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Talente von RB Leipzig trainieren im virtuellen Stadion

Bundesligist RB Leipzig setzt als bisher einziger Fußballklub in Deutschland auf ein High-Tech-Trainingsgerät, mit dessen Hilfe sich Talente in die Bundesliga beamen lassen können.

Von Daniel Klein
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Moritz Tischler aus der U13 von RB Leipzig trainiert im 360-Grad-Stadion. An die Wände werfen Projektoren auch Spielszenen aus der Bundesliga.
Moritz Tischler aus der U13 von RB Leipzig trainiert im 360-Grad-Stadion. An die Wände werfen Projektoren auch Spielszenen aus der Bundesliga. © dpa/Jan Woitas

Ein bisschen sieht es aus wie im Sience-Fiction-Film. Der Fußballplatz ist nicht rechteckig, sondern rund. Mitspieler wie Gegner kommen aus einer virtuellen Welt, der Stadionlärm aus Lautsprechern. Moritz Tischler trainiert gerne in diesem 360-Grad-Rundling, der in einer Sporthalle des Trainingszentrums von RB Leipzig steht. Es erinnert an eine Mischung aus Playstation, X-Box und Switch, nur dass man in dieser XXL-Variante nicht allein die Finger bewegt, sondern den ganzen Körper. Nach zehn Minuten ist der zwölfjährige Moritz schon gehörig ins Schwitzen gekommen.

Als Übergrößen-Spielkonsole für den kickenden Nachwuchs hat RB den Soccerbot 360, wie es richtig heißt, natürlich nicht angeschafft. „Wir setzten es einmal pro Woche im Training ein“, erklärt Tom Stuckey, der bei den Rasenballern das U13-Team betreut. „Wir können individuell auf die Spieler eingehen, Basistechniken in einer hohen Wiederholungszahl üben, die kognitiven Fähigkeiten verbessern.“

Der Ball prallt immer wieder von den mit Holz beplankten Aluplatten zurück, auf die sechs über dem Spielfeld hängende Projektoren verschiedene Szenarien werfen. Pausen gibt es quasi nicht. Und das ist der große Unterschied zu einem älteren Trainingsgerät, das bei Borussia Dortmund und der TSG Hoffenheim eingesetzt wird. Beim Footbonaut ist der Käfig eckig, aus Kanonen kommen Bälle geschossen, die dann in das quadratische Tor versenkt werden sollen, das gerade aufleuchtet.

„Als ich das gesehen habe, dachte ich: Das könnte man doch vielleicht besser und vor allem variabler machen“, erzählt Daniel Held, der Gründer der Leipziger Firma Umbrella Software. Die 13 Mitarbeiter entwickeln vorrangig Apps für Handys, die Kombination von Fußball, Technik und Daten reizte den Chef jedoch. 2014 begann er in einer Garage mit dem Tüfteln.

Daniel Umbrella (l.) hat das Soccerbot 360° erfunden. Leipzigs U13-Trainer Tom Stuckey (r.) erklärt seinem Spieler Moritz Tischler die nächste Aufgabe.
Daniel Umbrella (l.) hat das Soccerbot 360° erfunden. Leipzigs U13-Trainer Tom Stuckey (r.) erklärt seinem Spieler Moritz Tischler die nächste Aufgabe. © dpa/Jan Woitas

Bald schon fand er einen ersten Interessenten – quasi vor der Haustür. Stuckey erhielt den Anruf eines Freundes, sich das mal anzuschauen. Der Nachwuchstrainer band schnell einen Sportpsychologen des Vereins ein und Helmut Groß, der sieben Jahre bei RB als Mentor und rechte Hand von Ralf Rangnick arbeitete. „Der schaute sich die erste Ausbaustufe an, sagte, dass wir auf dem richtigen Weg seien und weitermachen sollen. Drei Monate später waren wir fertig“, erinnert sich Held. „RB Leipzig mit Ralf Rangnick als Sportdirektor war unser erster Kunde und hat 2017 den Prototypen gekauft.“

Für welche Summe verrät er nicht, die Preise für den Soccerbot würden bei 200.000 Euro beginnen, seien nach oben offen. Inzwischen steht solch ein Rundling auch beim Schwesterklub Red Bull Salzburg sowie bei Norwich City. Fußballvereine sind jedoch nicht die einzigen Kunden. Kommerzielle Sportanlagenbetreiber haben das Gerät ebenfalls für sich entdeckt. Drei wurden in die Schweiz verkauft, außerdem stehen welche in Halle/Saale, Ochtrup (Münsterland), San Antonio (USA) und Kairo. Derzeit laufen Gespräche im arabischen Raum. Dort kann jeder, der möchte, buchen – auch für Kindergeburtstage und Firmenfeiern. Bei den deutschen Betreibern kostet eine Stunde etwa 100 Euro.

Der große Vorteil sei, so Stuckey, die Flexibilität. Es gibt 30 verschiedene Programme oder Animationen. In einer werden reihum kleine Tore angezeigt, aber nur in die beleuchteten darf geschossen werden. „Die Zeitabstände, wann diese aufleuchtenden Tore wechseln, kann ich als Trainer im Zehntelbereich beliebig verändern – und damit den Schwierigkeitsgrad.“ In einem anderen Programm hängen Luftballons in verschiedenen Höhen, auf die gezielt werden soll. Man kann aber auch reale Sequenzen aus Bundesligaspielen auf die Wand projizieren. „Mit- und Gegenspieler bewegen sich im virtuellen Raum, die Aufgabe ist, den ideal getimten Pass zu spielen“, erklärt der Nachwuchstrainer. Die gesamte Steuerung läuft über ein Tablet, einmal im Quartal gibt es ein Update mit neuen Programmen oder Varianten.

Ein beliebte Anwendung bei den Talenten: Sie müssen den Ball in die Tore schießen, die gerade aufleuchten. Da sind Schnelligkeit, Reaktionsvermögen und Vororientierung gefordert.
Ein beliebte Anwendung bei den Talenten: Sie müssen den Ball in die Tore schießen, die gerade aufleuchten. Da sind Schnelligkeit, Reaktionsvermögen und Vororientierung gefordert. © dpa/Jan Woitas

Verfolgen kann Stuckey das Training von einer kleinen Empore aus, von der er über den 2,50 Meter hohen Rand blickt. Dabei muss er sich nicht allein auf sein Auge verlassen. Die Spieler werden per Infrarot getrackt, das heißt, es werden Daten erhoben, wie gut sie die Aufgaben lösen. „Diese bleiben bei den jeweiligen Vereinen, da gibt es keinen Austausch“, betont Held. „Das ist Leistungsdiagnostik und Videoanalyse nahezu unter Laborbedingungen“, meint der Trainer. „Es ist auch spannend zu sehen, wie sich die subjektiven Einschätzungen der Scouts mit den objektiven Daten unserer Messungen decken.“

Immer wichtiger wird im modernen Fußball die sogenannte Vororientierung. Noch bevor der Pass beim Spieler ankommt, muss der wissen, was er als Nächstes macht. Zeit für die Ballannahme bleibt kaum. Auch das kann mit dem Soccerbot, der im Durchmesser zehn Meter misst, simuliert werden. „Ich kann im Wahrnehmungsfeld der Jungs optische wie akustische Stör- und Überlastungsreize setzen. Auf dem Platz beobachte ich dann, dass sie in Drucksituationen ruhiger reagieren“, erklärt Stuckey. „Der Kopf ist die größte offene Reserve. Je besser wir den trainieren können, desto leistungsfähiger werden die Spieler.“ Das Mannschaftstraining auf dem Platz werde das virtuelle Stadion aber natürlich nicht ersetzen. „Ich sehe es als ein zusätzliches Trainingstool.“

Den nutzen bei RB die Altersklassen ab der U13, die jüngeren trainieren an anderen Standorten in Leipzig. Bei den Bundesliga-Profis kommt der Soccerbot vor allem bei den Rekonvaleszenten zum Einsatz, die nach einer Verletzung kurz vor der Rückkehr ins Mannschaftstraining stehen.

Moritz Tischler ist die Anstrengung nach 20 Minuten anzusehen. „Es macht total Spaß, vor allem, wenn man Wettbewerbe mit den Teamkollegen spielt“, sagt er etwas kurzatmig.