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„Wir sind auch da und brauchen Hilfe!“

In Mühlrose läuteten am Mittwochabend Gemeinderäte die Glocke vom örtlichen Turm: als Weckruf und Hilfeschrei an Bund und Land.

Von Sabine Larbig
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Uwe Radtke, René Mettke, Waldemar Locke, Frank Gärtig (vlnr) läuteten die Mühlroser Glocke als Mahnung, die Gemeinde Trebendorf im Strukturwandel nicht zu vergessen.
Uwe Radtke, René Mettke, Waldemar Locke, Frank Gärtig (vlnr) läuteten die Mühlroser Glocke als Mahnung, die Gemeinde Trebendorf im Strukturwandel nicht zu vergessen. © Sabine Larbig

Mit ländlicher Beschaulichkeit, viel Grün und für die Lausitz typischen Gebäuden erscheint Besuchern das Dorf Mühlrose auf den ersten Blick idyllisch. Beim näheren Hinsehen und Hinhören offenbaren sich jedoch Baustellen, die von Abriss statt Aufbau kommen, sowie Lärm vom nahen Tagebau, dessen Bagger erbarmungslos Meter um Meter dem Lausitzer Boden Braunkohle entreißen. Noch bis 2038, nach neuesten Plänen der Bundesregierung wahrscheinlich nur bis 2030, wird mit der Kohle der Energiehunger Deutschlands gestillt. Dann soll wegen des Klimawandels und des dadurch beschlossenen deutschen Kohleausstiegs damit Schluss sein. Gefördert wird der sogenannte Strukturwandel, die Umgestaltung von Landschaft, Natur, Wirtschaft und Lebensräumen in einstigen Kohlerevieren mit Milliarden Euro. Auch in der Lausitz. Doch hier, wo noch Kohleabbau läuft und Dörfer umgesiedelt werden, kommt kaum Hilfe an, fühlen sich die Menschen vergessen.

So, wie in der Gemeinde Trebendorf mit dem Ortsteil Mühlrose. Nachdem bereits große Teile Trebendorfs und 200 Einwohner zugunsten des Kohleabbaus umgesiedelt wurden – weitere 400 Menschen in Klein Trebendorf über zehn Jahre auf sprichwörtlich gepackten Koffern saßen, wegen des Kohleausstiegs nun aber doch nicht umsiedeln müssen – läuft aktuell der Umsiedlungsprozess in Mühlrose. Von 200 Einwohnern leben noch 140 im Ort. Von 60 Gebäuden sind bereits 12 abgerissen. Bis Ende 2023 muss Mühlrose leergezogen sein. Danach stehen die Kohlebagger rings-um, wäre der Ort eine Insel inmitten eines überdimensionalen Kohlekraters. Jahrzehnte wie Einsiedler unter enormer Belastung durch Lärm, Dreck, Staub, minimalste Infrastruktur leben wollten die Menschen nicht. Sie entschieden sich für Umsiedlung, „opferten“ ihr Dorf in der Hoffnung, dass Trebendorf und Mühlrose von der Unterstützung im Rahmen des Strukturwandels profitieren.

„Trotz vieler Worte und Versprechen der Landesregierung und des Ministerpräsidenten, dass die Absicherung von Mühlrose und Trebendorf, auch mit Strukturmitteln, wichtig sei und der Erhalt von Arbeitsplätzen – solche Äußerungen gab es beispielsweise bei der Unterzeichnung des Umsiedlungsvertrages Trebendorf im Jahr 2018 – werden direkt kernbetroffene Orte wie wir abgenabelt. Strukturwandelgelder werden im Gießkannenprinzip verteilt, um ein leeres Kulturhaus in Bischofswerda oder die Straßenbahnen in Görlitz zu sanieren, Spaßbäder zu bauen oder Bürgermeisterposten zu finanzieren. Das ist ungerecht und unfair“, prangert Trebendorfs ehrenamtlicher Bürgermeister Waldemar Locke am Mittwochabend an, als er mit Gemeinderäten in Mühlrose die symbolische Mahnglocke läutete.

Es war die zweite Aktion dieser Art, um auf die nicht zufriedenstellende sächsische Förderpolitik in der Kohleregion im Landkreis Görlitz aufmerksam zu machen. Erstmals ertönte die einstige Schulglocke als Mahnglocke im November 2020. Da machten alle Bürgermeister im nördlichen Landkreis Görlitz mit einer Gemeinschaftsaktion auf ihre Probleme aufmerksam. Nun will sich Trebendorf selbst auf diese Weise in Dresden Gehör verschaffen. Und Orts-chef Waldemar Locke nennt Gründe.

So habe Trebendorf einen Antrag auf Kohlegelder zur Förderung der Infrastruktur, sprich Straßen- und Gehwegen in Klein Trebendorf – wo wegen der einst geplanten Abbaggerung jahrzehntelang nichts gemacht wurde – gestellt. „Doch der wurde ebenso abgelehnt wie unser Antrag für einen Anbau am Feuerwehrgerätehaus Trebendorf, der wirklich nötig ist“. Laut Locke würden nämlich zehn aktive Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Mühlrose sowie ein Tanklöschfahrzeug dorthin, und nicht nach Schleife, gehen. Nun reiche der Platz für Kameraden und Fahrzeuge nicht. Auch über andere Förderprogramme sei das Projekt nicht berücksichtigt worden. Daher wolle man im Herbst erneut einen Antrag auf Strukturwandelgeld stellen. „Unsere Kameraden sind aktuell zur Einsatzhilfe bei der Großbrandbekämpfung in der Sächsischen Schweiz.

Fenster bleiben auch im Sommer zu

Das ist unter Kameraden eine Ehrensache und die Hilfe wird vom Land auch gerne angenommen. Doch wenn wir vom Land Unterstützung brauchen, kommt nichts“, kritisiert ebenfalls Gemeinderat Rene Mettke, der seit 2011 aktiv bei der Feuerwehr ist.
„Außerdem leiden die Mühlroser extrem unter den Tagebauemissionen. Selbst in heißen Sommernächten müssen sie Fenster geschlossen halten, um etwas Schlaf und Ruhe zu finden“, erklärt Gemeinderat Uwe Radtke. Messungen der Gemeinde an zwei, vom Umweltamt Sachsen, aufgestellten Stationen würden dies beweisen. „Aber die katastrophalen Werte werden nicht anerkannt und noch ist der Tagebau zwei Kilometer entfernt.“ Auch ein 12 Meter hoher Schutzwall, wie gefordert, sei abgelehnt worden. Mehrfache Bitten und Schreiben der Gemeinde, so der Ratsmann weiter, an den Ministerpräsidenten, sich persönlich vor Ort zu informieren, und an das Umweltministerium zwecks Informationen und Auskünften in einer Einwohnerversammlung, seien bisher gleichfalls ergebnislos geblieben.

„Wir fühlen uns allein gelassen und von allem abgehängt. Keiner der Verantwortlichen vom Land kommt her, will einen Kompromiss eingehen oder helfen. Nur über die blauen Wahlergebnisse in der Gemeinde wird sich von obersten Stellen aufgeregt. Aber uns gibt es noch und notfalls werden wir täglich die Mahnglocke als Weckruf an die Politik läuten. Denn wir brauchen Hilfe und Aussagen, wie es mit Trebendorf als Gemeinde weitergeht“, sagt Gemeinderat Frank Gärtig verärgert. Der Bürgermeister bestätigt seine Aussagen und erklärt zudem, dass die Lage der Gemeinde auch finanziell miserabel sei, ohne selbst verantwortlich zu sein. So habe Trebendorf 2016 allein 1,3 Millionen Euro Gewerbesteuern an Vattenfall zurückzahlen müssen und 2019 weitere rund 141.000 Euro. Zusätzlich habe das Land im Rahmen des Finanzausgleichsgesetzes die sogenannte „Reichensteuer“ auf die Gewerbesteuereinnahmen kassiert. „Also Steuern auf Gelder, die wir eigentlich nie hatten.“

Statt zu helfen, erklärt René Mettke, werde seitens Dresden eine Eingemeindung zu Schleife forciert. Doch die, sagt er, bringe angesichts Kita, halber Verwaltungsstelle oder Bauhof mit zwei Leuten weder Einsparungen noch Verbesserungen. „Daher läuten wir heute. Und es wären alle Räte da, wenn nicht fünf als Kameraden in der sächsischen Schweiz helfen würden.“