Dresden
Merken

Ukrainischer Botschafter: "Sie würden auch nicht darüber verhandeln, Sachsen abzugeben"

Bei einer Podiumsdiskussion in Dresden bedankt sich der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev bei den Deutschen – und findet eindringliche Worte. Wer geglaubt hat, er könne nicht so scharf austeilen wie sein Vorgänger Andrij Melnyk, wird an diesem Abend eines Besseren belehrt.

Von Jonas Niesmann
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Oleksii Makeiev, einst für einen Schüleraustausch in Deutschland, ist heute Botschafter der Ukraine.
Oleksii Makeiev, einst für einen Schüleraustausch in Deutschland, ist heute Botschafter der Ukraine. © Archivbild: SZ/Veit Hengst

Der Hörsaal ist voll, alte und junge Menschen sitzen dicht gedrängt auf Fensterbänken und Treppenstufen. Eigentlich soll es an diesem Abend um die Auswirkungen des Krieges auf die sächsisch-ukrainischen Beziehungen gehen, und deshalb ist neben dem ukrainischen Botschafter Oleksii Makeiev auch Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) eingeladen.

Prof. Dr. Anne Holzscheiter von der TU Dresden, die den Abend in den Räumlichkeiten der Universität moderiert, versucht es zunächst auch mit ein paar Fragen in diese Richtung: Inwiefern könne nicht nur von den deutsch-ukrainischen, sondern auch von den sächsisch-ukrainischen Beziehungen gesprochen werden? Makeiev sagt, man arbeite ja daran, dass es eine Regionalpartnerschaft mit Sachsen gebe. Martin Dulig sagt, Sachsen und die Ukraine haben eine besondere Beziehung, weil Sachsen eben nahe dran ist und eines der ersten Bundesländer war, das geflüchtete Ukrainer nach Kriegsbeginn aufnahm.

"Wenn ich aufwache, schaue ich: Gab es Luftalarm?"

Doch so richtig funkt es nicht mit dem Thema. Makeiev spricht lieber über den Krieg in seinem Land: „Ich weiß nicht, wie ihre Tagesroutine aussieht“, sagt er ans Publikum gewandt. „Wenn ich aufwache, schaue ich: Gab es Luftalarm, wie viele Raketen wurden auf uns abgeschossen. Gibt es verpasste Anrufe von meiner Mutter?“ Vor ein paar Tagen habe sie ihn angerufen, um sie herum knalle es überall, Raketen schlagen ein, ob sie kurz zehn Minuten mit ihm sprechen dürfe. Das beruhige sie. „Das ist meine Routine“, sagt Makejew. Und: „Hören sie sich die persönlichen Geschichten der Ukrainer an. Um sie geht es in diesem Krieg, um die Menschen.“

Anne Holzscheiter von der TU Dresden moderierte den Abend mit Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (l.) und dem ukrainischen Botschafter Oleksii Makeiev.
Anne Holzscheiter von der TU Dresden moderierte den Abend mit Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (l.) und dem ukrainischen Botschafter Oleksii Makeiev. © SZ/Veit Hengst

Für Martin Dulig steht außer Frage, dass die Ukraine weiter militärisch unterstützt werden muss: „Es ist einfach zu sagen: Wir sind für den Frieden. Wer würde das nicht unterschreiben? Aber es geht darum, einen stabilen Frieden zu schaffen.“ Ein Waffenstillstand friere den Konflikt nur ein, und Russland hätte Zeit, die Verteidigung der besetzten Gebiete zu verstärken. Er sehe allerdings eine Herausforderung in der aktuellen Stimmung in Deutschland: „Die Menschen fragen: Warum kümmert ihr euch um die anderen, kümmert euch doch erstmal um uns.“ Makeiev bietet an, mit in die Wahlbezirke zu kommen, um mit den Deutschen zu sprechen, ihnen die ukrainische Sicht zu erklären.

Makeiev kennt Deutschland gut – und spart nicht an Lob

Anna Holzscheiter hat den sächsischen Fokus nun aufgegeben, sie lenkt das Gespräch auf die deutsche Weigerung, Marschflugkörper vom Typ Taurus in die Ukraine zu schicken. Dulig ist klug genug, um darauf hinzuweisen, dass er davon als Wirtschaftsminister wenig Ahnung habe und sagt nur, es sei eben unheimlich wichtig, abzuwägen. Mit Zögern habe das nichts zu tun.

Es sind Sätze, die in der deutschen Politik zu einer Art Mantra geworden sind. Makeiev schaut dementsprechend etwas frostig drein und blickt kurz auf sein Handy. Vielleicht hat seine Mutter geschrieben, vielleicht will er sich aber auch davon abhalten, die Konfrontation zu suchen. Das wird er an späterer Stelle noch tun.

Er lobt stattdessen die Landesregierungen und Kommunen, sie seien bei der Lösung von Problemen der Ukrainer oft schnell und unbürokratisch, „etwas entgegen der deutschen Art“. Es ist weniger als Seitenhieb zu werten, eher als freundschaftlicher Knuff an eine Gesellschaft, die er selbst gut kennt. Makeiev war schon als Schüler für einen Austausch in Deutschland und später vier Jahre in der deutschen Botschaft tätig, bevor er Ende 2022 als Nachfolger von Andrij Melnyk als Botschafter zurückkehrte. Melnyk war oft für seinen scharfen Ton kritisiert worden, er hat Olaf Scholz mal eine beleidigte Leberwurst genannt. Makeiev gibt sich da meist diplomatischer.

"Die Ukrainer haben von der 35-Stunden-Woche noch nie etwas gehört"

Er bedankt sich für die bisherigen Waffenlieferungen – der Leopard 2 sei der beste Panzer der Welt, das IRIS-T das beste Luftabwehrsystem. „Seien sie stolz darauf, das ist deutsche Qualität“, sagt er. Dann geht es noch kurz um die Wirtschaft, Makeiev bittet darum, die Ukrainer besser in den deutschen Arbeitsmarkt einzubinden. Immerhin hätten mehr als die Hälfte der geflohenen Ukrainer einen Hochschulabschluss, und wenn man einen ukrainischen Handwerker bestelle, dann sei der auch gleich da und repariere die Heizung. „Und wenn ich noch eins sagen darf: Die Ukrainer haben von einer 35-Stunden-Woche noch nie was gehört.“ Doch noch ein kleiner Seitenhieb.

Nach einer knappen Stunde dürfen Fragen gestellt werden, Moderatorin Holzscheiter bittet mehrmals darum, sich kurz und sachlich zu fassen. Sie wird wissen, warum. Im Publikum steht der frühere CDU-Innenminister Horst Rasch auf, und schon beginnt er einen kleinen Vortrag über Verhandlungen und Waffenstillstand. Im Saal wird es unruhig, doch Makeiev bleibt still und hört aufmerksam zu.

Als er schließlich antwortet, schneidet jedes Wort wie ein Messer durch den Raum. „Stellen sie sich mal vor“, sagt er und blickt Rasch ins Gesicht, „wie sie Verhandlungen führen würden, wenn Ihr Haus angegriffen würde. Wenn sie ins Schlafzimmer gedrängt werden, und sie sehen ihre Kinder tot, ihre Frau vergewaltigt. Das ist etwas Persönliches. Und wenn Deutschland angegriffen wird, dann gehen sie auch nicht in Verhandlungen darüber, Sachsen abzugeben.“ Der ganze Saal applaudiert.

Horst Rasch sagt noch etwas, doch er kommt nicht dazu, seinen Satz zu Ende zu bringen. „Das Ziel Russlands ist klar formuliert: Die Ukraine auszulöschen“, unterbricht ihn Makeiev mit kalter Stimme. „Wenn wir uns ergeben, dann werden Sie hier an der Universität in Dresden bald den Genozid an den Ukrainern im 21. Jahrhundert unterrichten.“

Die Veranstaltung „Ukraine im Fokus“ wurde organisiert von Natalija Bock vom Ukrainischen Haus in Dresden, gemeinsam mit der TU Dresden und der Friedrich-Ebert-Stiftung.