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So will ein Ex-Dynamo den deutschen Fußballerinnen Probleme bereiten

Warum Südkoreas Nationaltrainer Colin Bell bei der Fußball-WM nicht an Wunder glaubt und trotzdem jetzt ein Konzept schreibt, um den Verband aus dem Tiefschlaf zu holen. Bei Dynamo Dresden hatte das nicht geklappt.

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So winzig ist die Chance auf den Einzug ins WM-Achtelfinale: Südkoreas Nationaltrainer Colin Bell bei der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen die deutschen Frauen
So winzig ist die Chance auf den Einzug ins WM-Achtelfinale: Südkoreas Nationaltrainer Colin Bell bei der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen die deutschen Frauen ©  dpa/Sebastian Gollnow

Von Frank Hellmann

Brisbane. Die akkurate Fönfrisur saß bei Colin Bell mindestens genauso gut wie die dunkle Brille, dazu hatte sich der Nationaltrainer Südkoreas den Reißverschluss seines Trainingsanzugs ein Stück weit heruntergezogen. Mit einem freundlichen Lächeln begrüßte der 61-Jährige in Brisbane vor dem letzten WM-Gruppenspiel gegen die deutschen Fußballerinnen bekannte Gesichter, denn die meiste Zeit hat er nun einmal als Profi und Trainer in Deutschland gelebt.

Sein Haus im Westerwald hat der Mann, der zwischen April 1999 und März 2000 als Cheftrainer des damaligen Regionalligisten Dynamo Dresden in 28 Spielen nur sieben Siege holte, bis heute.

Colin Bell als Trainer von Dynamo Dresden im Oktober 1999 bei der 1:4-Pleite im Landespokal gegen Erzgebirge Aue.
Colin Bell als Trainer von Dynamo Dresden im Oktober 1999 bei der 1:4-Pleite im Landespokal gegen Erzgebirge Aue. © Robert Michael

Viele hatten vor der WM-Auslosung gedacht, der Taktikfuchs Bell sei mit dem Vizemeister Asiens für die DFB-Frauen der härteste Gegner, doch nach Niederlagen gegen Kolumbien (0:2) und Marokko (0:1) ist Ernüchterung eingekehrt. Bell erreichte am Mittwoch die Frage, ob sich ein „Wunder von Kasan“ wiederholen müsse, um doch noch weiterzukommen.

„Wir haben diese Minichance“

Südkorea erinnert sich noch gern, wie die Männer-Nationalmannschaft in einer ähnlichen Konstellation bei der WM 2018 in Russland den amtierenden Weltmeister Deutschland in der Tatarenstadt aus dem Turnier katapultierte. Doch Bell wollte darin keine Parallelen erkennen. Klar, der Fußball sei unberechenbar, „deshalb lieben wir ihn so sehr“, doch mit Wundern tue er sich ein bisschen schwer.

Irgendwann formte er mit Daumen und Zeigefinger einen kleinen Spalt, um zu veranschaulichen wie winzig die Hoffnung auf den Achtelfinaleinzug eigentlich sei. „Wir haben diese Minichance.“ Aber auch eine Minichance sei noch eine Chance. Was sollte er anderes sagen.

Seit Tagen beschäftigt den charismatischen Fußballlehrer, warum seine Spielerinnen „nicht so performt haben wie in den vergangenen vier Jahren“, nachdem er das Amt als erster Ausländer angetreten hatte. Beim Finale im Asien-Cup Anfang 2022 hatten die „Taeguk Ladies“ die jetzt bei dieser WM hochgelobten Japanerinnen am Rande einer Niederlage, und Bell glaubt immer noch, dass wir „an guten Tagen auf Augenhöhe mit denen sind“. Dummerweise war in Australien bislang nichts davon zu sehen.

Das Problem mit der südkoreanischen Liga

„Ich habe meine eigene Mannschaft hier nicht wiedererkannt“, sagt der Coach, über den nach dem Champions-League-Triumph 2015 mit dem 1. FFC Frankfurt das putzige Buch „Colin Bell – Der (Frauen)-Fußball-Versteher“ erschienen ist. In der Halbzeit gegen die Nordafrikanerinnen habe er seinen Spielerinnen am vergangenen Sonntag auf Koreanisch zugerufen: „Das seid ihr nicht!“ Sie wären in diese Partie „wie in ein Freundschaftsspiel“ gegangen.

Der gebürtige Engländer hat noch in derselben Nacht an einem Konzept gearbeitet, um seinem Verband bald etwas Handfestes zu übergeben. Die Bettlektüre für Funktionäre ist fast fertig; drin steht, was sich ändern muss, um international den Anschluss nicht völlig zu verpassen. Bell: „Das können sie in die Tonne kloppen oder aufwachen.“

Der frühere Coach aus der Frauen-Bundesliga hat beobachtet, dass sein Team bei der WM weder das körperliche Level mitgehen, noch dem mentalen Druck standhalten konnte. Die koreanische WK League verkörpert halt das Gegenteil vom Weltniveau. „Die Spiele in der Liga sind zu langsam, die Intensität im Training zu niedrig“, erzählt der Nationalcoach. Zur WM-Vorbereitung seien einige Spielerinnen erschienen, „ohne die Wochen vorher einen einzigen richtigen Sprint zu machen. Nicht im Training, nicht im Spiel.“

Das größte Talent wurde in den USA gefördert

Genauso gravierend sei das Nachwuchsproblem: Es gebe nur wenige Schulen und Universitäten, an denen Mädchen oder Frauen Fußball spielen. Während Japan aus einem Reservoir von 800.000 registrierten Spielerinnen schöpft, sind es in Südkorea nur 1.400. Diese lächerliche Zahl nennt Bell „eine Katastrophe“. Die meisten seiner WM-Teilnehmerinnen hätten erst nach dem Studium mit 23, 24 richtig mit Fußball angefangen. Seine Mannschaft ist folglich die älteste der Endrunde.

Die von ihm mit 16 Jahren und 26 Tagen als jüngste WM-Spielerin aller Zeiten eingewechselte Casey Phair übertünchte die Versäumnisse, denn das Talent ist in den USA gefördert worden. Südkorea unterhält für die Frauen weder eine U20, U19 noch U17. „Wenn wir an diesem System nichts ändern, werden auch die Ergebnisse nicht besser“, hält Bell fest, der dennoch gerne seinen bis 2024 laufenden Vertrag erfüllen würde. Es sei denn, der Verband hätte andere Pläne. Wo aber der Reformer Jürgen Klinsmann gerade die Männer-Auswahl trainiert, wäre es eigentlich töricht, ihn als Projektleiter bei den Frauen wieder abzuziehen. Er lebt längst die meiste Zeit 30 Kilometer außerhalb von Seoul.

Respekt im DFB-Lager

Er schätzt die Sicherheit, liebt Land und Leute. Von der Sprache beherrscht er längst viel mehr als nur Bruchstücke. Dass dem früheren Zweitligaspieler des FSV Mainz 05 ein missionarischer Eifer in den Genen liegt, zeigt auch die Tatsache, dass Bell früher als Laienprediger unterwegs war. Die direkte Ansprache, die verlässliche Art des überzeugten Christen schätzen viele. Und so ein bisschen bleibt er bis zum Anpfiff wohl derjenige, den das deutsche Team fast am meisten fürchtet.

Zumindest Kathrin Hendrich hat ihren Respekt übermittelt, als die unter Bell in Frankfurt Champions-League-Siegerin gewordene Nationalspielerin dieser Tage sagte: „Ich weiß, dass er sein Team sowohl taktisch, vor allen Dingen was die Motivation betrifft, perfekt auf uns einstellen wird.“