mal ausgesucht fürs Eierlegen. Für Ulrich Augst, der potenzielle Nistplätze schon so lange ausspäht, eine überfällige Entscheidung. Ein schönes großes Loch ist das. "Ich frage mich, warum sie nicht schon eher dahin gegangen sind", sagt er. "In so einen Falkenkopf möchte ich mal reingucken."

Ulrich Augst (rechts) beringt in ganz Ostsachsen Wanderfalken. Hier ist er Anfang Mai im Plauenschen Grund in Aktion, begleitet vom Hobby-Ornithologen Norbert Kunschke.
Ulrich Augst (rechts) beringt in ganz Ostsachsen Wanderfalken. Hier ist er Anfang Mai im Plauenschen Grund in Aktion, begleitet vom Hobby-Ornithologen Norbert Kunschke. © Mike Jäger

Reingucken in die Falken kann Augst auch nach Jahrzehnten als Artenschutzfachmann nicht. Früher hat er immerhin direkt in die Brutplätze geschaut, hat die Vögel in ihrem Zuhause beringt. Das geht heute nicht mehr. Fürs Klettern hat Augst einen verbündeten Bergsteiger bei der Hand. Auch heute schnürt Mike Jäger aus Schmilka die Kletterschuhe, um den Jungfalken zum ersten Flug zu verhelfen, im Rucksack.

Jäger legt das Gurtzeug um. Von hinten wird er auf den Kopf des Titan steigen, um sich dann vorne abzulassen. Der Fels ist vielleicht dreißig Meter hoch. Etwa in der Mitte liegt das Ziel, ein weit in den Stein reichender Hohlraum mit einem ehemaligen Kolkrabennest darin. Das Loch ist so geräumig, dass man zwischenzeitlich dachte, die Brut wäre weg, womöglich vom Uhu geraubt. Doch die Kleinen hatten sich bloß verkrochen. Die schon abgeblasene Ring-Aktion rollte erneut an.

Blick in die Nisthöhle der Wanderfalken am Titan im Bielatal. Die Jungen, ein Weibchen und zwei Männchen, sind knapp dreißig Tage alt.
Blick in die Nisthöhle der Wanderfalken am Titan im Bielatal. Die Jungen, ein Weibchen und zwei Männchen, sind knapp dreißig Tage alt. © Mike Jäger

Wären die Kleinen gefressen worden, wäre das nur natürlich, aber dennoch ein empfindlicher Schlag für die Falkenpopulation im Elbsandstein gewesen. Die Zahl ausgeflogener Jungvögel ist seit Mitte der 2010er-Jahre deutlich gesunken. 2011 waren es noch dreißig gewesen, 2021 nur noch sieben, kaum mehr als zu Beginn der Wiederansiedlung des Wanderfalken.

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Als Ursache gilt die zunehmende Störung des Brutgeschäfts durch Menschen. Um die Bruten zu schützen, werden betroffene Klettergipfel zeitweise gesperrt. Diesmal sind es über vierzig. Auch das Freiübernachten in den zugelassenen Boofen ist während der Brutzeit ausgesetzt. Das Verbot tritt in diesem Jahr erstmals voll in Kraft - und gilt noch bis zum 15. Juni.

Am Fuß des Felsens beurteilt Ulrich Augst den Zustand der Falkenküken. Die Kamera von Augustine Viatte aus Frankreich ist mit dabei.
Am Fuß des Felsens beurteilt Ulrich Augst den Zustand der Falkenküken. Die Kamera von Augustine Viatte aus Frankreich ist mit dabei. © Mike Jäger

Ob es schon was gebracht hat? Andreas Knaak, Referent bei der Nationalparkverwaltung und heute Ulrich Augst Assistent, sagt, dass es für seriöse Einschätzungen noch zu früh ist. Zweifellos aber sei die letzten Jahre zu viel Trubel gewesen im Wald. An die fünfzig Leute in einer Boofe, Menschen, die mit lichtstarken Lampen durchs Dunkel tappen. Mit den bestehenden Freiheiten müsse verantwortungsvoll umgegangen werden, sagt er. "Das konnten zuletzt viele nicht mehr."

Mike Jäger steht inzwischen auf dem Gipfel und zieht den Rucksack nach. Augst hat den grauen Beutel seit den Siebzigern, damals gekauft bei den Tschechen. "Bei uns gab es ja keine." Von jeher benutzt er den Sack als Falkenfahrstuhl, weil darin ein kleiner Eimer als Schutzzelle für die Tiere Platz hat. Außerdem enthalten: ein dicker Draht mit gebogenem Ende. Ums Bein gehakt, lassen sich damit Küken auch aus den tiefsten Löchern angeln.

Der Ausweis sitzt: Mithilfe von Ringen lassen sich das Verhalten der Vögel und die Strukturen des Bestands erforschen.
Der Ausweis sitzt: Mithilfe von Ringen lassen sich das Verhalten der Vögel und die Strukturen des Bestands erforschen. © Mike Jäger

Die Objektive der Kameras sind Jägers Aufstieg gefolgt. Nun warten sie ab, was er von der anderen Seite mitbringt. Juan Rodriguez ist der Regie-Assistent. Knapp zwei Wochen Dreharbeit plant er in der Sächsischen Schweiz. Zentrum der Dokumentation soll die Basteibrücke werden. Die Idee ist, erzählt er, vom Kulturdenkmal aus die Natur mit ihren Akteuren zu erkunden. Arte wünscht sich eine ganze Serie von Filmen dieser Art, mit Schauplätzen in ganz Europa. Zehn Episoden soll es insgesamt geben. Gesendet wird wohl kommendes Jahr.

"Ohne Ring sind sie schöner"

Der Kletterer ist kaum entschwunden, da schießt von der anderen Talseite ein Falke heran, laut zeternd. Es ist das Weibchen, das seine Brut verteidigt. Das Männchen schließt sich der Attacke an. Ulrich Augst freut es. So weiß er genau, dass im Nistplatz noch Leben ist. "Sonst würden die das nicht machen." Die Vögel stoßen hernieder, was dann passiert, verdeckt der Fels. Augst denkt an einen Schnabelhieb, den er selbst einst kassierte. "Das tut weh, kann ich dir sagen."

Vom Gebirge in die Stadt: Einen Tag nach der Aktion am Titan sind auch diese Wanderfalken auf einer Esse in Dresden-Großluga beringt.
Vom Gebirge in die Stadt: Einen Tag nach der Aktion am Titan sind auch diese Wanderfalken auf einer Esse in Dresden-Großluga beringt. © Mike Jäger

Zurück am Boden blutet Mike Jäger die Hand. Nicht vom Angriff der Alttiere, sondern von den Krallen der Jungen. Ihre Füße sind bereits voll ausgebildet, ebenso Köpfe und Schnäbel. Ulrich Augst stellt fest, dass es sich bei den Daunenknäueln im Rucksack um ein Weibchen und zwei Männchen handelt. Weibchen sind größer, wiegen etwa zweihundert Gramm mehr.

Bedächtig greift er sich ein Tier nach dem anderen und legt ihnen die amtlichen roten Ringe an. Es sind für ihn die beinahe letzten Handgriffe dieser Art. Nächste Saison werden die Ringe alle sein. Dann ist auch für ihn Schluss. "Man kann doch nicht sein ganzes Leben den armen Viechern Blech um die Füße machen." Wieder ein Witz, der ernst gemeint ist. Auch wenn er vielleicht schon 1.200 Vögel beringt hat in seiner Karriere: Ohne Ring sind sie ihm lieber. Dann sind sie "unbenutzt", sagt er. "Dann sind sie schöner."