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Sibirien lockt Abenteurer Löwenherz immer wieder

Richard Löwenherz sucht Abenteuer gegen den Trend. Seit zwei Jahrzehnten reist er regelmäßig nach Russland. Auch jetzt ist für ihn das Land längst noch nicht abgehakt.

Von Jochen Mayer
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Unterwegs in der Sibirischen Arktis: Richard Löwenherz (M.) trifft Einheimische.
Unterwegs in der Sibirischen Arktis: Richard Löwenherz (M.) trifft Einheimische. © privat

Dresden. Russland bleibt sein bevorzugtes Reiseziel. Richard Löwenherz kann nicht anders, zu viel verbindet ihn mit diesem Land. Der 42-Jährige radelte im Winter schon bis an das Eismeer, übernachtete im Freien bei minus 50 Grad. Mit Boot und Rad wagte er sich in die entlegensten Winkel Sibiriens. Natur und Weite, das Wilde und Extreme im Osten haben es dem Abenteurer angetan. Und die Menschen. Der Geograf und Meteorologe passte das Berufsleben seiner Reiseleidenschaft an, ist seit Jahren mit Vorträgen über Erlebnisse in Russlands gewaltigem Naturreich unterwegs, jetzt auch wieder zweimal in Dresden.

Am Freitag, 14. Oktober, ist er im Filmtheater Schauburg in der Veranstaltungsreihe „Bilder der Erde“ mit seinem wegen Corona verschobenen Auftritt „Verloren in Sibirien – 5.000 Kilometer durch den wilden Osten Russlands“. Und zum Auftakt des Bergsichten-Festivals am 11. November folgt im TU-Hörsaalkomplex die Premiere von „Tschukotka – Auf eigene Faust ans Ende der Welt“. Im nordöstlichsten letzten Zipfel von Russland, gegenüber von Alaska, meisterte Löwenherz mit Rad und Schlauchboot viele Herausforderungen. Dafür musste er jahrelang um eine Sondergenehmigung kämpfen. „Wegen der USA-Nähe war es für ausländische Individualreisende fast unmöglich, dorthin zu gelangen“, erzählt er.

Ukrainekrieg stoppt Filmprojekt

Im Februar dieses Jahres hat sich indes auch für Löwenherz schlagartig die Welt verändert. Der Ukrainekrieg stoppte ein Filmprojekt, das mit dem MDR geplant war. „Ein Desaster nach einem Jahr intensiver Planungen“, sagt der Profi-Abenteurer im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung. „Für die Sendung Biwak sollte es mit dem Fahrrad durch das winterliche Sibirien gehen, auf Eisstraßen bis hinter den Polarkreis. Im März wollten wir starten. Doch dann kam der Krieg und alles, wofür man brannte, wurde mit einem Schlag bedeutungslos. Das Bittere daran: Ich hatte mich ganz und gar für dieses Filmprojekt eingerichtet, Jobangebote und Vortragstermine abgesagt. Am Ende blieb nur die Ungewissheit. Ich fiel in ein Motivationsloch.“

Plötzlich stand für ihn alles auf der Kippe. „Das Thema Sibirien hatte es schon vorher nicht leicht, auf die Vortragsbühnen zu gelangen“, sagt er und meint: „Unser Bild von Russland ist oftmals geprägt von Vorbehalten und negativen Schlagzeilen. Dabei übersieht man, dass hinter der politischen Fassade eines Landes auch noch ganz normale und sympathisch verrückte Menschen mit großem Herzen leben. Das betrifft übrigens auch die Ukraine, durch die ich schon zweimal gereist bin.“

Durch 16 Reisen mit Russland verbunden

Vor allem in den abgelegenen Gebieten Sibiriens, deren Bewohner mitunter aus allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion kommen, habe er immer wieder einen sehr hilfsbereiten, gastfreundlichen Menschenschlag angetroffen. „Die Menschen haben es absolut nicht verdient, mit den aktuellen Geschehnissen in einen Topf geworfen zu werden“, sagt der gebürtige Dresdner, der zu Beginn des Ukraine-Kriegs auch viele Mails früherer Reisebekanntschaften aus Russland bekam. „Sie schrieben, dass sie mit dem Krieg nichts am Hut haben, dass das Putins Überfall sei. Sie versuchten, sich zu rechtfertigen, sich zu distanzieren.“

Löwenherz war geschockt über den Krieg und auch über manche Reaktionen in der westlichen Welt, über pauschale Urteile und die zunehmende Ablehnung gegenüber allem, was russisch ist. „Alles, was Brücken baut und gerade jetzt das gegenseitige Verständnis fördern könnte, wird unterbunden. Wenn jeder in seiner Blase bleibt, gibt es keinen Austausch mehr“, findet er. Nach 16 Reisen durch Russland sei ihm das Land auch irgendwie ans Herz gewachsen, gesteht Löwenherz: „Ich habe so viel Positives erlebt, das will ich natürlich auch den Besuchern meiner Vorträge vermitteln.“ Und doch, betont Löwenherz, sei er stets bestrebt, mit seinen Reiseerzählungen, ein authentisches Bild von Land und Leuten zu zeichnen.

Corona macht Sibirienbuch möglich

Momentan erlaubt ihm die politische Lage nicht, weitere Reisen nach Russland zu planen. „Das Land ist aber für mich noch lange nicht abgehakt“, sagt er und fügt hinzu: „Gerade jetzt erscheint es mir wichtig, die Verbindung zu halten. Solange es möglich ist, werde ich weiterhin versuchen, nach Sibirien zu reisen und mir mein eigenes Bild zu machen.“

Der Ukrainekrieg war nicht der einzige gravierende Einschnitt in jüngster Zeit für Löwenherz. Der Corona-Ausbruch stoppte vor zwei Jahren alles, was sein Leben zu diesem Zeitpunkt ausmachte. Als Eventmanager hatte er zeitweise in der Schweiz gearbeitet – und wurde plötzlich nicht mehr gebraucht. Alle Vorträge fielen aus, Reiseprojekte ließen sich nicht vorbereiten, die Ungewissheiten waren zu groß.

Also griff er eine Verlagsanfrage für ein Sibirien-Buch auf, die er mal abgelehnt hatte, weil er lieber reisen wollte. Nun dachte er um. „Ich hatte ja plötzlich viel Zeit, so habe ich aus der Not eine Tugend gemacht und konnte ohne Ablenkung am Manuskript schreiben. Das war sehr erfüllend. Ich habe das Beste aus der Situation gemacht.“

Der "Berserker" kommt auf 112.894 Kilometer

So hielt es Löwenherz auch mit seinen Reiseplänen. Die waren unter den Corona-Auflagen sehr speziell. Im Sommer 2020 hatte auch Russland die Grenzen geschlossen, die gebuchten Flüge nach Kamtschatka fielen aus. Nur Schweden zeigte sich in Europa offen und unproblematisch. So fuhr Löwenherz nach Lappland. Es wurde ein Wildnis-Trip mit Rad und Leicht-Schlauchboot.

Bikerafting nennt er diese Art des Reisens: „Einen Monat lang bin ich mit einem guten Freund in die Wildnis abgedriftet, so wie es eigentlich in Kamtschatka sein sollte. Das war sehr intensiv, sehr isoliert, außerdem wie vier Wochen in Selbstquarantäne.“ Und preiswert: 613 Euro listet er an Ausgaben auf.

Zahlen und Fakten haben es ihm angetan: „Ich schreibe alles auf, was mal interessant und wichtig sein könnte. Damit bleibt mir alles besser im Gedächtnis.“ So kann der Naturwissenschaftler auch genau sagen, wie viele Kilometer sein erstes Reiserad rollte. Das bekam der damals 13-Jährige in der Niederlausitz, wo er aufwuchs, von seinen Eltern geschenkt. „Berserker“ nannte er das unverwüstliche Gefährt, es rollte vom 14. April 1993 bis zum 18. April 2016 genau 112.894 Kilometer – fast dreimal um den Äquator. Von Anfang an war ein Kilometerzähler dabei.

Kritische Begegnung mit einem Braunbären

Im zweiten Corona-Sommer tourte Löwenherz wieder durch Ostsibirien. „Diese Tour hatte ich schon mal als Plan B im Hinterkopf“, sagt er und schwärmt von gewaltigen Gebirgsketten in Alpen-Dimensionen. „Nach drei Jahren Sibirien-Abstinenz musste ich wieder hin. Es lief alles glatt. Das größte Risiko war die Anreise, ein überfüllter Moskauer Flughafen, nur wenige trugen Masken, dazu die Ungewissheit beim Corona-Test. Ich bin dennoch froh, gegen den Trend gereist zu sein – es war ein unvergessliches Abenteuer.“

Allerdings hatte er in der Wildnis auch eine kritische Begegnung mit einem Braunbären, der eines Morgens an das Zelt klopfte. Am Ende trollte sich das Tier, Steinwürfe und Schüsse aus der Signalpistole halfen, sagt Löwenherz – und gesteht:. „Die restliche Tour war dann nicht mehr entspannt. Die Gelassenheit, mit der ich sonst unterwegs bin, die war weg.“

Richard Löwenherz: „Eis. Abenteuer. Einsamkeit. Mit dem Fahrrad in die sibirische Arktis“. Delius Klasing Verlag Bielefeld, 160 Seiten, 128 Fotos und Abbildungen, 24,90 Euro.