Leverkusen. Das noch gut gefüllte XXL-Bierglas hielt Robert Andrich beim Interview mit beiden Händen fest und lehnte es an seine tätowierte Brust. Das Trikot war irgendwo im Jubel-Chaos abhandengekommen. Die elfjährige Dauer-Dominanz des FC Bayern München im deutschen Fußball beendete Bayer Leverkusen am Sonntag und feierte vorzeitig nach dem 5:0-Erfolg gegen Werder Bremen den erstmaligen Gewinn der deutschen Meisterschaft.
Andrich sendete Grüße an die Kinder, die bisher nur einen Meister kannten. „Falls ihr nur Bayern München gesehen habt, jetzt ist Bayer-Leverkusen-Zeit. Und es gibt endlich mal einen guten deutschen Meister“, sagte er mit einem Augenzwinkern. Der Aufstieg des 29-Jährigen von der 3. Liga in die Champions League und sogar Nationalmannschaft ist eine ganz persönliche Erfolgsgeschichte.
Gefragt, wie es sich anfühlt, Meister zu sein, erklärte Andrich: „Es sind so viele Dinge, die gerade in meinem Kopf sind. Das geht los bei Dynamo Dresden, dann kommen die ganzen anderen Schritte. Es ist unfassbar surreal. Das werde ich wahrscheinlich noch nicht mal in zwei, drei Wochen realisiert haben.“
18 Monate kickte Andrich bei Dynamo, saß aber meist auf der Bank. Lediglich ein Tor erzielte er für die Dresdner, im Oktober 2015 wurde er zeitweise sogar suspendiert. „Damals war ich wahrscheinlich noch nicht so reif, im Kopf nicht bereit genug“, erklärte der gebürtige Potsdamer rückblickend in einem SZ-Interview.
Er wechselte zu Wehen Wiesbaden, dann zu Heidenheim und Union Berlin, seit Sommer 2021 ist er in Leverkusen – und nun auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere, die sehr spät Fahrt aufnahm. Der Sonntag könnte für ihn lediglich der Auftakt eines Feier-Marathons sein, mit Leverkusen kann er noch den DFB-Pokal und die Europa League gewinnen, mit der Nationalelf bei der Heim-EM den Titel holen.
Allein der Zeitpunkt, als Bayer der Meistertitel nicht mehr zu nehmen war, ist für Andrich, dessen Onkel Frieder in den 1960er- und 70er-Jahren bei Stahl Riesa und Vorwärts Frankfurt/Oder spielte, „ein Moment, der durch nichts zu toppen ist – mal abgesehen vom Vater sein und wenn die Kinder zur Welt kommen“.