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Detektivarbeit in Sachsens Völkerkundemuseen: Kann man Raubkunst noch zeigen?

In Kolonien wurde geplündert und geraubt. Manches landete in ethnologischen Museen. Wie geht man in Dresden, Herrnhut oder Radebeul damit um?

Von Christina Wittig-Tausch
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Sachsens ethnologische Museen wollen auch mehr auf die Gegenwart blicken. Im Karl-May-Museum Radebeul ist moderne indigene Kunst zu sehen: "Mindians" heißt das Bild von Steven Paul Judd.
Sachsens ethnologische Museen wollen auch mehr auf die Gegenwart blicken. Im Karl-May-Museum Radebeul ist moderne indigene Kunst zu sehen: "Mindians" heißt das Bild von Steven Paul Judd. © Foto: SZ/Veit Hengst

Es war ein Tag wie so viele im Leben des deutschen Kolonialoffiziers Valentin von Massow. Am 3. Dezember 1896, dem vierten Tag der Militärexpedition gegen das Königreich der Dagomba, brach er um 5.14 Uhr mit seinen Leuten von ihrem Lager in der deutschen Kolonie Togoland auf. Um 6.27 Uhr passierten sie Lifufu, „das ich gestern Nachmittag noch hatte plündern und niederbrennen lassen.“ Um 10.25 Uhr erreicht der Trupp das Dorf Marairi, das die Bewohner verlassen haben: „Wird niedergebrannt, bewirkt Halt von 20 Minuten. 11.30 Ankunft Laganja, auch leer“. Auch diese Siedlung wird geplündert und niedergebrannt.

So geht es weiter. Eine Strecke von rund 100 Kilometern im heutigen Ghana im Westen Afrikas wird in zwölf Tagen zu einer Schneise aus Trümmern. Bei der alten Königsstadt Yendi kommt es zum Gefecht: Massows Trupp mit gut 200 Bewaffneten, in der Mehrheit einheimische Soldaten, traf auf 7.000 Dagomba. Bewaffnet waren sie mit Speeren, Pfeil und Bogen, Vorderladern. Gegen die modernen Hinterlader mit ihrer größeren Reichweite hatten sie keine Chance. In kurzer Zeit lagen Hunderte tote Dagomba-Soldaten auf dem Schlachtfeld. Die Stadt und weitere Siedlungen wurden zerstört. Wenig später schrieb Massow, er habe bei diesem Einsatz kaum Zeit gehabt, sei aber zufrieden mit der Beute. Darunter befand sich die Kopfbedeckung eines unbekannten, vermutlich aber hochrangigen Dagomba: Eine wattierte Leinen-Kappe mit Schutzamuletten daran.

Diese Kopfbedeckung befindet sich heute im Grassi Museum für Völkerkunde in Leipzig. Sie liegt dort mit vielen anderen Stücken, die sich von Massow angeeignet hatte bei „Militärexpeditionen“ oder auch „Strafexpeditionen“ gegen Ethnien, die nicht unter deutschen „Schutz“ gestellt werden wollten. 1899 starb er mit 35 Jahren an Schwarzwasserfieber.

Nach seinem Tod fanden zwei Versteigerungen statt. Weitere Objekte bot seine Mutter Völkerkundemuseen zum Kauf an. Die Kappe, Nummer MAf 00853, liegt heute im Depot. Einen Rückgabeantrag gibt es bislang nicht. Es ist dennoch ungewiss, ob sie hierzulande noch einmal öffentlich zu sehen sein wird.

Die Kopfbedeckung aus Togo ist kein Einzelfall. Sondern Teil eines Problems. Die deutschen Völkerkundemuseen, die sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründeten, sind voll mit „toxischen Objekten“, sagt Léontine Meijer-van Mensch, die Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen. Dazu gehören die drei Völkerkundemuseen in Dresden, Leipzig und Herrnhut. Viele der Objekte wurden früher mit Arsen und Schädlingsmitteln behandelt, um sie zu konservieren. Giftig sind auch die Herkunftsgeschichten mancher Objekte, die sogenannte Provenienz. Wie viele Objekte das betrifft, wird derzeit verstärkt erforscht.

Léontine Meijer-van Mensch leitet die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen, zu denen die Völkerkundemuseen in Leipzig, Dresden und Herrnhut gehören.
Léontine Meijer-van Mensch leitet die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen, zu denen die Völkerkundemuseen in Leipzig, Dresden und Herrnhut gehören. © kairospress

Es ist eine gewaltige Aufgabe, dies herauszufinden. Das völkerkundliche Trio bildet die zweitgrößte ethnologische Sammlung in Deutschland: 200.000 Objekte befinden sich in Leipzig, 90.000 in Dresden, 10.000 in Herrnhut. Hinzu kommen Tausende Fotografien aus kolonialen Zeiten. Der größte Teil liegt in den Depots. Vor allem in Dresden ist das so, das seit vielen Jahren nur noch eine sehr begrenzte Ausstellungsfläche im Japanischen Palais hat. Neben diesen Schwergewichten gibt es in Sachsen wenige kleine ethnologische Sammlungen, beispielsweise im Naturalienkabinett Waldenburg oder im Karl-May-Museum in Radebeul. Das Hygienemuseum in Dresden schätzt 45 Objekte als problematisch ein, vor allem Fotos.

Jahrzehnte wurden Geschichten wie die der Kappe kaum erforscht. Koloniales Unrecht war eher selten ein Thema in Bildungseinrichtungen. Ab 1956 bis in die späten 70er-Jahre aber gestaltete das Völkerkundemuseum Dresden Hunderte kleine Ausstellungen, die koloniales Unrecht thematisierten. Sie waren in Schulen, in Betrieben oder Kaufhaus-Schaufenstern zu sehen. Eine der ersten trug den Titel „Was ist der Mensch wert?“

Viele ethnologische Museen in Ost wie West bemühten sich nach dem Zweiten Weltkrieg, durch Ausstellungen den Blick für die kulturelle Vielfalt dieser Welt zu weiten und deren Wertschätzung zu ermöglichen. Diese Weite hatte jedoch Grenzen. Dazu hat unter anderem die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in den letzten Jahren viel publiziert. Die Anfragen aus Herkunftsländern nach dem Verbleib von Raubkunst und nach Rückgaben wurden offenbar in vielen Fällen langsam, ablehnend oder gar nicht beantwortet. In Deutschland und in Europa betrachteten die politischen Entscheidungsträger diese Güter als rechtmäßigen Staatsbesitz.

Arbeiten wie ein Detektiv

Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Einige Staaten begannen, sich aktiv bei Regierungen um die Rückgabe von Gebeinen oder Kulturobjekten ihrer indigenen Einwohner zu bemühen. Die Black Lives Matter-Bewegung und die Diskussionen um die Gestaltung des Humboldt-Forums in Berlin setzten weitere Impulse. Nach Nationalsozialismus und DDR wird nun auch die Provenienzforschung von Raubgut aus kolonialen Zusammenhängen stärker gefördert.

Als besonders brisant gilt heute aus deutscher Sicht das Zeitalter der deutschen Kolonien. Das betrifft ungefähr die Zeit zwischen den Gründungen in den Jahren nach 1880 und dem Ersten Weltkrieg. Dazu gehörten Länder in Afrika, im pazifischen Raum sowie China. Es kam zu Kriegen und Genoziden. Anschließend traten Kisten mit Kunsthandwerk, Alltagsobjekten, Mitbringseln von Märkten und menschlichen Überresten die Reise nach Europa an, wo sie gesammelt, getauscht oder verkauft wurden. Ernst Friedrich Gütschow, Generaldirektor einer Dresdner Zigarettenfabrik, kaufte eine Fülle an ethnologischen Objekten und schenkte sie dem Dresdner Völkerkundemuseum. Im Gegenzug erhielt er den Sächsischen Albrechtsorden, von dem er sich mehr gesellschaftliches Prestige erhoffte.

In Leipzig verfünffachte Karl Weule, Museumsdirektor seit 1907, die Bestände, darunter durch Beute aus Kriegen in Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika, in deren Folge wohl über 200.000 Afrikaner starben. Aber auch vor und nach der deutschen Kolonialzeit gab es Fälle von Aneignung durch deutsche Kaufleute, Missionare, Militärs, Kolonialbeamte und Wissenschaftler.

Das Aufdecken der Umstände ist Detektivarbeit. Manche lassen sich nicht mehr aufklären, weil sie schlecht oder gar nicht dokumentiert wurden. In Zeiten von knappen Geldern ist es schwierig, Tausende von Provenienzen erforschen zu lassen. Und: Was war und ist legal, wo wurden Grenzen überschritten?

Im Grassi Museum für Völkerkunde in Leipzig stellen Provenienzforscher ihre Arbeiten vor. Man kann ihnen dabei zugucken und mit ihnen sprechen.
Im Grassi Museum für Völkerkunde in Leipzig stellen Provenienzforscher ihre Arbeiten vor. Man kann ihnen dabei zugucken und mit ihnen sprechen. © Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Tom Dachs

Forschern über die Schulter gucken

Die Museen in Leipzig und Dresden haben in den vergangenen zwei Jahren einen Teil ihrer Togo-Sammlung untersucht. Gefördert wurde das Projekt vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, das online sehr viele Informationen rund um das Thema koloniales Raubgut zur Verfügung stellt. Die Wissenschaftler, darunter drei aus Afrika, befassten sich mit der Geschichte von 700 Objekten und acht Sammlern. Dafür wühlten sie sich durch Archive und knüpften Kontakte zu Nachfahren und Forschern in der ganzen Welt. Die Ergebnisse stehen im Internet im Abschlussbericht und in der Online Collection der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Die Forschung konnte man auch im Museum in Leipzig verfolgen, in dem neu gestalteten Teil, der sich mit der Aufarbeitung kolonialer Geschichte befasst. Dort stellen Forscher ihre Erkenntnisse vor. Zum Teil kann man ihnen über die Schulter gucken, wie sie an einem Objekt arbeiten, und mit ihnen sprechen. Denn zu den wichtigsten Grundsätzen bei der Neuausrichtung gehört für Direktorin Léontine Meijer-van Mensch Transparenz.

Das sei jedoch eine Gratwanderung. Auf der einen Seite wolle man durch Offenheit die Auseinandersetzung mit einem lange verdrängten Kapitel der deutschen Geschichte fördern, ebenso den Dialog mit den sogenannten Herkunftsgesellschaften. Es klingt nach einer anspruchsvollen und schönen Vision, wenn sie sagt, dass die Welt dadurch vielleicht „zu einem gerechteren Miteinander“ finden könne.

Andererseits sollen Unrecht und Herabwürdigung beim Umgang mit Objekten und Fotos nicht weitergehen. Aus diesem Grund denken die Museen intensiv nach, wie und wo man sie zeigt. Die Kappe des Dagomba-Kämpfers ist im Internet nur als Aquarell zu sehen, zahlreiche Stücke aus Togo gar nicht. Stattdessen taucht ein Platzhalter auf: Eine weiße Fläche mit den Umrissen einer mythischen Figur und dem Vermerk, dass dieses Objekt aus ethischen Gründen nicht gezeigt wird. Die am Projekt beteiligten afrikanischen Wissenschaftler haben darum gebeten, ebenso Nachfahren. Vermutlich war die Kappe für den Besitzer etwas Persönliches, Spirituelles, von dem er sich nicht freiwillig getrennt hätte. Zudem steht die Kopfbedeckung für ein Trauma, an das bis heute in der Region erinnert wird.

Die Kopfbedeckung des unbekannten Dagomba-Kriegers ist weder im Museum noch im Internet als Foto zu sehen, sondern als Aquarell.
Die Kopfbedeckung des unbekannten Dagomba-Kriegers ist weder im Museum noch im Internet als Foto zu sehen, sondern als Aquarell. © Staatliche Kunstsammlungen Dresd

Um die Sprache der Kolonialzeit mit ihrer latenten Herabwürdigung nicht fortzuführen, setzen sich die Forscher mit ihrer eigenen Wortwahl auseinander. Wie schwierig das ist, erahnt man schon beim Wörtchen „Sammler“. Valentin von Massow wird als solcher geführt, ebenso die Militärs Hans Gruner und Gaston Thierry. Gruner tötete einen Priester, um jeden Gedanken an Widerstand zu verhindern, und sandte den Kopf nach Berlin. Thierry raubte im Namen des Deutschen Reiches so hemmungslos, dass er 1905 Gegenstand einer Reichstagsdebatte wurde. Es war nicht das einzige Mal, dass der Reichstag Diebstahl, Machtmissbrauch, sexuelle Gewalt und Morde durch deutsche Kolonialisten thematisierte.

Im Leipziger Völkerkundemuseum ist von den Bemühungen, die koloniale Vergangenheit aktiv anzugehen, bislang am meisten öffentlich zu sehen. In Herrnhut wird derzeit daran gearbeitet. Ein erster Teilbereich zu den Entdeckungsfahrten James Cooks ist seit kurzem wieder zugänglich. In Planung ist ein Bereich mit einer kritischen Betrachtung der Mission der Herrnhuter Brüdergemeine. Neben den Leistungen werden dunkle Kapitel wie die Haltung von Sklaven beleuchtet. Spätestens 2026 soll das Museum wieder komplett geöffnet sein. Die Neukonzeption des Dresdner Museums soll bald folgen.

Blick in die Zukunft: Das Völkerkundemuseum Herrnhut überarbeitet seine Ausstellung. Ein Teilbereich wurde gerade geöffnet. Dort geht es um die Entdeckungsfahrten von James Cook.
Blick in die Zukunft: Das Völkerkundemuseum Herrnhut überarbeitet seine Ausstellung. Ein Teilbereich wurde gerade geöffnet. Dort geht es um die Entdeckungsfahrten von James Cook. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Die Veränderungen in Leipzig und Herrnhut zeigen: Es ist kein einfacher, aber ein spannender Prozess. Eine heftige Debatte entbrannte um die Büste von Karl Weule. 2019 brachte Léontine Meijer-van Mensch sie ins Depot, 2022 wurde der Sockel bei einer Kunstaktion zerstört. Manchen Besuchern geht der Umgang mit der kolonialen Vergangenheit dennoch nicht weit genug. Andere möchten das Museum behalten, das sie seit Jahrzehnten schätzen, und einfach nur etwas über Kulturen, ihre Ideenwelten und ihre Kunst erfahren.

Manche Kritiker fragen, wie Menschen heute den Kolonialismus verstehen lernen sollen, wenn nach den Schädelsammlungen nun vielleicht immer mehr Objekte und Fotos nicht mehr gezeigt werden. Umstritten ist überdies, wie es mit den Rückgaben weitergeht. Der Restitution der ersten Benin-Bronzen an Nigeria 2022 folgte eine Debatte, ob man Rückgaben nicht besser vorbereiten oder an Bedingungen knüpfen solle. Beispielsweise die, dass solche Objekte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Der Staat Nigeria hatte nach der Rückgabe die Eigentumsrechte an die Königsfamilie übertragen, der die Bronzen einst gehört hatten.

Petra Martin vom Völkerkundemuseum Dresden, verantwortlich für die Asien-Sammlungen, erzählt von ihrer Reise 2018 zur indonesischen Insel Nias. Dort stellte sie die Nias-Objekte des Museums vor, darunter Ahnenfiguren. Vor der Christianisierung standen solche geschnitzten Figuren in vielen Haushalten. Die Ahnen wurden um Schutz gebeten. Ob die Figuren legal gekauft oder unter Zwang abgegeben wurden, ist ungeklärt. In Nias diskutierte Petra Martin auch darüber, was damit vielleicht geschehen solle.

Petra Martin aus dem Völkerkundemuseum Dresden ist verantwortlich für die Asien-Sammlungen.
Petra Martin aus dem Völkerkundemuseum Dresden ist verantwortlich für die Asien-Sammlungen. © kairospress

„Manche Leute sagten: Sie müssen zurück. Andere meinten: Zum Glück habt ihr sie bewahrt, denn hier wären sie vermutlich nicht erhalten geblieben.“ Petra Martin, die seit 40 Jahren im Dresdner Völkerkundemuseum arbeitet, ist hin- und hergerissen. „Als Museumsmensch will ich die vielen außergewöhnlichen Objekte gern erhalten für künftige Generationen“, sagt sie. In Nias gebe es kaum Geld für das Konservieren. Klima und Insekten setzen den Stücken zu. Die Worte des dortigen Museumsdirektors hätten sie nachdenklich gemacht: „Solange die Nias-Kulturzeugnisse ausgestellt werden, erfüllen sie auch einen Sinn in Deutschland. Sollten sie nur im Depot sein, dann sind sie besser in Nias aufgehoben.“

Viele Besucher der Ethnographischen Sammlungen fragen, ob in den Museen etwas übrig bleiben wird. „Es wird viel übrig bleiben“, meint Léontine Meijer-van Mensch. „Es sind sehr viele Objekte. Nicht alles ist Raubgut, es gab auch legale Käufe und Schenkungen. Manche Objekte werden vielleicht als Leihgaben hierbleiben können.“ Überlegt werde außerdem, ob man im Gegenzug zu Restitutionen mehr zeitgenössische Kunst aus den Herkunftsländern zeigen kann.

Vielleicht lassen sich Geschichte und Gegenwart doch zusammenführen. Das Museum in Herrnhut spricht im Zuge der Neukonzeption viel mit Besuchern. Diese zeigen sich meist nicht so sehr an der Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit interessiert. Sondern am Schicksal des Schlittenhundegespanns der Inuit. Die vier ausgestopften Hunde stehen seit 1913 in Herrnhut. Inzwischen sind sie in einem so schlechten Zustand, dass Körperteile abzufallen drohen. Es ist noch nicht geklärt, ob sie restauriert werden können oder zu sehen sind als Nachbildung oder digitale Projektion. Aber auftauchen sollen sie, als Teil eines neuen Bereichs, der dem Leben der Inuit zwischen Kolonialzeit und Klimawandel nachspürt.

Karl-May-Museum Radebeul: Darf man noch Indianer sagen?

Robin Leipold ist Wissenschaftlicher Direktor des Karl-May-Museums in Radebeul. Das Museum befasst sich nicht nur mit dem Schriftsteller, sondern mit der Geschichte der Indianer Nordamerikas.
Robin Leipold ist Wissenschaftlicher Direktor des Karl-May-Museums in Radebeul. Das Museum befasst sich nicht nur mit dem Schriftsteller, sondern mit der Geschichte der Indianer Nordamerikas. © Foto: SZ/Veit Hengst

Es ging manchmal ziemlich rund in Radebeul zwischen Karl Mays Witwe Klara und Patty Frank, dem exzentrischen Sammler, Artisten und Fan des Wilden Westens. Sie lebte vorn in der Schriftstellervilla, er seit 1926 hinten im Blockhaus. In einem Anbau wurde 1928 das Museum gegründet. Für die Wohnmöglichkeit hatte er seine Sammlung mit indigenen Objekten Nordamerikas übereignet.

Das Sammeln ging danach weiter. Klara May interessierte sich mehr für die verschiedenen Kulturen und für die Geschichte der Frauen. Patty Frank bevorzugte kämpferische Aspekte. Das Diorama eines friedlichen Indianerdorfs ließ er ohne Rücksprache durch ein Gemälde heranrasender Krieger verzieren und nannte es „Heimkehr von der Schlacht“. Klara May fand das nicht so gut. Die Hitlerjungs, die das Museum besuchten, wohl schon.

Die fragwürdige Herkunft von Objekten ist auch im Karl-May-Museum ein Thema. Patty Frank sammelte Skalps, die begehrt und teuer waren. Ein Skalp, also ein Teil der Kopfhaut eines getöteten Gegners mit Haaren, diente dem Museum einst als Logo. Die 20 Skalps werden nicht mehr gezeigt. Einer wurde zurückgegeben.

Robin Leipold, der Wissenschaftliche Direktor, will die Geschichte des Skalpierens und die Besessenheit vieler Sammler dennoch in Zukunft zum Thema machen. Ebenso wie die Faszination der unterschiedlichsten Menschen und Zeiten für Indianer, die mehr über sie verrät als über die mehr als 500 Ethnien Nordamerikas. Apropos: Darf man noch „Indianer“ sagen? Die Radebeuler finden schon, weil es derzeit keinen besseren, historisch korrekten Überbegriff gebe, auch nicht bei den Indigenen selbst.

Das private Museum hat kaum Mittel für Forschung. Dennoch geschieht dort viel. Jährlich erscheint ein Magazin mit wissenschaftlichen Aufsätzen. Derzeit gibt es eine Sonderausstellung über Indianer, die durch Menschenschauen nach Sachsen kamen. Außerdem ist moderne indigene Kunst zu sehen wie die Minions mit Federschmuck.

Die Indianerbegeisterung ist heute nicht mehr so ausgeprägt wie einst. Familien und Kinder bilden jedoch immer noch die größte Besuchergruppe. Auch in anderer Hinsicht habe das Museum Zukunft, meint Robin Leipold. Schon wegen der spannenden Persönlichkeit Karl Mays. Er ist umstritten wegen kolonialer Spuren in seinem Werk, war aber auch Pazifist und Humanist. Als andere noch die Menschheit in überlegene und niedrig entwickelte Rassen einteilten, beschwor er die Blutsbrüderschaft. In Wirklichkeit gab es sie nie.

Naturalienkabinett Waldenburg: Die Trophäen des Fürsten

Fanny Stoye ist die Chefin des Naturalienkabinetts in Waldenburg bei Chemnitz. Im Museum sind Naturalien aus historischen Sammlungen zu sehen, die seit dem 17. Jahrhundert zusammengetragen wurden.
Fanny Stoye ist die Chefin des Naturalienkabinetts in Waldenburg bei Chemnitz. Im Museum sind Naturalien aus historischen Sammlungen zu sehen, die seit dem 17. Jahrhundert zusammengetragen wurden. © kairospress

Ein vergilbtes Papierschild steht neben der dunkelhäutigen Frau aus Holz. Es fällt kaum auf zwischen den vielen Gegenständen in den Vitrinen im Naturalienkabinett in Waldenburg, einem Städtchen unweit von Chemnitz. Das alte Schild trägt eine Bezeichnung, die viele Betrachter des 21. Jahrhunderts zusammenzucken lässt: „Negerin“ steht darauf.

Das 1840 von der Fürstenfamilie von Waldenburg gegründete Kabinett steht unter Denkmalschutz. Fanny Stoye möchte das Schild nicht entfernen, aber sie würde gern etwas erklären dazu. Verändert werden darf aber so gut wie nichts.

Die Waldenburger kauften die um 1690 begonnene Naturaliensammlung einer Leipziger Apothekerfamilie und setzten das Sammeln fort. Jede Generation hat bis 1945 ihre Spuren hinterlassen, aber auch Schatten. So finden sich zwischen farbenfrohen Vögeln, Seesternen, Muscheln, Prophezeiungsspielen und einem zweiköpfigen Kalb gigantische Tierköpfe mit eigentümlich lebendigen Glasaugen. Einer der Fürsten schoss sie Anfang des 20. Jahrhunderts bei seinen kolonialen Reisen in Afrika. In Briefen beklagte er die Primitivität der Menschen. Er könne nachts nicht schlafen, weil die Helfer so unangenehm stinken würden.

Gut 50.000 Naturalien umfasst das Museum und rund 170 ethnologische Objekte. Viele davon stammen von Missionaren. Die Fürstenfamilie unterstützte Missionsvereine, auch mit dem Anspruch, der Welt mehr Bildung zu ermöglichen. Die Missionare schickten zum Dank Geschenke. Welche im Zuge der Christianisierung vielleicht unter Zwang abgegeben werden mussten, ist derzeit noch nicht geklärt.

Obwohl die knappen Mittel des städtischen Museums Grenzen setzen, befassen sich Fanny Stoye und ihr Team engagiert mit der Geschichte der Sammlung auch im Hinblick auf ethische Probleme und Kolonialismus. Gerade hat das Museum ein oppulentes Buch veröffentlicht, in dem das Thema eine Rolle spielt. Die Geschichten vieler Stücke wie die der Sami-Trommeln von einer Ethnie aus Nordeuropa gleichen ungeklärten Kriminalfällen.

Nicht alle Provenienz-Geschichten sind durchweg tragisch. Im Rahmen eines einjährigen Projekts konnte der Afrikanist Lutz Mükke nach Tansania reisen. Er zeigte Fotos von Waldenburger Objekten, darunter jene Stäbchen, die laut historischer Beschriftung als Giftpfeile dienten. Die Menschen in Tansania lachten herzlich: Die Stäbchen waren Teil eines beliebten Gesellschaftsspiels.