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Unterwegs mit den Straßenmeistern der Elbe

Auch wenn auf der Elbe weniger Güterschiffe fahren, muss die Fahrrinne frei gehalten werden. Unterwegs mit einem Peilschiff des Schifffahrtsamtes.

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Holger Weise vom Wasserstraßen- und Binnenschifffahrtsamt fährt seit mehr als 40 Jahren auf der Elbe. An diesem Tag steuert er das Peilschiff MS Biela. Mit seinem Kollegen Niklas Müller vermisst er die Tiefe der Fahrtrinne.
Holger Weise vom Wasserstraßen- und Binnenschifffahrtsamt fährt seit mehr als 40 Jahren auf der Elbe. An diesem Tag steuert er das Peilschiff MS Biela. Mit seinem Kollegen Niklas Müller vermisst er die Tiefe der Fahrtrinne. © Jürgen Lösel

Von Thomas Schade

Auf den ersten Blick ist der Kurs der MS Biela rätselhaft. An der Brücke bei Niederwartha schwimmt das Motorschiff langsam elbabwärts, wendet am Flusskilometer 70, tuckert 700 Meter stromaufwärts, um am Kilometer 69,3 wieder zu wenden. Das seltsame Manöver wiederholt sich mehrmals.

Elbkapitäne wissen, dass sie an Sachsens erster Schrägseilbrücke eine neuralgische Stelle durchschiffen. In dem engen Bogen lagert sich von Zeit zu Zeit Geschiebe ab – Gestein und Geröll, das der Fluss mitführt. Das Geschiebe kann Schotterbänke bilden. Die MS Biela kontrolliert, ob hier unter Wasser eine Gefahr für die Schifffahrt entsteht. Das knuffige kleine Schiff ist das Peilboot des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes (WSA) Dresden. Die Besatzung kontrolliert hier regelmäßig, wie tief der Fluss und die Fahrrinne sind.

An diesem Tag Ende August sind Holger Weise und sein jüngerer Kollege Niklas Müller mit der MS Biela unterwegs. Um sieben Uhr früh haben sie den Pieschener Hafen verlassen. Die Aufgaben an Bord sind klar verteilt. Der Ältere ist der Schiffsführer, der Jüngere, Binnenschiffer von Beruf, ist als Matrose unterwegs und wird später peilen. Mit an Deck ist Grit Ernst, zuständig für den Einsatz der kleinen Flottille.

Die MS Biela sei nicht das Flaggschiff des Amtes, sagt sie. Der Schwimmgreifer Meißen und der Schlepper Dresden seien länger und breiter. Beide seien gerade an der Mündung des Mühlgrundbaches bei Schöna im Einsatz, um das Geröll des letzten Unwetters zu beräumen. Die Biela sei aber trotz ihrer 20 Dienstjahre noch vielseitig einsetzbar. Sie wurde als Arbeits- und Aufsichtsboot in einer Traditionswerft in Brandenburg gebaut, hat nur etwa 70 Zentimeter Tiefgang und kann mit ihrer 200-PS-Maschine schleppen und schieben. Mit ihr werden Tonnen gesetzt und gereinigt. Sie lotst Schubverbände, macht Inspektionsfahrten und peilt.

Binnenschiffer Niklas Müller zeigt, wie man vor 30 Jahren in der Elbe peilte. Die Holzstangen sind immer an Bord.
Binnenschiffer Niklas Müller zeigt, wie man vor 30 Jahren in der Elbe peilte. Die Holzstangen sind immer an Bord. © Jürgen Lösel

Auf dem Weg zum Einsatzort inspiziert Grit Ernst aufmerksam das Ufer. Bei den Übigauer Elbauen nahe der Autobahnbrücke zeigt sie am Nordufer auf den erhaltenen Treidlerpfad, auf dem einst die Männer, die man Bomätscher nannte, die Schiffe mit ihrer Muskelkraft voranzogen. Weniger der alte Weg weckt ihr Interesse. Ernst verfolgt das gemauerte Bett der Elbe. „Hier sieht es gut aus“, stellt sie fest, „hätte die Strömung Steine herausgespült, müssten wir reparieren.“

Nach der Lößnitzmündung, am Flusskilometer 66, tauchen die ersten Buhnen auf. Eher unscheinbar und mit Gras bewachsen, werden sie sichtbar, wenn der Flusspegel sinkt. Bis zum Radebeuler Hafen regulieren hier mehr als 20 solcher Buhnen den Fluss. Die Wasserbauwerke sind 100 Jahre und älter. In Sachsen habe es bereits 1760 zwei Wasserbaudirektoren gegeben, die ihren Sitz in Dresden und Magdeburg hatten, sagt Klaus Kautz, der Sprecher des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes. Ab 1866 habe man am Elbkilometer 121,8 bei Strehla mit dem Bau von Buhnen an beiden Ufern begonnen. „Damit wurde für den Stromlauf ein festes unverrückbares Bett geschaffen. Das war für die Schifffahrt von Bedeutung, aber auch für die gefahrlose Abführung von Eis und Hochwasser.“

Eine Eisenkette von Hamburg bis Usti am Grund der Elbe

Im 19. Jahrhundert versuchten die Menschen, die Elbe mit mehr als 5.000 Buhnen zu regulieren. Zudem wurden auf etwa 140 Kilometern sogenannte Deck- und Parallelwerke aufgeschüttet. So wurde der Fluss bei mittlerem Wasserstand für immer größere Fahrzeuge schiffbar. Es war die große Zeit der Güterschifffahrt. Sichere Winterhäfen seien gebaut worden. Mit Dampfbaggern wurde eine Fahrrinne ausgehoben und nach regelmäßigen Peilungen gekennzeichnet.

Ab 1874 lag von Hamburg bis Usti eine Eisenkette auf der Elbsohle, an der sich Kettenradschlepper flussaufwärts zogen. Waren um 1840 Elbkähne unterwegs, die bis zu 150 Tonnen trugen, so zogen 1890 Kettenradschlepper 900-Tonnen-Kähne bergwärts. „Damit konnte sich die Schifffahrt gegen die aufkommende Eisenbahn behaupten“, sagt Klaus Kautz.

Nach 1918 sei begonnen worden, die Elbe so auszubauen, dass sie als internationale Wasserstraße auch bei Niedrigwasser schiffbar blieb. „Ziel war es, bei niedrigem Pegel die Sandbänke zu verkleinern, die die Schifffahrt behinderten, und die Fahrrinne zu stabilisieren.“

Flusslandschaften gewinnen immer mehr an Bedeutung

Von der MS Biela aus beobachtet Grit Ernst auch, was an den Elbufern wächst. Weiden, Eschen, Robinien, Eichen. Was anfangs nur Gebüsch ist, wird relativ schnell zu starken Stämmen. Mehr als 1.300 Pflanzenarten sind an der Elbe nachgewiesen. Die naturkundliche Erforschung der Elbe führte dazu, dass der Fluss fast auf seiner gesamten Länge zum FFH-Vogelschutzgebiet erklärt wurde. 400 Flusskilometer gehören zum Unesco-Biosphärenreservat „Flusslandschaft Elbe“. Diese Flusslandschaften gewinnen immer mehr an Bedeutung. „Wir müssen quasi für jeden Baum, den wir am Ufer fällen, die Zustimmung der Umweltbehörden einholen“, sagt Grit Ernst. Dazu gebe es regelmäßig Absprachen, wo und in welchem Maß man in die Natur der Elbufer eingreifen dürfe.

Am Flusskilometer 70 drosselt Schiffsführer Holger Weise die Maschine. Mithilfe des GPS steuert er die MS Biela zum Ausgangspunkt der nächsten Peilung. Auf einem der Monitore ist die Flusskarte zu sehen. Der zweite Bildschirm ist mit dem Laptop von Niklas Müller verbunden, der hinter dem Schiffsführer an einem kleinen Pult sitzt. Auf dem Computer läuft „Profil 2000“, eine Software, mit der Bodenprofile vermessen, grafisch dargestellt und dokumentiert werden können. Gepeilt wird mit einem Echolot, das sich am Rumpf des Schiffes befindet und seine Signale zum Laptop sendet, erklärt Niklas Müller.

Die MS Biela ist trotz ihrer 20 Dienstjahre noch vielseitig einsetzbar.
Die MS Biela ist trotz ihrer 20 Dienstjahre noch vielseitig einsetzbar. © Jürgen Lösel

An diesem Tag führen die Männer eine sogenannte Drei-Linien-Peilung durch. Sie vermessen den rechten und den linken Rand sowie die Mitte der Fahrrinne – in diesem Fall auf einer Länge von 700 Metern. Die Peilung bezieht sich auf den aktuellen Wasserstand der Pegel Schöna und Dresden. Ist der Wasserstand unter 2,80 Metern, werden die bekannten neuralgischen Punkte der Elbe zweimal monatlich gemessen. Liegt der Pegel darüber, nur einmal. Die Ergebnisse der Peilung werden in das Elektronische Wasserstraßen-Informations-System (ELWIS) eingepflegt. Elbschiffer können es abonnieren und auf diese Weise immer die aktuellen Wasserstände und Tauchtiefen abrufen.

Ziel aller Arbeiten sei es, „ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Abfluss, Wasserstand und Geschiebedurchfluss in der Elbe herzustellen“, sagt Amtssprecher Klaus Kautz. Er nennt das „Flussbaukunst“. Denn Wasserbauer baggern und schütten in einem sensiblen Umfeld. Spätestens seit dem Jahrhunderthochwasser vom August 2002 ist die Elbe Zankapfel zwischen Verkehrswirtschaft und Naturschutz.

Naturschützer verweisen auf das einzigartige Ökosystem, das an der Elbe erhalten sei, auf sinkende Tonnagen, die auf dem Fluss bewegt werden, und auf mehr als 300 Millionen Euro, mit denen es nicht gelungen sei, einen durchgängigen Pegel von 1,60 Metern bei Niedrigwasser zu gewährleisten.

Wirtschaftverbände führen die fast 200-jährige Bedeutung der Elbe als Wasserstraße ins Feld. Dafür müsse eine verlässliche Mindestfahrwassertiefe gewährleistet sein, mit der die Elbe gegenüber der Straße und der Schiene wettbewerbsfähig bleiben könne. Dennoch beschloss die rot-grüne Bundesregierung 2002 einen Ausbaustopp der Elbe. 2017 verabschiedeten Bund und Länder ein „Gesamtkonzept Elbe“. Auch das verbietet quasi den Ausbau zur Verbesserung der Schifffahrtsbedingungen.

Wasserstraßen- und Binnenschifffahrtsamt

Seit März 2021 gibt es das neuen Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Elbe (WSA), zu dem auch die Dresdner Dienststelle gehört. Das WSA Elbe ist das Größte von insgesamt 17 Ämtern.

Wasserstraßen- und Binnenschifffahrtsamt

Verwaltet werden 600 Kilometer Elbe von Schöna bis Hamburg einschließlich der Saale und Ilm, das Kreuz Magdeburg, der Elbe-Lübeck-Kanal, die Müritz-Elde-Wasserstraße und die Störwasserstraße.

Wasserstraßen- und Binnenschifffahrtsamt

Zu unterhalten sind die Kanalbrücke Magdeburg, 47 Schleusenkammern, 51 Wehranlagen, rund 260 km Dämme und Deiche, 7.000 Flussbuhnen sowie jeweils fünf Leitzentralen und Pumpwerke.

Wasserstraßen- und Binnenschifffahrtsamt

Aufgaben sind unter anderem die Unterhaltung der Wasserbauwerke und Schifffahrtsanlagen, das Setzen der Schifffahrtszeichen sowie die Gefahrenabwehr und die Verkehrsregelung.

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In dieser Gemengelage sucht eine „Projektgruppe Gesamtkonzept Elbe“ im WSA nach der Quadratur des Kreises. „Die Schifffahrt auf der Elbe soll verlässlich möglich sein, und die Grundlagen des Naturhaushalts sollen weiterentwickelt und verbessert werden“, sagt Klaus Kautz. Dennoch glaubt er, dass es auf der Elbe auch in zehn Jahren noch Güterschifffahrt geben wird. Binnenschiffe und Wasserstraßen blieben die umweltfreundlichsten Verkehrsträger. Außerdem werde die Klimadiskussion „zu positiven Konsequenzen für die Schifffahrt führen“.

Auf diesem politischen Minenfeld baggern und schütten die Wasserbauer. 2020 holten sie dort, wo die Schifffahrt im sächsischen Elbebereich behindert war, etwa 20.000 Kubikmeter Sand und Kies aus dem Fluss. „Das Material wurde der Elbe in der Erosionsstrecke unterhalb von Torgau wieder zugegeben“, sagt Kautz. Im Hafen von Mühlberg werden derzeit etwa 21.000 Kubikmeter Schlamm aus dem Fluss geholt, die er in 30 Jahren angeschwemmt hat.

Schiffsverkehr 2021: Schubverbände wie dieser aus Prag sind zum Hingucker geworden und kaum noch zu sehen.
Schiffsverkehr 2021: Schubverbände wie dieser aus Prag sind zum Hingucker geworden und kaum noch zu sehen. © Jürgen Lösel

An Sachsens erster Schrägseilbrücke bei Niederwartha hat die MS Biela ihre Arbeit getan. Holger Weise beschleunigt und fährt bergan. Seit 45 Jahren fährt er auf der Elbe, hat als Wasserbauer 1976 begonnen. Heute ist er einer der erfahrensten Schiffsführer des WSA. Unterwegs erzählt der 63-Jährige, wie früher vom Wasser aus schwere Steine mit der Hand geworfen wurden, um die Ufer zu befestigen.

Dann zeigt Niklas Müller, was passiert, wenn moderne Peiltechnik streikt. Er holt eine lange Stange vom Hinterschiff und lässt sie zu Wasser. Bis zur Höhe von drei Metern ist alle zehn Zentimeter eine Kerbe ins Holz gehauen, und Zahlen sind eingeschnitzt. Noch vor 30 Jahren sei so gemessen worden, erzählt er. Die hölzerne Peilstange sei bis heute an Bord. „Das ist unser Plan-B“, sagt Grit Ernst. Den braucht man, wenn man auf der Elbe unterwegs ist.

Weitere Teile der Serie:

  • 1. Was von den Elbeschiffern blieb: Ein Besuch im Traditionsverein „Fortuna“ in Postelwitz.
  • 2. Die Straßenmeister des Stromes. Unterwegs mit dem Peilboot des Wasserstraßenamtes Dresden.
  • 3. Ein Date mit „Waltraut“. Heiko Loroff über den Alberthafen im Wandel der Zeiten.
  • 4. Das kleine Elbedorf Brockwitz schützt sich vor Hochwasser - auf verrückte Weise.
  • 5. Goldschmiede vergangener Tage. Wie vom Ruderclub „Neptun“ 1882 Olympiasieger kamen.
  • 6. Im Biberhof bei Torgau. Warum Gottfried Kohlhase auch mit 85 Jahren noch für die Nager lebt.