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Darum fremdelt der Ex-DDR-Nationaltrainer mit dem Fußball

Es war ein Arbeitsleben für und mit dem Fußball. Zu seinem 75. Geburtstag blickt Bernd Stange zurück auf eine Trainerlaufbahn mit vielen Höhen und Tiefen. Doch die Entwicklung seines Sports sieht der Ex-DDR-Nationaltrainer kritisch.

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Als Trainer will Bernd Stange
nicht mehr arbeiten, aber die Expertise des 75-Jährigen ist noch immer gefragt.
Als Trainer will Bernd Stange nicht mehr arbeiten, aber die Expertise des 75-Jährigen ist noch immer gefragt. © Archiv: dpa/Robert Michael

Von Gerald Fritsche

Lagos/Jena. Die 75 Jahre sieht man Bernd Stange nicht an. "Ich bin topfit, gesund und ausgeruht", sagt der ehemalige Trainer der DDR-Nationalmannschaft. In seinem Haus im portugiesischen Lagos verbringt er die kalte Jahreszeit und feiert am Dienstag dort auch seinen Geburtstag. "Nur im familiären Rahmen. Wir gehen Fisch essen und ein Glas Wein trinken. Das war's", sagt Stange. Man merkt ihm an, dass er mit sich im Reinen ist.

Stange hat den Sprung aus dem Berufsleben geschafft, genießt sieben bis neun Monate im Jahr das Leben und das Wetter an der Algarve, hat Sauna und Pool. Und schaut viel Fußball. "Ich habe hier alle Sender, selbst den MDR. Alles Wichtige schaue ich mir an", sagt der gebürtige Oberlausitzer.

Fußball. Das war und ist sein Leben. "Ich konnte ja nie was anderes", sagt er. Selbst gespielt hat er nicht auf höchstem Niveau. Dafür war er ein umso besserer Trainer. Mit dem Sportlehrerdiplom der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig - übrigens mit Note 1 - in der Tasche wurde er 1970 Mitglied im Trainerstab des FC Carl Zeiss in Jena, seiner Wahlheimat. Schon ein Jahr später machte ihn Hans Meyer zu seinem Co-Trainer.

Großes Lob von Kult-Trainer Hans Meyer

"Als er damals nach Jena kam, hätte ich viel verwettet, dass aus Bernd nie ein verantwortlicher Trainer im Profi-Fußball wird. Er war schüchtern, eigentlich auch etwas zu sensibel", beschreibt Meyer seine ersten Eindrücke, die er aber schnell revidierte.

Denn: Stange konnte konzeptionell denken, aus der Theorie vieles für die Praxis ableiten. "Und er konnte immer überragend mit jungen Leuten arbeiten, sie formen, entwickeln", betont Meyer. Mit Fleiß, Leidenschaft und viel Eigeninitiative sei er seinen Weg gegangen.

Nach sieben Jahren an den Kernbergen ging es zum Fußball-Verband der DDR. Zunächst als Nachwuchs- und Olympia-Auswahl-Trainer machte er auf sich aufmerksam, wurde Co-Trainer von Georg Buschner und übernahm ganz offiziell 1984 die Geschicke der DDR-Auswahl. 54 Länderspiele fanden unter seiner Regie statt.

Stange konnte auf ein junges Team setzen, das er bereits von der U21 an geformt hatte. Ulf Kirsten, Matthias Sammer, René Müller oder Andreas Thom gehörten zu seinem Stammpersonal. Allerdings: Den großen Wurf konnte er nie landen. Eine zweite WM-Teilnahme nach 1974 oder eine EM sah der DDR-Fußball nicht.

Stanges größte Enttäuschungen

1984 hatte Stange mit der Olympia-Auswahl die Qualifikation für Los Angeles geschafft, wegen des Boykotts der sozialistischen Länder musste die Mannschaft aber daheim bleiben. "Das war eine der größten Enttäuschungen", sagt Stange im Rückblick.

Eine noch größere erlebte er vier Jahre später. Nach den ersten beiden Spielen der WM-Qualifikation für Italien 1990 wurde er entlassen. "Ein Sieg gegen Malta und eine Niederlage in der Türkei, wo später alle anderen Gruppengegner auch nicht gewinnen konnten, waren der Sportführung zu wenig. Ich war überzeugt, dass wir es mit dieser Mannschaft geschafft hätten. Mein Lebensziel wurde durch Funktionäre zerstört. Ich trauere der WM 1990 bis heute nach", erzählt Stange.

Mit der politischen Wende 1989 begann für den Fußballlehrer eine Zeit des Sammelns von teils bitteren Erfahrungen. "Die Ost-Spieler wurden überall gebraucht, die Trainer nicht", berichtet Stange. Für eine Saison war er bei Zweitligist Hertha BSC, übernahm dann den VfB Leipzig in dessen einziger Bundesliga-Saison, wo nach einem halben Jahr aber schon wieder Schluss war. "Dort habe ich meine Karriere selbst vermasselt. Ich habe es nicht hinbekommen, die Mannschaft oben zu halten. Wäre mir das ein, zwei Jahre geglückt, mir hätten viele Türen offen gestanden", sagt Stange.

Ab 1995 Weltenbummler

So aber waren sie zumindest in Deutschland für immer zu. Auch, weil in diese Zeit seine informelle Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR bekannt wurde. Erst durch seinen Freund, den langjährigen Erfolgstrainer der UdSSR und der Ukraine sowie von Dynamo Kiew, Waleri Lobanowski, fand er im ukrainischen Dnjepropetrowsk eine neue Anstellung.

Ab 1995 wurde Stange so zum Weltenbummler - Australien, Oman, Irak, Zypern, Belarus, Singapur und Syrien. Nicht jedes Engagement, vor allem in teils politisch problematischen Staaten, wurde von der Öffentlichkeit gutgeheißen. Doch Stange hatte nur den Fußball im Sinn. Insgesamt kommt er auf 176 Länderspiele. "Darauf bin ich stolz, genauso auf die Titel, die ich mit Vereinsmannschaften holen konnte. Mit Apollon Limassol blieben wir 2005/2006 sogar ungeschlagen", berichtet Stange.

Mit Blick auf den heutigen Fußball ist Stange entsetzt. "DDie Erziehung und Ausbildung von Spielern und Trainern wurde vernachlässigt, trotz der teuren Akademien. Und so kommt es, dass die Vereine heute weltweit Spieler auswählen, während früher die Talente daheim selbst ausgebildet wurden. Das ist eine Art, mit der ich fremdle, aber das ist halt Marktwirtschaft", resümiert er.

Seine Expertise ist noch immer gefragt

Er selbst hat keinen Sinn mehr für die Arbeit mit Mannschaften. "Dafür bin ich zu alt, ich brauche das auch nicht mehr. Bis zu meinem 70. Lebensjahr war ich im Geschäft. Aber ich freue mich, dass ab und an meine Expertise gefragt ist", sagt Stange, der Ende April nach Katar reisen wird, um dort jungen Leuten in der Trainerausbildung seine Erfahrungen zu vermitteln.