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Großes Interesse am Sachsenhuhn

Die Rasse ist vom Aussterben bedroht. Deutschlandweit gibt es nur wenige Hundert Tiere. Lässt sich das ändern?

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Geflügelzüchter Martin Schubert hält eine Sachsenhuhn-Hahn im Arm.
Geflügelzüchter Martin Schubert hält eine Sachsenhuhn-Hahn im Arm. © dpa/Miriam Schönbach

Von Miriam Schönbach

Reichenbach/Wartha. An der Wassertränke herrscht schon Hochbetrieb. Martin Schubert bahnt sich mit dem Futter den Weg durch die gackernde Schar. Kaum fällt Korn in die Schüssel, drängeln sich seine Hühnchen im Stall. Einige hüpfen in den Futternapf. Der 47-Jährige schließt die Tür und geht zur nächsten Kinderstube. Gut acht Wochen sind seine Vögel jetzt alt - und schon jetzt ein Stück Hoffnung. Im Auftrag des Biosphärenreservates "Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft" zieht er Sachsenhühner auf seinem Geflügelhof in Reichenbach (Landkreis Bautzen) auf. Die alte Rasse ist vom Aussterben bedroht.

Der erfahrene Hühnerzüchter aus dem Pulsnitztal am Rand des Biosphärenreservates ist ein "Glücksgriff" für Projektkoordinatorin Eva Lehmann. Die Agraringenieurin kümmert sich in der Unesco-Modellregion östlich von Dresden um die Themen Landwirtschaft und Landschaftspflege. Dazu zählt die Rettung alter Getreidesorten genauso wie Wiederbelebung fast verschwundener Haustierrassen. "Unsere Recherche am Anfang des Projekts vor einem guten Jahr ergaben, dass es vom Sachsenhuhn nur noch eine dreistellige Zahl gibt. Wenn wir an Ereignisse wie die Geflügelpest denken, könnte die Rasse komplett verschwinden", sagt Lehmann.

Aus diesem Grund stuft die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Nutztierrassen (GEH) das Sachsenhuhn auf ihrer Roten Liste als "besonders gefährdet" ein - genau wie das Deutsche Sattelschwein, die Pommernente und das Leineschaf. Insgesamt stehen in der Aufzählung knapp 90 Rassen in unterschiedlichsten Gefährdungskategorien. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen geht jeden Monat auf der Welt eine einheimische Haustierrasse verloren. Deshalb hat die GEH Deutschlands Biosphärenreservate gebeten, sie bei der Erhaltung der gefährdeten Haustierrassen zu unterstützen, um der "Talfahrt der Vielfalt" entgegen zu wirken, so Lehmann.

Gemeinsam mit ihrem Kollegen Sandro Tenne ist sie an diesem späten Nachmittag zum Hühnerzüchter gekommen, um die letzten Absprachen für den Umzug der Jungtiere vom Stall nach draußen zu treffen. Schubert züchtet seit sechs Jahren Sachsenhühner. Mit zwölf Tieren hat er einst begonnen. "Mich fasziniert ihre Wesensart. Sie sind sehr ruhig, flattern kaum und man hat viel für die Mühe - nämlich Fleisch und Eier", sagt der Bauunternehmer, der im Nebenerwerb seine Landwirtschaft betreibt.

Der Züchter hebt ein schwarz-weiß-gesperbertes Huhn hoch - so nennt man die typische Maserung - und streicht ihm über die Federn. Der Hahn macht es sich auf der Hand gemütlich. Insgesamt landeten in den Brutschränken des Züchters knapp 500 Sachsenhuhn-Eier, die sowohl er als auch andere Züchter - meist aus Sachsen - für das Erhaltungsprojekt bekommen haben. Mitte April war Schlupftag, seitdem kümmert sich Schubert um seine Gäste auf Zeit.

Ziel des Projekts ist es, die Sachsenhuhn-Generation 2020 an neue Züchter und Halter weiterzugeben, sagt Lehmann. Über 300 Interessierte, zum Teil aus ganz Deutschland, haben sich gemeldet, um das Projekt zu unterstützen. Die meisten Tiere aber werden bei Geflügelfreunden aus dem Biosphärenreservat und der näheren Umgebung bleiben. Bereits am 12. Juli werden die ersten Tiere den Besitzer wechseln. Das sind Sachsenhühner, die sich nicht zur Zucht eignen, aber trotzdem ein neues Zuhause bekommen.

Geflügelzüchter Schubert geht nach draußen. Auf dem Freigelände an der Pulsnitz haben es sich Sachsenhühner in vier Farben weiß, schwarz, gelb und gesperbert im Gatter unter Quittenbäumen gackernd gemütlich gemacht. Bereits um 1880 begannen Züchter im Erzgebirge aus robusten Landhühnern und Minorka-Langschan-Kreuzungen ihr Huhn zu züchten. Ihre Idee war, ein Tier mit kleinem Kamm für das raue Gebirgsklima mit langen Schnee- und Frostperioden heranzuziehen. Im Jahre 1914 einigte man sich auf den Namen "Sachsenhuhn". Knapp 50 Jahre später konnte es jedoch als Wirtschaftshuhn mit den Leistungen der "neuen" Importrassen nicht mehr mithalten - und verschwand langsam von den Höfen.

Für die Rückkehr sind nun die ersten Schritte getan. Bei einer großen Tieraktion am 10. Oktober sollen dann zuchtfähige Hühner an ihre neuen Eigentümer übergeben werden. Jene sollen im kommenden Jahr etwa 20 Eier kostenlos zur Biosphärenreservatszucht 2021 zur Verfügung stellen. Um die zerbrechliche Ware wird sich Schubert kümmern. "Geplant sind drei Jahre für dieses Projekt, damit der Bestand nicht mehr gefährdet ist. Ich kann mir aufgrund des großen Interesse gut vorstellen, dass wir es mit Hilfe des Sonderzuchtvereins dann verstetigen können", sagt Lehmann.

Die Agraringenieurin kann sich auch vorstellen, dass sich an einer Schule im Biosphärenreservat eine AG "Junge Geflügelzüchter" gründet - für die Gewinnung von Jungzüchtern. Dass das Interesse bereits in Kindertagen gelegt wird, zeigt übrigens der Geflügelhof Schubert. Die älteste Tochter begleitet nicht nur jeden Handgriff des Vaters "mit dem lieben Federvieh". Die 17-jährige Vivien will im August eine Ausbildung zur Tierwirtin - Fachrichtung Geflügel - beginnen, um später Sachsenhühner und vielleicht noch ganz andere gefährdete Geflügelrassen auf dem heimischen Hof zu züchten. (dpa)