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Warum Fans den Klubs die kalte Schulter zeigen

Trotz beschränkter Kapazität sind viele Fußball-Stadien nicht ausverkauft – so auch in Dresden. Ein Erklärungsversuch.

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Die Zuschauer sind zurück in den Fußball-Stadien, aber: Nicht alle Fans kommen schon wieder. Das könnte für die Klubs auf Dauer problematisch werden.
Die Zuschauer sind zurück in den Fußball-Stadien, aber: Nicht alle Fans kommen schon wieder. Das könnte für die Klubs auf Dauer problematisch werden. © dpa/Fabian Strauch

Von Frank Hellmann

Frankfurt/Dresden. Es sollte eine besondere Geste an die Zuschauer sein. Die Vorstandschaft von Eintracht Frankfurt ging am Samstag vor dem Heimspiel gegen den FC Augsburg gemeinsam auf den Rasen. „Nach über einem Jahr sind wir wieder bei einem Bundesligaspiel mit vielen – nicht allen – Fans zusammen. Aber ihr seid, trotz all dieser Umstände, in sehr großer Zahl heute da“, sagte Vorstandssprecher Axel Hellmann. Doch selbst am sonst zuschauerträchtigen Standort Frankfurt waren nicht die erlaubten 25.000 Besucher im Stadion, sondern nur 22.000.

Noch deutlicher wird die Zurückhaltung unter den Eintracht-Fans mit diesem Vergleich: Lediglich 6.500 der 31.000 Dauerkarteninhaber hatten von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht. Heißt also: Auf Ablehnung stoßen Einschränkungen durch Hygienevorschriften nicht nur bei den einflussreichen Ultragruppierungen, sondern auch bei der Stammkundschaft.

Ein Problem, das nicht nur in Frankfurt auftaucht. In Dresden war das Rudolf-Harbig-Stadion bei Dynamos Saisonstart gegen Ingolstadt mit 7.102 Zuschauern ausverkauft. Danach wurden die Auflagen des Gesundheitsamtes gelockert, die Abstände durften geringer sein. Laut Verein dürften bei entsprechendem Buchungsverhalten bis zu 16.000 Fans drin sein. Nach offiziellen Angaben waren es aber in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen Paderborn (2:1) nur 12.702 und beim 2:0-Heimsieg in der zweiten Liga gegen Hannover 13.780.

Viele Fanclubs bleiben fern

Beim Ost-Duell in Rostock am Samstagabend waren zum ersten Mal seit anderthalb Jahren Dynamo-Fans bei einem Auswärtsspiel, 1.111 Tickets gingen an Anhänger der Schwarz-Gelben. „Wir müssen uns erstmal wieder an volle Stadien und das Feiern danach gewöhnen. Umso schöner mit Lauf, den wir jetzt haben. Fußball macht wieder Spaß“, sagte Verteidiger Chris Löwe nach dem 3:1-Sieg.

Aber nicht nur die aktive Fanszene steht der eingeschränkten Rückkehr auf die Ränge skeptisch gegenüber. „Für Fußballfans, die regelmäßig ins Stadion gehen, und das sind in erster Linie die Dauerkarteninhaber, steht das Gemeinschaftserlebnis im Mittelpunkt. In der Regel unterliegt ein Spieltag einem ritualisierten Tagesablauf, von der Abreise zu Hause bis zur Rückkehr“, sagt Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS).

Die meisten offiziellen Fanclubs der Vereine verzichten wegen der Beschränkungen und Auflagen weiterhin auf den Stadionbesuch. Ihre Forderung: Alle oder keiner. Gabriel glaubt: „Von größter Bedeutung ist die Gewissheit, an den gewohnten Plätzen seine Freunde und Bekannten zu treffen. Durch die coronabedingten Einschränkungen ist im Moment diese Zuverlässigkeit nicht gegeben und das hält viele Fans wohl von einem Stadionbesuch ab. Denn im Stadion sitzen die Fans momentan zufällig zusammengewürfelt.“

Ausverkaufte Arenen vermeldeten zum Start nur die Hälfte der 18 Bundesligisten – München, Freiburg, Leverkusen, Fürth, Dortmund, Mönchengladbach, Köln, Bielefeld und Union Berlin. Teils klafften erhebliche Lücken zur reduzierten Maximalkapazität. Die TSG Hoffenheim (8.014) oder der VfL Wolfsburg (8.536) erreichten nicht mal eine fünfstellige Zuschauerzahl. Offenbar müssen selbst Erstligisten härter als gedacht um die Rückkehr der Zuschauer kämpfen, denn in der 2. Bundesliga und 3. Liga zeigte sich bereits dasselbe Phänomen. Es deutet Vieles auf ein Konglomerat von Gründen hin: die Hürden beim Ticketerwerb, die Angst vor Corona und die Auswirkungen der Geisterspiele.

Ein gewisser Grad der Entwöhnung

„Es ist sicherlich von allem etwas. Bei einigen Fans gibt es die Angst vor einer Ansteckung. Dann gibt es nach den vielen Entbehrungen der letzten Monate viele Möglichkeiten, seine Freizeit zu gestalten“, sagt die Fanvertreterin Helen Breit. „Nicht jeder und jede hält sich die Wochenenden frei, um ein Fußballspiel zu besuchen. Und natürlich gibt es auch viele Hürden.“ Hinzu käme ein gewisser Grad der Entwöhnung: „Die meisten Menschen waren anderthalb Jahre nicht mehr im Stadion. Jetzt ist bei einigen die Priorität des Fußballs in der Lebensplanung gesunken.“

Der organisierten Fanszene geht es auch um eine unterschwellige Protesthaltung, die sich aus den Fehlentwicklungen in der Corona-Krise speist. Der KOS-Vertreter Gabriel erläutert: „Es ist eine weit verbreitete Enttäuschung spürbar, dass aus den Ankündigungen, der Fußball würde demütiger, nichts übrig geblieben zu sein scheint.“ Breit als Vorsitzende „Unsere Kurve“ ergänzt: „Viele Menschen sind nach wie vor enttäuscht vom Reformstau.“ Das verspielte Vertrauen könnte den Klubs noch böse auf die Füße fallen, die mit gut besuchten Stadien geplant haben. Auf Dauer geht es kaum gut, wenn die stimmungsvollsten Fans die kalte Schulter zeigen.

Bei Hertha BSC wurde gegen Wolfsburg (1:2) das von der Bundespolitik für Großveranstaltungen eingezogene Höchstlimit von 25.000 bei 18.241 Zuschauern im weitläufigen Olympiastadion klar verfehlt. „Es gibt Menschen, die haben ein bisschen Angst, andere Menschen haben sich an den Fernseher zu Hause mit einem Bier gewöhnt“, mutmaßte Trainer Pal Dardai.

Sportvorstand Fredi Bobic wartete mit einer anderen Erklärung auf: „Wenn alles frei zugänglich wäre und die Kapazitäten wären nicht beschränkt, wären viel mehr gekommen – da bin ich mir sicher. Ich muss eine Maske anziehen, sitze vielleicht mit meinen Kumpels nicht zusammen. Das macht auch keinen Spaß.“ Der neue starke Mann der Alten Dame plädiert dafür, die Stadien bald ohne Einschränkung komplett zu öffnen – in der Hoffnung, dass sich die Tribünen besser füllen. Ansonsten stellt Bobic sogar in Aussicht, sich mit Hertha einer Klage anzuschließen. (mit SZ/-ler)